Paul Bühler ist seit Anfang Jahr neuer CEO der Marti AG Bauunternehmung. Nico Statunato wirkt seit 2019 als CFO. Mit Personal- und Unternehmensberaterin Susanne Kuntner sprechen die beiden über den Generationenwechsel, über Brennpunkte in der Branche und weshalb die besten Bau-Tage trotzdem noch vor uns liegen. (Text und Fotos: Beat Matter für „die baustellen“ Nr.02/2023)
Paul Bühler: Sie haben das Jahr als neuer CEO der Marti AG Bauunternehmung begonnen. Wie hat sich der Start angefühlt?
Bühler: Sehr gut. 2022 war für mich ein optimales Übergangsjahr, um mich Schritt für Schritt in die neue Funktion hineinzuleben. Mein Vorgänger, Hermann Walpen, war noch als CEO präsent, übergab mir aber mehr und mehr Aufgaben, bei deren Bearbeitung er mir mit all seiner Erfahrung beiseite stand.
Nico Statunato: Mit Paul Bühler ist der Generationenwechsel an der Spitze des Unternehmens weiter fortgeschritten. Hat Sie das als Vertreter der jungen Garde gefreut?
Statunato: Ja, ich habe mich auf und über den Führungswechsel gefreut. Dies aber nicht wegen des Alters, sondern weil bei einem CEO-Wechsel eine Dynamik im Unternehmen entsteht, in der viele Chancen liegen. Mit Paul Bühler hatte ich schon vor diesem Schritt auf Projektebene gut zusammengearbeitet. Es ist ein schöner Aspekt bei Marti, dass oftmals bestehende Mitarbeitende bis in die obersten Führungsfunktionen hineinwachsen.
Die Rahmenbedingungen in der Baubranche sind herausfordernd. Mit der Pandemie, Preisschwankungen, Teuerung und Fachkräftemangel gab und gibt es aber zahlreiche Brennpunkte. Was motiviert Sie, in dieser anspruchsvollen Zeit, Verantwortung für über 600 Mitarbeitende zu übernehmen?
Bühler: Mich motiviert die Freude, etwas zu gestalten und damit aktiv dazu beizutragen, dass sich die Unternehmung auch in einem herausfordernden Umfeld weiterentwickeln kann. In verschiedenen Aspekten ist nicht ganz klar, wo der Weg durchführt, der vor uns liegt. Aber egal, wie sich die Rahmenbedingungen in Zukunft verändern: Es wird gebaut. Die Frage ist bloss: Wie? Es gehört zum spannendsten Teil meiner Arbeit, gemeinsam mit meinem herausragenden Team diese Frage beantworten zu dürfen – und zu müssen.
Statunato: Was mich seit meinem Wechsel vom Handel in die Bauwirtschaft unablässig fasziniert, ist die grosse Begeisterung der Bauleute für das Produkt. Vom Baustellenpersonal bis in die Geschäftsleitung ist eine riesige Identifikation mit dem Handwerk und den realisierten Bauwerken spürbar. Daraus entsteht eine sehr starke Motivation. Ein zweiter Aspekt geht in eine ähnliche Richtung, wie Paul bereits erwähnte: In der Bauwelt – so herausfordernd er auch ist – gibt es Potenziale. Gemeinsam mit einem guten Team zu versuchen, diese Potenziale zu nutzen, macht Spass und motiviert mich Tag für Tag.
Wagen Sie den Blick nach vorne: Wohin entwickelt sich die Branche in den nächsten paar Jahren?
Bühler: Aus Sicht der Marti AG, Bauunternehmung, die mit Hochbau, Umbau, Tief- und Spezialtiefbau ein weites Feld von Dienstleistungen abdeckt, rechne ich damit, dass in allen Segmenten eine relativ stabile Nachfrage besteht. Abseits der konjunkturellen Betrachtung werden wir uns mit neuen Modellen der Zusammenarbeit auseinandersetzen müssen. Das klassische Modell, in dem wir als Ausführender strikt in der Rolle des Auftragsempfängers stehen, der umzusetzen hat, was anderswo entschieden wird, muss eine Entwicklung durchlaufen, wenn Effizienz- und ganzheitliche Nachhaltigkeitsziele erreicht werden wollen.
