Sozialpartner im Gespräch: Hart aber fair

Soeben wurden die Lohnverhandlungen zwischen dem Schweizerischen Baumeisterverband (SBV) und den Gewerkschaften ohne Einigung beendet. Doch die nächste Auseinandersetzung ist schon in Sicht: Die Neuverhandlung des Landesmantelvertrags, der Ende 2022 ausläuft. Ein Gespräch mit SBV-Direktor Benedikt Koch und Nico Lutz, Geschäftsleitungsmitglied und Leiter Sektor Bau der Unia. („die baustellen“ Nr.11/2021)

Herr Koch: Sie stehen seit Jahren immer wieder in Kontakt mit Nico Lutz. Was schätzen Sie an ihm?

Benedikt Koch: Ich schätze an ihm, dass wir immer wieder intensiv debattieren können, dabei von der sachlichen Konfrontation aber nie ins Persönliche abdriften. Dass eine Streitkultur mit Respekt und Anstand möglich ist, rechne ich ihm hoch an.

Und umgekehrt, Herr Lutz: Was zeichnet Benedikt Koch in Ihren Augen aus?

Nico Lutz: Ich würde Herrn Kochs Aussage bekräftigen. Wir können beide sehr gut differenzieren zwischen unseren Rollen, in denen wir teils diametral unterschiedliche Positionen einnehmen, und der menschlichen Ebene, auf der wir uns mit gegenseitigem Respekt begegnen.

Genug der Harmonie! Anfang November wurden die Lohnverhandlungen zwischen Arbeitgeber- und Arbeitnehmervertretern ohne Einigung beendet. Es wird für kommendes Jahr keine generelle Lohnerhöhung von 100 Franken geben, wie sie die Gewerkschaften gefordert hatten. Wie kommentieren Sie das Ergebnis?

Koch: Ich möchte betonen, dass das Schweizer Bauhauptgewerbe auch im kommenden Jahr die mit Abstand höchsten Handwerkerlöhne des Landes zahlt. Angesichts dessen erachten wir die Wertschätzung durch einen individuellen Lohn, der die jeweilige Leistung angemessen widerspiegelt, als wichtiger als generelle Lohnerhöhungen. Für die Bauunternehmer ist es gerade in einem konjunkturell schwierigen Marktumfeld wichtig, dass sie gute Mitarbeitende mit individuellen Lohnanreizen und Weiterbildungsmöglichkeiten in die Branche holen, sie langfristig hier halten und weiterentwickeln können.

Lutz: Aus der Optik der Arbeiter ist es ein verheerendes Signal, das die Baumeister mit dieser Verweigerungshaltung setzen. Die Umsätze im Bauhauptgewerbe sind seit Jahren stabil und befinden sich aktuell auf historisch hohem Niveau. Die Auftragsbücher sind voll, die Zahl der Baugesuche ist auf einen Rekordwert geklettert. Es sind die Bauarbeiter, die das Fundament für diesen Höhenflug bereiten. Sie erbringen ihre Leistungen unter immer grösserem Druck und unter immer schwierigeren Bedingungen. Aber werden sie dafür am Erfolg ihrer Branche beteiligt? Nein, ganz im Gegenteil: Schon das zweite Jahr in Folge gehen die Bauarbeiter leer aus!

Die Gewerkschaften untermauerten die Forderung nach einer generellen Lohnerhöhung mit Zahlen zur Lohnentwicklung, die der SBV erhoben hat. Diese besagen, dass der monatliche Effektivlohn in einzelnen Bau-Lohnklassen gegenüber 2020 um zwischen 0,2–0,5 Prozent gesunken ist. Weshalb ist der SBV der Meinung, die Bauleute sollten für die gleiche Leistung mit einem kleineren Lohn entschädigt werden?

Koch: Wir sprechen uns nicht gegen Lohnerhöhungen aus. Aber wir lehnen eine generelle Lohnerhöhung ab. Die Unternehmer sind frei, individuelle Lohnerhöhungen zu vereinbaren und damit individuelle Leistungskomponenten zu berücksichtigen. Heute ist die Situation so, dass ein grosser Teil der gesamten Lohnsumme für hohe Mindestlöhne aufgewendet werden muss, sodass nur ein kleiner finanzieller Spielraum bleibt, um bewährte Arbeiter für überdurchschnittlich gute Leistungen zu honorieren. Dieses Verhältnis darf sich nicht weiter zuspitzen.

