Nadia Knöpfel kämpft für ehemalige Spitzensportler. Die 29-Jährige, die früher selbst im Pferderennsport tätig war, nimmt ausgemusterte Rennpferde bei sich auf. Einen Renneinsatz möchte sie keinem Pferd mehr antun. (Migros-Magazin, 14.06.2010, Nr. 24/2010)
Lautes Wiehern ertönt. Nach einem heftig rauschenden Frühlingsregen wäre es wieder ruhig in Weiach ZH, würden nicht der zehnjährige Vollblutwallach Aciento und ein halbes Dutzend seiner Freunde auf eine neue Weide etwas oberhalb des Dorfs gelassen. Kaum ist der Zaun geschlossen und sind die Leinen von den Halftern gelöst, stürmen die temperamentvollen Galopper übermütig auf und davon. «Was hier herumtollt, wäre eigentlich Wurst», sagt Besitzerin Nadia Knöpfel. Es seien ausgediente Rennpferde, die hätten geschlachtet werden sollen. Die Wiese ist regennass. Die grösste Angst, die Nadia Knöpfel plagt, ist aber nicht, dass eines ihrer Pferde auf dem glitschigen Untergrund ausrutschen und sich verletzen könnte. Viel mehr beschäftigt die 29-jährige Buchhalterin, Tierpsychologin und Tierkommunikatorin, dass sie die neue Weide von ihrer Wohnung aus nicht sehen kann. Es könnte ihr jemand «z Leid werche», fürchtet sie. Denn Pferdenärrin Knöpfel ist wenig diplomatisch, wenn es darum geht, die Pferderennszene mit Vorwürfen einzudecken: «Rennpferde stehen meist 23 Stunden täglich isoliert in der Box und werden für die restliche Stunde zu Höchstleistungen angetrieben. Es wird in Kauf genommen, dass die Tiere dabei physisch und psychisch völlig kaputtgehen. Und sind sie nicht mehr für die Rennen zu gebrauchen, werden sie abgeschoben, häufig zum Metzger», sagt Nadia Knöpfel und flucht.
Früher war Nadia Knöpfel selbst in der Rennszene
Sie kennt die Szene, war selbst ein Teil davon. Als Trainingsreiterin arbeitete sie für Miro Weiss, der im Pferderennzirkus als Champion-Coach gilt. Stets jedoch habe sie Mitleid verspürt mit den bis an und über ihre Grenzen getriebenen Pferden, sagt Knöpfel. «Mitgemacht habe ich, weil ich glaubte, es komme den Pferden zugute, wenn Menschen mit anderen Vorstellungen dabei sind.» Mit der Erkenntnis, wenig verändern zu können, brach sie schliesslich mit dem Rennsport und konnte zur gleichen Zeit ein «pensioniertes» Rennpferd übernehmen. Ihm wollte sie ein schönes Leben nach der Rennkarriere bieten und gleichsam beweisen, dass Vollblüter entgegen gängiger Klischees auch als Freizeitpferde taugen.
Das sprach sich in der Pferdeszene herum. Immer häufiger bekam sie Anrufe und erfuhr von Schicksalen ausgemusterter Rennpferde. Zeitweise umsorgte sie in ihrer Auffangstation 20 Pferde. Heute sind es zehn Vollblüter, die Knöpfels knappe Freizeit in Beschlag nehmen, die ihr neben der Vollzeitstelle als Buchhalterin bleibt. Sie könne in schlimmen Fällen einfach nicht Nein sagen, erklärt sie, während sie die Flanke des 22-jährigen ehemaligen Spitzensportlers Piri tätschelt. Den nun handzahmen Wallach hielt ihr das Zürcher Veterinäramt zu, nachdem dieser beschlagnahmt worden war. «Streicheln war ihm so fremd, dass er es als Bedrohung wahrnahm», erinnert sich Knöpfel an die erste Begegnung.
Gruppenhaltung scheint nicht möglich zu sein
Ein völlig anderes Bild der Pferderennszene zeichnet Tierarzt Markus Müller. Im Auftrag des Schweizerischen Galopprennsport-Verbands (Galopp Schweiz) ist er bei Pferderennen regelmässig als Rennleitungstierarzt anwesend. «Damit die Pferde Höchstleistungen erbringen, brauchen sie eine in jeglichen Aspekten optimale Haltung», sagt er. Dabei komme es auch auf die psychische Ausgeglichenheit der Tiere an. Denn ein Pferd werde nie zu Höchstleistungen imstande sein, wenn ihm nicht passt, was es tut. Allerdings räumt Müller ein, dass ein «Weidebetrieb in der Rennszene nicht drinliegt». Rennpferde seien absolute Kraftprotze, die sich bei ungestümem Verhalten auf der Weide leicht selbst verletzen können, erklärt er. Gar undenkbar sei deshalb eine Weidehaltung mit mehreren Pferden im professionellen Rennbetrieb.
Das bestätigt Tierärztin Annina Widmer vom Departement für Pferde des Tierspitals der Universität Zürich. Die Tatsache, dass die Rennpferde etwas übermütig sein müssen und zudem oft sehr wertvoll seien, mache eine Gruppenhaltung zu einem Risiko. «Die meisten Schlagverletzungen an unserer Klinik entstehen in Gruppenhaltung mit mehreren Pferden», erklärt sie. Allerdings weiss Widmer von «immer mehr Trainern», die über Weiden verfügen, auf denen sich die Pferde alleine von den Rennen erholen können.
«Rennpferde, die man an regelmässigen Weidegang gewöhnt, haben kein erhöhtes Verletzungsrisiko, wie man früher immer behauptete», sagt sie. Einig sind sich die Tierärzte Müller und Widmer wieder, was das Schicksal ausgedienter Rennpferde angeht. «Die meisten finden einen Weg zu privaten Haltern», sagt Müller. «Gute Pferde werden für die Zucht verwendet. Von den Übrigen werden rund 80 Prozent als Freizeit- oder gar als Freizeitsportpferde eingesetzt. Es stimmt nicht, dass alle Rennpferde kaputt aus dem Sport kommen», erklärt Widmer.
Von solchen Aussagen lässt sich Nadia Knöpfel nicht beirren. Die Argumente beispielsweise gegen die Gruppenhaltung sieht sie Tag für Tag von Neuem entkräftet, wenn sie ihre Vollblutherde auf der Weide betrachtet. Und abgewrackte Rennpferde habe sie schon zur Genüge gesehen. Trotz allem träumte sie eine Zeit lang von einer Rückkehr auf die Rennbahn. «Ich wollte mir einen jungen Vollblüter holen, ihn nach meinem Gutdünken hegen und pflegen, um schliesslich mit ihm auf der Bahn gegen die anderen zu laufen. Das Pferd hätte für mich gewonnen.» Sie hätte das als Beweis für die Richtigkeit ihrer Haltungsart gewertet. Doch den Traum hat Knöpfel mittlerweile aufgegeben: «Ich möchte das keinem Pferd mehr antun», sagt sie.