Die Ziegel- und Backsteinindustrie kämpft gegen die Verdrängung des Steins durch andere Baumaterialien. Christian Keller, CEO der Keller Holding AG, probiert, den Backstein durch Innovation weiter zu entwickeln. Beispielsweise durch einen Roboter, der Fassadenelemente baut. (die baustellen Nr.06/2015)
«die baustellen»: Knapp sechs Monate sind seit der Aufhebung des Franken-Euro-Mindestkurses vergangen. Wie geht es Ihren Unternehmen?
Christian Keller: Einige unserer Unternehmensteile sind tangiert, andere nicht oder nur am Rande. In unserem Kernbereich – dem Stein – spüren wir mengenmässig keine Auswirkungen, im Preis allerdings schon. Es herrscht zusätzlicher Preisdruck, weil importierte Baustoffe nochmals deutlich günstiger geworden sind. Der Importdruck ist im Steinbereich zwar nicht riesig, aber die Ziegler tendieren dazu, schnell Rabatt zu gewähren. Damit sind wir in der Baubranche aber nicht alleine.
Kunden verlangen Rabatte und drohen damit, auf Importe auszuweichen?
Ja, die gibt es. Bis heute haben wir aber keine Kunden verloren.
Was tun?
Wir müssen stärker, kompetitiver werden. Wer diese Situation übersteht, wird stärker sein als zuvor.
Die Baubranche hatte zehn Jahre Hochkonjunktur. Jetzt zeichnet sich ein Wandel ab. Worauf stellen Sie sich ein?
Ich rechne mit einer sanften Landung. Es war klar, dass die Branche nicht bis in alle Ewigkeit auf diesem Niveau Häuser und Wohnungen bauen kann.
Entscheidender als die Baukonjunktur ist für Sie, welche Materialien zum Zuge kommen. Wie beurteilen Sie die Situation in dieser Hinsicht?
Tatsächlich ist das für uns Ziegler das Hauptthema. Wir haben in den letzten Jahren von der sehr guten Baukonjunktur profitiert. Doch die Phase war trügerisch. Betrachtete man die Zahlen nur oberflächlich, merkte man gar nicht, dass wir Ziegler Marktanteile an andere Baustoffe verloren haben.
Weil die effektiven Volumen während der Hochkonjunktur hoch blieben?
Ja. In den letzten zehn Jahren sind die Volumen mit Schwankungen auf ähnlichen Niveau geblieben. Allerdings waren die Zahlen in den letzten drei Jahren rückläufig. Hier zeigt sich nun der Verlust an Marktanteilen.
Welche Gründe sehen Sie dafür?
Das liegt daran, wie man heute baut. In städtischen Gebieten sehen wir oft Deckenstützenkonstruktionen mit wenigen tragenden Innenwänden. Aussen irgendeine Fassade, oben ein Flachdach. Auch die Fensterflächen sind grösser geworden und «fressen» Mauerfläche weg. Im Wohnungsbau sind wir heute noch stark, weil der Backstein günstig und gut zu verarbeiten ist. Aber: Die verschärften Normen zur Erdbebensicherheit haben dazu geführt, dass auch in Wohnbauten ein paar Wände pro Haus mehr in Beton gefertigt werden. Das sind sofort wieder ein paar Prozentpunkte weniger.
Wird die Tendenz im Verband swissbrick.ch thematisiert?
Nicht alle Mitbewerber sprechen offen über Herausforderungen. Oftmals tröstet man sich mit den zweifellos hervorragenden Eigenschaften des Materials. Doch die helfen nicht weiter. Die Schwierigkeit ist, dass wir wenig Einfluss darauf haben, wie künftig gebaut wird.
Wie hält sich der klassische Stein gegenüber alternativen Steinprodukten wie etwa dem Kalksandstein oder dem Porenbetonstein?
Punkto Backstein ist die Schweiz eine Insel. Wo in der Schweiz gemauert wird, kommt zu schätzungsweise 80 Prozent der klassische Swissmodul Einhandstein zum Einsatz. Im angrenzenden Ausland ist das anders, dort werden viel häufiger Plansteine verwendet.
Wie erklären Sie sich das?
Ich glaube, das liegt daran, dass wir in der Schweiz noch Maurer haben, die ihr Handwerk noch beherrschen und stolz sind darauf.
Oft heisst es, mit alternativen, vor allem grösseren Plansteinen liessen sich Effizienzgewinne erzielen.