Herr Lutz: Faktisch ist es so, dass die Baulöhne im Handwerkervergleich höher sind, obwohl in der Branche ein harscher Preiswettbewerb ausgetragen wird. Wie kommen Sie zur Einschätzung, dass Lohnsteigerungen nicht nur nötig, sondern auch möglich sind?

Lutz: Unserer Einschätzung nach läuft die Baukonjunktur so gut und ist der Bau so produktiv, dass gutes Geld verdient wird. Folgerichtig sollten die Arbeitnehmenden, die täglich hart arbeiten, an dieser Entwicklung teilhaben. Man darf nicht vergessen: Obwohl die Bauleute ein sechsmal höheres Unfallrisiko tragen als Menschen, die in Büros arbeiten, bewegt sich ihr Lohn nach wie vor unterhalb des Schweizer Medianlohns. Und die Bauleute, die mit 60 Jahren in den FAR gehen, tun das ganz sicher nicht, weil sie Freude daran haben, auf einen Drittel ihres Lohns zu verzichten, sondern weil sie körperlich nicht länger arbeiten können. Leistungen und Aufopferungen wie diese gehören anständig entschädigt!

Nico Lutz (Foto: Beat Matter)

Koch: Der beste Weg, um auf dem Bau eine gute Lohnentwicklung zu erzielen, ist die Weiterbildung. Wir meinen, das soll gefördert und honoriert werden. Dass viele Bauleute motiviert sind, sich weiterzuentwickeln und verantwortungsvolle Positionen zu übernehmen, zeigt, dass die Botschaft ankommt.

Lutz: Hier haben wir keine Differenz. Tatsache aber bleibt, dass der Medianlohn in den einzelnen Lohnklassen des Bauhauptgewerbes letztes Jahr trotz brummender Konjunktur gesunken ist. Das heisst: Die Bauleute arbeiten gleich hart, erhalten aber im Schnitt einen tieferen Lohn. Das ist nicht zu vermitteln.

In der Beziehung des Baumeisterverbands und der Unia gibt es, zumindest in der Wahrnehmung von aussen, nur zwei Zustände: Ruhe oder Getöse. Gibt es einen markanten Unterschied zwischen der Kommunikation nach aussen und der Art und Weise, wie der interne Austausch unter Ihnen läuft?

Lutz: Zu schätzungsweise 80 Prozent geht es in der Zusammenarbeit der Vertragsparteien darum, den Vertrag, auf den man sich im gemeinsamen Interesse geeinigt hat, in der Praxis um- und durchzusetzen. In der Auslegung mag es in Nuancen unterschiedliche Auffassungen geben, im Grundsatz verfolgen wir dabei aber eine gemeinsame Linie. Nebst dieser Normalität gibt es Phasen, in denen Verträge neu ausgehandelt werden müssen. Da prallen unterschiedliche Interessen aufeinander. Und da liegt es in der Natur der Sache, dass die Wogen auch mal hochgehen.

Koch: Der SBV kommuniziert ja bei Weitem nicht nur zum Landesmantelvertrag oder insgesamt zur Zusammenarbeit mit den Gewerkschaften. Wir beschäftigen uns mit zahlreichen weiteren Themen wie Berufsbildung und Weiterbildungen, machen Berufswerbung, vertreten politische Anliegen usw. und kommunizieren rege dazu. Würde unsere Kommunikation reduziert auf jene Punkte, in denen wir Konflikte mit den Gewerkschaften austragen, wäre das aus unserer Sicht eine unzureichende Wahrnehmung.

Herr Lutz: In einer Kolumne haben Sie Benedikt Koch jüngst vorgeworfen, er sei interessiert an einer möglichst schwachen Arbeitnehmervertretung. Weshalb?

Lutz: Es geht dabei um einen Unterschied in der Kommunikation, den ich für entscheidend halte. Wir haben ein Interesse an einem starken Baumeisterverband. Dies, weil wir tragfähige Lösungen nur mit einem starken Partner entwickeln können, der auf Arbeitgeberseite breit und stark abgestützt ist. In kritischen Voten greife ich deshalb nicht den SBV als Verband, sondern dessen Positionen an. Manchmal habe ich das Gefühl, beim SBV verhält es sich umgekehrt. Bisweilen lese ich die Kommunikation des SBV so, dass der Verband daran interessiert ist, uns zu schwächen, indem er uns unrechtmässiges und unredliches Verhalten vorwirft. Das kann ich nicht nachvollziehen, denn die besten Lösungen erzielen wir unter starken Partnern.

Benedikt Koch: Ihre Replik?

