SVP-Nationalrat Toni Bortoluzzi äussert sich haarsträubend über Schwule und Lesben. Dafür gibt es Schimpf und Schande. Seine Kritiker machen es sich zu einfach.
Seit Ende letzter Woche steht SVP-Nationalrat Toni Bortoluzzi im Kreuzfeuer der Kritik. Im Kampf gegen eine Reform des Familienrechts hat er sich zu inakzeptablen Äusserungen verstiegen. Er erklärte dem «Beobachter», unter dem Begriff «Fehlgeleitete» subsumiere er Schwule, Lesben und alle, die allein leben oder ihren Partner nach Lust und Laune wechselten. Gleichgeschlechtliche Paare hätten «einen Hirnlappen, der verkehrt läuft». Toleranz dürfe nicht so weit gehen, dass man «unnatürliches Verhalten natürlichem Verhalten» gleichstelle. Die Äusserungen liessen einen ratlos zurück. Wie sollte man darauf reagieren?
Viele glaubten: mit Schimpf und Schande. Auf Twitter und Facebook wurde Bortoluzzi damit überschüttet. Juso-Präsident Fabian Molina betitelte ihn unumwunden als «Arschloch». Energische und halbwegs kreative Beleidigungen bekamen viel Applaus und wurden rege weiterverbreitet. Viele hatten das Bedürfnis, sich Luft zu machen. Und viele nutzten die Gelegenheit, sich so tolerant und aufgeschlossen zu geben, wie man heute eben zu sein hat.
Kein Zweifel: Bortoluzzis Äusserungen sind erschütternd. Sie müssen beantwortet und kommentiert werden. Der ausgelöste Sturm der Beschimpfungen und Beleidigungen war und ist jedoch in zweierlei Hinsicht problematisch.
Erstens wirkt er stärkend auf jene Gruppe von Menschen, die mit Bortoluzzis Äusserungen einverstanden sind. Es bildet und festigt sich, was die SVP seit Jahren erfolgreich verkörpert: Eine sich unverstanden, nicht akzeptiert, stattdessen attackiert fühlenden Gruppierung. Der äussere Feind stärkt gegen innen. Man steht zusammen, igelt sich ein, konserviert sich. Es geht stets wir (Normalen) gegen die (Anderen). Fortschritt ausgeschlossen.
Zweitens schwingt im Sturm im Namen der Toleranz ein intoleranter Zug mit, der dem gesellschaftlichen Fortschritt nicht dient. Es ist die Intoleranz und Inakzeptanz gegenüber Verängstigten und Überforderten.
Ein auf Social Media-Kanälen sehr oft geteiltes Zitat zeigt, worum es geht. Das Zitat zirkuliert seit Monaten oder gar Jahren, es wird dem Schauspieler Morgan Freeman zugeschrieben (was ich nicht überprüft habe): «I hate the word Homophobia. It’s not a Phobia. You’re not scared. You’re an Asshole.»
Der Ausspruch ist unglaublich erfolgreich. Und er ist falsch. Denn selbstverständlich geht es um Angst: Angst vor dem Fremden. Angst vor Verlust von Macht und Deutungshoheit. Angst vor dem Zerbröckeln des eigenen Weltbilds. Angst davor, als «richtiger Mann» nicht mehr gefragt zu sein. Angst davor, dass es keine Normalität (mehr) gibt, zu der man sich zählen kann. Angst davor, in einer Welt voller Grau- und Farbstufen den Überblick zu verlieren. Etc.
Man muss nicht gutheissen, was von Ängsten Geleitete, Getriebene, Zerfressene von sich geben. Aber man muss anerkennen, dass es ihre Ängste gibt und dass sie starken Einfluss auf das menschliche Verhalten haben. Vor allem aber muss man anerkennen, dass sich Ängste nicht mit Beschimpfungen und Beleidigungen bekämpfen lassen. Verängstigten die Angst abzusprechen und sie als «Arschlöcher» vorzuführen, ist zwar einfach und gibt Applaus. Aber es ist kein Gewinn für die Toleranz.