Statunato: Nachfrageseitig ist die Antwort auf die Frage noch nicht greifbar, wie sich der Wegfall der Negativzinsen auswirkt. Mit der Anhebung der Zinsen dämpf sich der Drang, vorhandenes Kapital möglichst rasch zu investieren. Gleichzeitig verteuert sich die Finanzierung von Immobilien-Eigentum. Das wird nicht spurlos an der Nachfrage nach Baudienstleistungen vorbeigehen. Ob es unsere Kundensegmente tangiert, ist aber noch offen.
Was auch immer kommt: Es wird eine zentrale Anforderung für Unternehmungen der Baubranche bleiben, genug passendes Personal anzuziehen. Wie erleben Sie den grassierenden Mangel an Fachkräften aus Sicht eines der grösseren Player im Schweizer Markt?
Bühler: Im Bereich von Human Resources (HR) haben die Unternehmungen der Baubranche – auch wir – noch viele verdeckte Möglichkeiten, die wir nutzen können. Darin liegt das Potenzial, unseren oft sehr loyalen Mitarbeitenden ein echtes berufliches Daheim bieten zu können, in das sie mit Freude und Stolz zur Arbeit kommen. Hierfür müssen wir das HR noch ausgeprägter als Erfolgsposition verstehen. Als Faktor, in dem man ebenso selbstverständlich investiert, wie in den Maschinenpark.
Wo steht die Marti AG, Bauunternehmung auf diesem Weg?
Bühler: Wir haben in der Unternehmung die Wichtigkeit der Thematik erkannt und die Stossrichtung formuliert, in die wir uns bewegen wollen. Der Prozess läuft.
Statunato: Die Branche hätte schon vor Jahren merken können und müssen, dass es nicht mehr die Fachkräfte sind, die Jobs suchen, sondern dass es die Unternehmungen sind, die Fachkräfte suchen. Da und dort hat man das gemerkt – wirklich reagiert und sich effektiv neu aufgestellt hat aber bisher praktisch niemand. Dabei ist genau das die Lehre, die wir aus dem herrschenden Fachkräftemangel ziehen müssen: Wir sind als Unternehmung gefordert, positiv aufzutreten und gute Angebote zu machen.
Bühler: Auf Stufe Konzern haben wir mit „Marti Future“ für die Lehrlingsausbildung und „Marti Academy“ für die Personalentwicklung auf Kaderstufe konkrete Gefässe, die in diese Richtung wirken. Bei Marti Zürich haben wir im vergangenen Jahr den Entscheid gefällt, unsere Lehrlingsbetreuung auf eine neue Basis zu stellen und konsequent auf die aktuellen und künftigen Ansprüche hin auszurichten. Die passenden Strukturen bauen wir jetzt auf. Massnahmen wie diese wirken nach innen und nach aussen. Bestehende sowie potenzielle Mitarbeitende merken: Bei Marti bekommt man nicht nur einen Job, sondern sehr gute Perspektiven.
Spricht man mit Bauunternehmungen über die Suche von Baukaderleuten, hört man oft, dass entsprechende Annoncen wenig bis oftmals gar keine Resonanz auslösen. Wie ist das bei Ihnen?
Bühler: Wenn es um die Rekrutierung von neuen Mitarbeitenden geht, profitieren wir nach wie vor von der Strahlkraft des Namens Marti. Unsere Vorgängergenerationen haben damit einen Brand geschaffen, der eine sehr starke Wirkung erzeugt. Es gehört zu unserer Aufgabe, uns nicht darauf auszuruhen, sondern so zu agieren, dass diese Strahlkraft weiterhin bestehen bleibt. Dennoch: Klassische Inserate zu schalten, reicht auch bei Marti nicht mehr, um alle Stellen zu besetzen. Parallel dazu nutzen wir einen vielfältigen Strauss von alternativen Rekrutierungsmöglichkeiten.
Sind Personaldienstleister wie die mein job gmbh oder sk consulting auch für Marti mittlerweile regelmässig Bestandteil der Rekrutierungsbestrebungen?