Koch: Als Arbeitgebervertreter in einer Branche mit Gesamtarbeitsvertrag halten wir es selbstverständlich für wichtig, dass unsere Kooperationspartner stabil und verlässlich sind. Wir müssen aber differenzieren zwischen dem, was wir als Verband zu vertreten haben, und dem, woran die Bauunternehmer in ihrer täglichen Arbeit interessiert sind: Nämlich daran, dass die vereinbarten Spielregeln vor Ort eingehalten werden. Da haben wir jedoch laufend Diskussionen und Beschwerden wegen Baustellenbesuchen von Gewerkschaftsvertretern, bei denen sich Sicherheitsfragen stellen und welche die Bauleute von ihrer Arbeit ablenken. Der Punkt ist: Wir sind interessiert daran, dass der Vollzug des Landesmantelvertrags (LMV) in der alltäglichen Praxis funktioniert. Stellen wir jedoch fest, dass das, was wir gemeinsam festgelegt haben, draussen im Feld ganz anders interpretiert und umgesetzt wird, haben wir grösste Mühe damit. Und adressieren die entsprechende Kritik auch unumwunden.

Die Baustellenbesuche von Gewerkschaftsvertretern sorgen immer wieder für Konflikte, die öffentlich ausgetragen werden. Was sind hier Ihre grundsätzlichen Positionen?

Koch: Die jeweiligen Situationen müssen individuell beurteilt werden, insbesondere wenn es aufgrund von solchen Besuchen zu Schäden oder Ausfällen kommt. Grundsätzlich aber ist klar: Während der Arbeitszeit dürfen die Arbeiter auf den Baustellen nicht gestört und insgesamt darf die Sicherheit nicht gefährdet werden. Kommen nachmittags um 15 Uhr Gewerkschaftsvertreter unvorsichtig und ungesichert auf eine Baustelle und beginnen, die Bauleute von der Arbeit abzuhalten, halten wir das für problematisch – und sagen es auch.

Lutz: Würden sich die Gewerkschaftssekretärinnen und -sekretäre so verhalten, bekämen sie zuallererst ein Problem mit uns. Wir vertreten die Interessen der Arbeitnehmenden. Warum also sollten wir es darauf anlegen, sie von der Arbeit abzuhalten oder ihre Sicherheit zu gefährden? Wir gehen aber davon aus, dass es in der Schweiz eine Koalitionsfreiheit gibt, die impliziert, dass man mit Arbeitnehmenden reden kann. Tun wir das verhältnismässig und stören wir dadurch keine Abläufe oder gefährden die Sicherheit, sehe ich darin keinerlei Verstoss. Im Gegenteil: Eine unserer Aufgaben als Vertragspartner ist es, die Umsetzung des Vertrags in der Praxis zu unterstützen. Das tun wir, indem wir die Arbeiter über Inhalte aufklären und Ansprechpartner sind bei Unklarheiten, Fragen und oftmals auch bei Beobachtungen von Missständen, die wir an die Paritätische Kommission melden. Um diese Aufgabe wahrzunehmen, sind wir täglich mit über 200 Leuten auf den Baustellen präsent. Probleme, wie sie der SBV in seiner Kommunikation aufbauscht, sehen wir sehr selten.

Koch: Entscheidend ist: Wir haben Spielregeln und wir haben Gremien. Nach unserem Verständnis ist es nicht die Aufgabe der Gewerkschaften, mit eigenen Vertretern Kontrollgänge auf den Baustellen durchzuführen. Denn dafür haben wir die Baustellenkontrollen, die von der Paritätischen Kommission eingesetzt werden. Die mandatierten Personen nehmen Kontrollen wahr und melden allfällige Unsauberkeiten an die Paritätische Kommission. Diese nimmt die Informationen entgegen, prüft sie und gibt bei Bedarf weitere Aufträge, wie bspw. Lohnbuchkontrollen oder vertieften Baustellenkontrollen. Diese Abläufe sind klar. Da brauchen wir keine individuellen Interpretationen.

Lutz: Nicht die Kontrollorgane tragen die Verantwortung. Wir Vertragsparteien tun es. Es ist daher unsere Aufgabe – auch die des SBV – dazu beizutragen, dass dieser Vertrag um- und durchgesetzt wird. Entscheidend kommt hinzu: Im Kanton Zürich ist die von der Paritätischen Kommission beauftragte Baustellenkontrolle mit vier Mitarbeitenden besetzt. Vier Kontrolleurinnen und Kontrolleure, die im ganzen Kanton für sämtliche Gewerbe die Baustellenkontrollen machen. Sie machen eine gezielte und gute Arbeit. Die Vorstellung, dass man vier Kontrolleure und Kontrolleurinnen losschickt, sich dann als Vertragspartner zurücklehnt und sagt, die Sache sei damit geregelt, ist aber völlig realitätsfremd.