Plangeschliffene und grossformatige Steine werden von einzelnen Ziegeleien im Markt gepusht. Ich kann aber nicht nachvollziehen, wo darin die Vorteile für die Ziegeleien liegen sollen. Sie müssen neue Anlagen anschaffen, der Produktionsprozess wird aufwändiger. Dabei lässt sich im Markt für das Produkt keinen besseren Preis lösen. Gleichzeitig bin ich nicht sicher, ob die Wände mit solchen Steinen qualitativ besser und schneller erstellt sind. Schweizer Maurer sind mit Swissmodul-Einhandsteinen enorm schnell.
Wie kann die Maurer-Arbeit noch beschleunigt werden?
Die Maurer in der Schweiz sind schnell genug. Wir sollten uns darauf konzentrieren, den Herausforderungen des Mauerwerks punkto Erdbebensicherheit mit geeigneten Massnahmen zu begegnen.
Wie?
Wir haben eine Eigenentwicklung an den Markt gebracht, das KeX Schubelement. In Kombination mit einem Standardstein sind wir mit den KeX System in der Lage, Mauerwerkscheiben herzustellen, die hinsichtlich der Querkräfte, die bei einem Erdbeben einwirken, ähnlich gute Ergebnisse erzielen, wie eine Betonwand.
Arbeiten Sie für solche Entwicklungen mit Hochschulen zusammen?
Wir leisten uns eine kleine Innovationsabteilung, arbeiten aber auch mit Hochschulen zusammen. Vor bald zehn Jahren nahmen wir uns des Erdbebenthemas an. Eine erste Idee, die wir in Zusammenarbeit mit der ETH Zürich verfolgten, erwies sich als nicht marktfähig. Wir machten daraufhin einen Schritt zurück und führten gemeinsam mit der HSLU in Horw zyklische Schubversuche mit konventionellen Swissmodul-Mauern durch. Wir wollten besser verstehen, was im Erdbebenfall im Mauerwerk passiert. In dieser Phase kam einem unserer Ingenieure die Idee mit den Schubmodulen. Schliesslich war es ein deutsches Institut, das die Wirkungsweise unserer KeX Systems wissenschaftlich bestätigte.
Schaffen Sie es, den Ingenieurbüros Ihre Lösung zu erklären?
Tatsächlich wartet niemand auf Innovationen. Wir haben allerdings einen guten Ansatz gefunden: Wir realisieren derzeit in direkter Nachbarschaft zu unserem Standort in Pfungen ein eigenes Bauprojekt mit Mehrfamilienhäusern, für das wir selbstredend unser Baumaterial verwenden. Wir haben Anfang Jahr Ingenieurbüros in Gruppen zu uns eingeladen. In einem kurzen Vortrag erklärten wir unsere Lösung, dann zeigten wir das Produkt direkt auf der Baustelle. Innert dreier Monate waren 100 Ingenieure bei uns.
Wer erklärt das den Ingenieuren?
Das ist genau der Punkt: Es braucht einen Ingenieur, das das den Ingenieuren erklärt. Deshalb haben wir unser Verkaufs-Team jüngst mit einem Ingenieur ergänzt.
In der Schweiz gibt es heute rund ein Dutzend Hersteller von Ziegeln und Backstein. Braucht die kleine Schweiz so viele?
Wir haben Überkapazitäten. Die bestehen aber vermutlich, seit die Branche existiert. Mengenmässig könnte man den Schweizer Markt schlanker abdecken. In den letzten Jahren und Jahrzehnten wurden schon zahlreiche Werke geschlossen. Womöglich stellen in den nächsten Jahren noch ein paar mehr den Betrieb ein. Klar ist: Neue Hersteller wird es in der Schweiz sicher nicht geben.
Wir sitzen hier Pfungen, in ihrem ehemaligen Dachziegelwerk. Im Jahr 2000 haben Sie hier die Produktion eingestellt. Weshalb?
Die Anlagen waren alt. Und dann ging uns nach einigen Generationen der Lehm aus. Die Eröffnung einer neuen Grube in der Nähe wurden durch Einsprachen verunmöglicht. Das machte es unsinnig, am Standort in neue Anlagen zu investieren. So gaben wir die Produktion von Dachziegeln – lange Jahre unsere Königsdisziplin – schweren Herzens auf. Aus wirtschaftlicher Sicht war es der richtige Entscheid.
Sehen Sie angesichts von Überkapazitäten die Möglichkeit für vermehrte Export-Geschäfte?
