Hermann Bächtold, 92, Pensionär, ist ein wandelndes Bau-Geschichtsbuch. Vor 78 Jahren hat er die Maurerlehre begonnen. Bis im Alter von 75 Jahren war er als Bauführer aktiv. Heute malt er und hält bisweilen Vorträge zur Verbesserung des Images von Bauarbeitern. (die baustellen Nr. 05/2010)
14 Jahre alt war ich, als ich die Berufslehre als Maurer begann. Drei Jahre davor war der grosse Börsenkrach. Tausende von Arbeitslosen. Seltsamerweise fehlten zu dieser Zeit aber Maurer. In einer Zeit, in der unzählige Schweizer arbeitslos waren, traf man auf Baustellen zahlreiche italienische und österreichische Maurer an. Ich wurde also Maurer, weil solche gesucht waren und weil man sofort ein wenig verdiente: Am Anfang waren es 60 Rappen pro Stunde. Als Jüngster im Betrieb wurde ich stets zum «Poschte» geschickt. Bis ich genug davon hatte und verlangte, ich wolle jetzt das Mauern erlernen. Man zeigte es mir und von da an ging es aufwärts. Sofort nach meiner Lehre drückte mir mein Chef Pläne in die Hand, bestimmte ein paar zusätzliche Leute und schickte uns, zwei Einfamilienhäuser aufzustellen. Faktisch wurde ich also direkt nach der Lehre zum Vorarbeiter gemacht. 1938 machte ich die Rekrutenschule, oben am Ceneri. 1939 musste ich zum ersten Mal in den WK, diesmal oben am Gotthard. Zwei Wochen später war Mobilmachung, ich konnte gleich bleiben. 500 Tage war ich im Aktivdienst.
Mein Prunkstück
Danach liess ich mich von einem ehemaligen Arbeitskollegen dazu überreden, uns gemeinsam selbständig zu machen. Man stelle sich vor: Ein Geschäft auftun, während dem Krieg! Ich krampfte tagein tagaus, finanziell rausgeschaut hat dabei aber kaum etwas. Spätestens mit meiner Hochzeit, 1945, wurde mir klar, dass es so nicht weitergehen konnte, dass ich nun ein sicheres Einkommen brauchte und ich mir auch eine Stelle als Polier suchen könnte. Es gelang, ich arbeitete die folgenden Jahre als Polier, erarbeitete mir sogar den «Dipl.» und konnte mich 1951 an das Prunkstück meiner Bau-Karriere machen: die katholische Kirche in Dübendorf. Wohl hätte es bei diesem Projekt einen Bauführer gegeben. Der war allerdings nie auf der Baustelle. Es war Bächtold allein, der diese Sache in die Hand nahm. Nach Abschluss des Projekts verlangte ich ein Zeugnis. Dieses attestierte mir hervorragende Voraussetzungen für jede Bauführerstelle. Es dauerte aber noch Jahre, bis ich mich tatsächlich als Bauführer anstellen liess. Heute glaube ich, ich habe mich immer etwas zu klein gemacht. Ab 1964 bis 1983 war ich als Bauführer für insgesamt 60 Projekte verantwortlich. Dann hätte ich eigentlich in Pension gehen können, arbeitete aber noch weitere zehn Jahre als selbständiger Bauführer in einem Pensum von 40 Prozent. Einfach nichts mehr tun, hätte ich nicht gekonnt. Als ich dann mit 75 Jahren «endlich» fertig war, begann ich zu malen – aber das ist eine andere Geschichte.
Zwei Stunden «gschnured»
Noch heute schaue ich mir hie und da grössere Baustellen in der Gegend an. Vor ein paar Jahren traf ich dabei einen Polier, der meinte, er sollte mal zusammenrechnen und aufschreiben, wie viel Betonkubik er schon reingeschüttet habe. Ich fand, er könnte Gescheiteres aufschreiben als eine solche Angabe. Etwas aus seinem Leben, etwas, das auch andere Leute spannend fänden. Denn ich habe die Erfahrung gemacht, dass Leute, die auf dem Bau arbeiten, oft als Menschen dritter Klasse betrachtet werden. Weil ich das nicht in Ordnung finde, habe ich mich vor ein paar Monaten dazu überreden lassen, einen Vortrag zu halten. Damit wollte ich etwas beitragen zu einem besseren Image für die Bauleute. Zwei Stunden lang habe ich «gschnured», rausgelaufen ist niemand.