Benedikt Koch (Foto: Beat Matter)

Der aktuelle LMV läuft Ende 2022 aus, die Neuverhandlungen werfen ihren Schatten voraus. Wie blicken Sie angesichts der gegenwärtigen Stimmungslage auf diese Verhandlungen?

Koch: Ich mache mir keine Illusionen: Die LMV-Verhandlungen werden sehr anspruchsvoll. Die Grundstimmung der Arbeitgeber, wonach sie die Sicherung der Arbeitsplätze höher gewichten als generelle Lohnsteigerungen, wird aktuell bleiben. Hinzu kommen weitere zu verhandelnden Themen, in denen wir bei der letzten LMV-Verhandlung nicht wirklich zufriedenstellende Lösungen gefunden haben. Eines davon ist die Flexibilisierung der Arbeitszeiten. Sie ist ein Bedürfnis der Arbeitgeber. Insgesamt stellen wir fest, dass der LMV mittlerweile zu komplex und zu verschnörkelt daherkommt. Wir haben die klare Vorstellung, den Vertrag zu präzisieren, zu straffen und damit auch die Umsetzung zu vereinfachen.

Lutz: Auch ich habe ordentlichen Respekt vor der Vertragserneuerung im kommenden Jahr. Ich nehme vonseiten der Beschäftigten war, dass sie klare Erwartungen haben, weil gewisse Rahmenbedingungen nicht mehr dem entsprechen, was in ihrer Realität wichtig ist. So teile ich beispielsweise die Einschätzung, dass die Flexibilität der Arbeitszeiten ein wichtiger Punkt ist – aber dahingehend, dass wir eine viel zu hohe Flexibilität haben. Wir sehen heute in der Praxis ein Arbeitszeitregime, das die Gesundheit der Arbeitnehmenden teilweise gefährdet. Der Preis, den die Arbeiter insgesamt für die permanente Leistungssteigerung in der Branche zahlen, ist enorm. Das Bedürfnis nach schnellerem und verdichtetem Bauen ist unbegrenzt. Wir müssen hier im Vertrag klare Leitplanken setzen.

Bevor die Temperatur in den Verhandlungen ansteigt: Was sind für Sie die zentralen Punkte, die im nächsten LMV angegangen werden müssen?

Koch: Die Bedürfnisse der Bauunternehmer sind klar: Lohn und Lohnnebenkosten; Flexibilisierung der Arbeitszeiten und eine Reduktion der Komplexität des Landesmantelvertrags und dessen administrativer Umsetzung. Das sind Themen, die für uns im Vordergrund stehen.

Lutz: Für die Bauarbeiter ist zentral, dass ihr Beruf ein schöner und interessanter Beruf bleibt, den man so ausüben kann, dass es körperlich und mental tragbar ist. Das setzt voraus, dass die markante Verdichtung der Arbeitszeit und der Arbeitsweise nicht ungebremst weitergeht, sondern dass es uns gelingt, die Entwicklung hier ein klein wenig zurückzudrehen. Gesundheit, Druck, Stress, Regulierung der Arbeitszeiten – es ist für die Arbeiter entscheidend, dass wir hier einen Schritt weiterkommen, sodass die Branche auch künftig attraktiv ist für Arbeitnehmende.

Der Fachkräftemangel ist ein Thema, in dem gemeinsame Kräfte gefragt sind. Aber auch hier herrscht Konfrontation. In einem Schreiben auf der Unia-Website von Anfang Oktober heisst es, die Baumeister seien aufgrund ihrer Lohnpolitik schuld am Fachkräftemangel. Herr Lutz, diese Analyse ist doch ein bisschen unterkomplex, nicht?

Lutz: Im Fachkräftemangel gibt es demografische Elemente, die der SBV nicht zu verantworten hat. Dass der Fachkräftemangel heute ausgeprägt ist, hat aber selbstverständlich auch damit zu tun, wie attraktiv es ist, in die Branche einzusteigen. Es gibt empirische Daten dazu, dass wir hier ein Problem haben: So verlieren wir beispielsweise in den ersten dreieinhalb Jahren nach Lehrabschluss zehn Prozent der Absolvierenden. Dieser Wert ist dreimal höher als der gesamtschweizerische Durchschnitt. Das ist doch eine Problemstellung, die nach Antworten schreit.