Bühler: Personaldienstleister gibt es wie Sand am Meer. Jeder hat die brillante Idee und mittlerweile auch das ultimative digitale Instrument, um in Personalfragen verblüffende Ergebnisse zu erzielen. Für mich steht im Vordergrund – und da sehe ich die grosse Stärke von Susanne Kuntner und ihrem Team – dass gute Personaldienstleister die Branchenerfahrung und das Gespür haben, um zu merken, wer zu uns passt. Stellen so zu besetzen, dass langfristige Zusammenarbeiten und Weiterentwicklungen entstehen, das ist der Mehrwert, den ich suche.
Mit der Betreuung der Lernenden haben Sie bereits einen weiteren Bereich angesprochen, der die Branche herausfordert. Wie erfolgreich besetzen Sie jeweils Ihre Lehrstellen?
Bühler: Das klappt bisher gut, aber Luft nach oben gibt es immer. Wie gesagt läuft bei uns die weitere Professionalisierung der Lernendenbetreuung und damit die bewusste Stärkung unseres Nachwuchsbereichs. Verstärkte Aktivitäten wird es darüber hinaus sicher geben müssen, um unser gutes Angebot an die Berufslernenden bei den Jugendlichen sichtbarer zu machen.
Wie wird man als Bauunternehmung bei heutigen Teenagern sichtbar?
Statunato: Das ist die grosse Frage. Wenn wir uns ernsthaft damit beschäftigen, dürfen wir uns allerdings nicht auf die heutigen Teenager und deren Werthaltungen einschiessen, sondern müssen fast eine Generation weiterdenken. Es sind die Kinder, die in vier, fünf, sechs oder zehn Jahren bei uns eine Lehre absolvieren, nach denen wir uns optimaler ausrichten müssen. Daran arbeiten wir.
Bühler: Aller modernen Schnelllebigkeit zum Trotz glaube ich, dass es Bedürfnisse gibt, welche die Generationen im Kern vereint. Ja, die heutigen Jungen sind TikTok-getrieben und jedes Ereignis dauert maximal zehn Sekunden. Aber: Wie die älteren Semester wollen auch die heutigen Jungen in der Berufswelt ein Daheim haben, in dem sie gebraucht werden und sich wohl fühlen können. Auch sie wollen Perspektiven haben, etwas bewegen können und dabei ermutigt und begleitet werden. Diese Sehnsucht ist generationenübergreifend.
Als Attraktivitätsfaktor für jüngere Leute wird oftmals der Digitalisierungsprozess genannt, der im Bau stattfindet. Dieser Prozess verläuft vielerorts zögerlich. Wie sieht das bei Ihnen aus?
Bühler: Bei uns ist die Digitalisierung mehr als nur ein Schlagwort. Im Projektgeschäft setzen wir BIM to Field um, führen die Projekte also ab dem Planungsmodell bis zur Fertigstellung digital aus. Das nicht nur in kleinen prototypischen Projekten, sondern auch im grossen Stil, wie der aktuelle Neubau des Kantonsspitals Aarau zeigt. Gleichzeitig sind wir dabei, eine neue Basis zu schaffen, um die interne Administration sinnvoll zu digitalisieren. Dabei ersetzen wir nicht einfach alte Werkzeuge durch neue, sondern etablieren Schritt für Schritt neue Formen der Zusammenarbeit.
Statunato: In der Baubranche läuft die Digitalisierung. Sie beschränkt sich bisher aber stark auf die Bau-Kernprozesse – und vernachlässigt die Unterstützungsprozesse weitgehend. Das hat eine gewisse Logik. In der Branche konzentriert man sich mit Investitionen sowie eben auch mit Effizienzmassnahmen stark auf das operative Projektgeschäft, weil darin direkte Renditemöglichkeiten gegeben sind. Allerdings steht fest: Als Unternehmung kommt man nur gesamtheitlich weiter, wenn die Kernprozesse sowie die Unterstützungsprozesse berücksichtigt und im Zuge der Digitalisierung optimal verknüpft werden.