Im Bereich der Steine nicht. Wenn es um die Fassade geht, allerdings schon. Wir produzieren auch Klinker und Sichtbausteine. In den Bereichen DIGImade und ROBmade produzieren wir entsprechende Wände in vom Roboter gefertigten Elementen. Im vergangenen Jahr konnten wir ein Fussball-Trainingsstadion in Manchester realisieren. Diesen Frühling folgte eine Akustikwand im Innenbereich eines Max Planck-Instituts in Deutschland. Ende Jahr werden wir für Zaha Hadid in London ein paar Quadratmeter Fassade für ein Einfamilienhaus machen.
Die Resultate dieser digitalen Fabrikation sind zum Teil erstaunlich. Wie sind Sie zu dieser Technologie gekommen?
Die Professoren Fabio Gramazio und Matthias Kohler beschäftigten sich zu Beginn ihrer Assistenzprofessur an der ETH Zürich mit der digitalen Produktion. Sie beschafften einen Roboter und hatten rasch die Idee, Versuche mit Backsteinen durchzuführen. Sie fragten uns an, ob wir Erfahrung beisteuern und Steine zur Verfügung stellen würden. Da wir langjährige Erfahrungen in der Vorproduktion hatten und ich mich in einer Arbeit an der HSG in St. Gallen bereits einmal mit automatisierter Produktion von Mauerwerk auseinander gesetzt hatte, war ich sofort interessiert. Mittlerweile haben wir acht Jahre Arbeit in die Entwicklung dieser Technologie gesteckt.
Glauben Sie, die digitale Fabrikation wird den Backstein quasi in ein neues Zeitalter katapultieren?
Nein. Die Technologie eröffnet zwar ganz neue gestalterische Möglichkeiten, da es nicht um tragende Elemente geht. Aber es handelt sich ganz klar um eine Nischenanwendung. Wir konnten damit in den letzten Jahren sehr viel Erfahrung sammeln. Das haben wir natürlich auch mit dem Hintergedanken getan, nicht bei der Klinkerwand zu verharren, sondern das Wissen auf weitere Materialien und Anwendungen zu transferieren.
Das Keller-Familienunternehmen startete als reine Ziegelei. Heute ist der Stein noch immer im Zentrum, daneben aber produzieren Sie ganze Systeme, haben eine GU und eine Beteiligungsholding. Besteht die Gefahr, dass Sie irgendwann auf zu vielen Hochzeiten tanzen?
Ja, das muss man sicher im Auge behalten. Aber es käme uns auch nicht in den Sinn, plötzlich Schuhe zu produzieren. Wir sind im Bau tätig. Und werden im Bau bleiben. Die Diversifizierung eingeleitet hat bereits mein Vater. Zu seiner Zeit wurden laufend Produktionsstandorte reduziert. Nicht nur bei uns, sondern in der ganzen Branche. Interessanterweise ging dabei aber die Kapazität nicht zurück. Parallel dazu hatte mein Vater immer die Augen offen für weitere Standbeine. Und so halte ich es auch. Ich glaube, es ist wichtig, aktiv zu sein und Neues auszuprobieren, selbst wenn es «nur» um Nischenanwendungen geht. Verharrt man beim angestammten Kerngeschäft, riskiert man, irgendwann den Anschluss zu verlieren.
Hand aufs Herz: Dass Sie Trennwände für den Innenbereich anbieten, mutet schon etwas exotisch an.
Vom Material her vielleicht. Letztlich aber ist es eine Wand. Unsere Standbeine machen inhaltlich Sinn. Allenfalls sind sie für unseren Auftritt gegen aussen eine Herausforderung. Deshalb haben wir uns im vergangenen Jahr etwas «enthedert», indem wir den Bereich der Fassaden, Fassadensanierungen und dem Innenausbau in die Keller Systeme AG ausgegliedert haben. Das hat auch intern wieder einmal für mehr Ordnung gesorgt.
Ihre Gruppe ist durchaus speziell. Die meisten Ihrer Mitbewerber fokussieren klar auf den Stein.
Ich sehe unsere Aufstellung als Stärke. Auch bei uns steht der Stein im Zentrum. Das eigentliche Interesse aber gilt der Wand als Ganzes. Und die denken wir so konsequent wie möglich weiter.
In welche Richtung?
Wir überlegen uns beispielsweise, was man mit Lehm oder allgemein nicht gebrannten Steinen machen könnte. Ich glaube, heute ist die Zeit reif um ein entsprechendes Wandsystem zu realisieren. Damit stehen wir aber ganz am Anfang.
Der Verband Swissbrick, dessen Mitglied Sie sind, versucht Imagearbeit zu leisten für den klassischen Stein. Sind Sie mit Aktivitäten und Resultaten zufrieden.