Koch: Wir leisten vonseiten des Baumeisterverbands und der Unternehmer ein grosses Engagement, um Jugendliche zu motivieren, in die Branche einzusteigen. Das ist der erste Schritt. Im zweiten Schritt geht es darum, die Leute in der Branche zu halten. Dies, indem wir gute Perspektiven bieten. Mit dem Masterplan 2030, der auf einen Schlag die Inhalte von Aus- und Weiterbildungen in sechs Berufen reformiert und modernisiert, tun wir genau das. In diese Arbeit sind an verschiedenen Stellen auch die Arbeitnehmervertreter involviert, was wir sehr schätzen. Was uns jedoch Mühe macht: Während wir in Berufswerbung und Marketing investieren und landauf, landab an Berufsmessen präsent sind, fahren unsere Kollegen Gewerkschafter nebenher eine Negativkampagne, wonach es furchtbar hart und schlecht bezahlt sei, auf dem Bau zu arbeiten.

Lutz vs. Koch (Foto: Beat Matter)

Lutz: Also bitte? Wir haben doch ein klares Interesse daran, dass möglichst viele gute Leute Bauberufe ausüben und als Arbeitnehmende Mitglied einer Gewerkschaft werden. Nach wie vor ist es so, dass viele Bauleute mit Herzblut bei der Sache sind und stolz sind auf das, was sie leisten. Aber sie wollen ihre Arbeit unter Bedingungen leisten, die für sie nachhaltig tragbar sind – und hier haben wir ein Problemfeld. Selbstverständlich kann man den Überbringer der Botschaft verantwortlich machen für die Botschaft. Aber das wird der Realität nicht gerecht.

Koch: Dennoch kann man sich fragen: Lohnt sich der grosse, teilweise gemeinsame Aufwand, um die Branche und deren Berufe attraktiv zu positionieren, wenn die Gewerkschaften dazu ausschliesslich Negativbefunde transportieren. Ich halte das für kontraproduktiv.

Es werden seit Jahren Massnahmen geplant und umgesetzt, um ausreichend guten Nachwuchs in die Baubranche zu holen. Dennoch gehen die Zahlen nicht in die richtige Richtung. Was ist zu tun?

Lutz: Der SBV muss früher oder später realisieren, dass er mit der Art und Weise, wie er mit den Arbeitnehmern verhandelt, potenziellen Branchennachwuchs abschreckt. Es wird mehr und mehr Einsatz gefordert, von einem Mehr bei der Entlöhnung will man aber nichts wissen. Wir stehen in der Branche vor gesamtheitlichen Themenfeldern, die Antworten erfordern. Nimmt man dies zum Anlass, um fortschrittliche Rahmenbedingungen zu kreieren, wäre dies ein starke und motivierende Botschaft für die Fachleute von morgen. Kommt dieses Signal nicht, bleiben potenzielle Talente der Branche fern und ausgebildete Fachleute wandern weiterhin in andere Branchen ab.

Koch: Die Wirkung von Marketingkampagnen ist oftmals schwierig zu beurteilen. Insbesondere die Frage, was ohne Anstrengungen geschehen wäre, ist nur unzureichend evaluierbar. Wir haben den klaren Auftrag von unseren Mitgliedern, in die Berufswerbung und in die Weiterentwicklung unserer Berufsbilder und Karrierewege zu investieren. Das tun wir mit dem Masterplan Berufsbildung 2030 im grossen Stil. Wir sind überzeugt davon, dass dieses Engagement lohnend ist, und führen es deshalb mit voller Kraft weiter.

Zum Schluss eine versöhnliche Frage: Was reizt Sie persönlich an Ihrer jeweiligen beruflichen Rolle?

Lutz: Die Frage, wie in diesem Land Ressourcen verteilt sind, wer wie viel davon hat und welcher Anteil jenen zusteht, die mit täglich harter Arbeit für die Gewinne sorgen, ist für mich zentral und hat mich immer schon fasziniert. In diesem Feld zu Fortschritten beizutragen, das motiviert mich. Und das gelingt uns, wenn wir kollektiv verhandeln.

Koch: Die Baubranche ist eine faszinierende, handfeste Branche, in der spektakulär sichtbar ist, was geleistet wird. Gemeinsam mit unseren Mitgliedern nach Antworten zu suchen auf die komplexe Fragestellung, wie die Branche auch in 10 und 20 Jahren eine möglichst gute Position hat, reizt mich jeden Tag von Neuem.

(Foto: Beat Matter)
Beat Matter

Beat Matter

Ich schreibe. Und ich fotografiere. Beides fliessend. Für Medien, Unternehmen, Stiftungen, Verbände, Vereine und Private.

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