Mein Vater langjähriger Präsident des Verbands, ich bin ebenfalls im Vorstand aktiv. Wir prägen den Verband seit «Urzeiten» mit. Es ist schwierig, mit sehr wenig Mitteln etwas zu bewegen. Und man darf sich auch fragen, auf wen die Marketing-Aktivitäten des Verbands abzielen. Auf den Baumeister? Wohl kaum, denn der kennt doch längst die Unternehmen und Produkte.
Ist der Verband also überflüssig?
Nein. Aber ich könnte mir vorstellen, dass sich seine Arbeit künftig wieder stärker auf technische Aspekte verlagert. Früher wurden ja im Verband Produkte und Systeme entwickelt. Swissmodul ist eine Verbandsmarke. Die Zeiten haben sich aber verändert. In dieser Ausprägung ist technische Zusammenarbeit heute nicht mehr denkbar.
Die Zeiten haben sich auch im Energiewesen geändert. Die Schweiz versucht die Energiewende. Energie wird teurer werden. Hat die Backstein-Produktion als energieintensive Industrie eine Zukunft in der Schweiz?
Ja. Nur schon, weil es keine Baustoff-Produktion gibt, die keine Energie braucht. Mit Ausnahme von Holz. Ich bin allerdings nicht sehr hoffnungsvoll, dass wir in der Ziegelindustrie in der Lage sind, unsere Produktionstechnik so weiter zu entwickeln, dass Energieaufwand und CO2-Ausstoss nochmals massiv gesenkt wird. Die Substitution von Schweröl durch Erdgas hat hier viel bewirkt, weitere Schritte gingen nun ans Eingemachte. Grenzen setzen da auch die im europäischen Vergleich kleinen Schweizer Werke. In grösseren Werken böten sich naturgemäss grössere Optimierungspotenziale.
In der Vermarktung ist heute das «Naturprodukt» beliebt. Wie wichtig die Natürlichkeit des Backsteins heute für die Vermittlung seiner Qualitäten?
Entscheidend ist für uns der Wandaufbau. Wir können die Werte und Qualitäten unseres Materials nur vermitteln, wenn Wandaufbauten gewählt werden, bei denen unsere Produkte überhaupt eingesetzt werden können. Und hier hoffe ich auf eine Rückbesinnung. Heute kommen 30 Zentimeter Dämmung auf das tragende Material. Zahlreiche Eigenschaften des Materials kommen – wenn es derart zugepappt wird – nicht mehr zum Tragen. Deshalb müssen Lüftungen eingebaut werden. Ich frage mich, ob wir es schaffen, wieder Wandsysteme einzusetzen, die ein angenehmes Innenklima ermöglichen, ohne dass dafür eine künstliche Belüftung notwendig ist.
Die Frage ist für Sie offen?
Ja. Und ich werde sie nicht alleine klären können. Im Austausch mit Architekten aber auch mit Forschern an Hochschulen spüre ich, dass man auf der Suche ist nach Alternativen. Wir werden in 100 Jahren nicht mehr so bauen wie heute. Hoffentlich schon in 20 Jahren nicht mehr. Wie wir dann aber bauen werden, ist für mich heute nicht abschätzbar.
Vor 20 Jahren sind Sie in den Familienbetrieb eingestiegen. Seit 18 Jahren führen Sie ihn. Welche Entwicklung hat Sie seither überrascht?
Einerseits das Tempo der Veränderungen. Ich bin hier die fünfte Generation. Viereinhalb Generationen lang musste man sich nicht grundsätzlich darüber unterhalten, wie ein Haus gebaut wird. Und dann gingen uns innert kürzester Zeit einige Haustypen einfach verloren. Gemauerte Ställe beispielsweise sind verschwunden, das Flachdach hat sich derweil breit etabliert. Andererseits die Digitalisierung: Vor 20 Jahren hatte nur die Sekretärin meines Vaters einen Computer auf dem Bürotisch. Heute feilen wir an der digitalen Fabrikation durch einen Roboter. Dieses Tempo kann einem Angst machen. Für mich stehen indes die Chancen im Vordergrund.
Die Geschichte des Unternehmens begann vor über 150 Jahren, Sie verkörpern die fünfte Generation. Drückt das auf die Schultern?
Ich mache es gerne. Und wenn man es gerne macht, spürt man den Druck weniger, obwohl die Verantwortung zweifellos da ist. Ich marschiere gerne voraus. Deshalb habe ich das operative Tagesgeschäft in den letzten Jahren zunehmend an meine Geschäftsleiter delegiert. Ich kümmere mich nun um die Dinge, für die ihnen keine Zeit bleibt: Um die Innovation. Eben um den Blick nach vorne.