Bühler: Wir sind in der interessanten Position, dass wir immer wieder von der ETH Zürich als Wirtschaftspartner angefragt werden, um praktische Anwendungen von digitalen Neuentwicklungen zu evaluieren. Das ist spannend und inspirierend. Aus Sicht des operativ tätigen Unternehmens stelle ich aber fest, dass forschungsseitig zu viele Ressourcen in die Entwicklung von Lösungen von Spezialprodukten fliessen. Unser Tagesgeschäft besteht jedoch zu 80 Prozent aus Massenware und nur zu 20 Prozent aus Projekten wie das Kunsthaus Zürich oder das ZSC-Stadion, die Sonderlösungen erfordern. Unser Appell deshalb an die Forschenden: Entwickelt pragmatische digitale Lösungen für Bau-Standardprodukte. Wir brauchen sie!
Nebst Digitalisierung ist Nachhaltigkeit ein weiterer Begriff, der die Branche umtreibt. Was verstehen Sie unter dem Schlagwort?
Bühler: Nachhaltigkeit ist für uns das stabile und zukunftsfähige Dreibein aus Ökonomie, Ökologie und Sozialem. Dabei ist jedes Standbein so wichtig wie das andere. Als Firma können wir nur nachhaltig funktionieren, wenn wir Umsätze und Renditen erwirtschaften, aus denen wir unsere Kosten decken und in die Zukunft investieren können; wenn wir gesunde, motivierte und gute Mitarbeitende haben; und wenn die negativen Umweltfolgen unserer Aktivitäten auf ein Minimum reduzieren, so dass unsere Umgebungswelt nachhaltig intakt und funktionsfähig bleibt. In den vergangenen Jahren haben ökologische und soziale Faktoren stark an Gewicht zugelegt. Ich sehe darin aber nicht in erster Linie eine Einschränkung. Ich verstehe die Entwicklung vielmehr so, dass ein gesundes, eben nachhaltiges Gleichgewicht entsteht – das uns zahlreiche Chancen bietet.
Statunato: Ich glaube, dass in diesem Bereich ein Wandel stattfindet, der stark von der Generation der Millennials sowie den nachfolgenden Generationen getrieben ist. Wir haben in den vergangenen 20, 30 Jahren eine sehr ausgeprägte Konsumorientierung erlebt. Demgegenüber scheinen die jüngeren Generationen heute mehr Gewicht darauf zu legen, dass auch vertretbar und verträglich ist, was man konsumiert. Das bietet der Gesellschaft sowie auch den Unternehmungen eine gute Ausgangslage, um immer wieder neu zu überdenken, wo und wie man verfügbare Ressourcen sinnvoll einsetzt, seien es finanzielle Ressourcen, Rohstoffe oder auch personelle Ressourcen.
Sie beide sind 44 und 33 Jahre alt. Wie gehen Sie als Geschäftsleitungsmitglieder dieser Alterskategorie vor, damit sich auch die jüngeren sowie die älteren Arbeitsgruppen in ihren Anforderungen und Bedürfnissen berücksichtigt fühlen?
Statunato: Mitarbeitende auf allen Ebenen fühlen sich in ihren Bedürfnissen respektiert, wenn man ihnen als Führungsperson nahbar und auf Augenhöhe begegnet. Ja, wir haben eine klare Hierarchie im Unternehmen. Sie ermöglicht es mitunter, schnelle Entscheidungen zu treffen und Probleme dort zu bearbeiten, wo das nötige Know-how angesiedelt ist. Innerhalb dieser Hierarchie aber ist es entscheidend, einen ausgeprägten Teamgedanken zu leben, in dem unterschiedliche Bedürfnisse Platz haben.
Bühler: Ich frage etwas radikal zurück: Muss eine Firma jede Anforderung und jedes Bedürfnis seiner Mitarbeitenden aufnehmen und berücksichtigen? Ich glaube nicht. Und zwar ganz einfach, weil das in der Praxis gar nicht möglich ist. Möglich und erstrebenswert ist aber, dass wir als Firma ein Umfeld bieten mit offenen Türen, mit präsenten Chefs und einem grossen Wir-Gefühl in der Belegschaft – in dem Mitarbeitende mit verschiedensten Hintergründen und Bedürfnissen entscheiden können: Hier fühle ich mich wohl.
Spricht man mit älteren Semestern, hört man immer wieder die Klage, die guten alten Bau-Tage seien vorbei. Was macht Sie als Chefs einer jüngeren Generation zuversichtlich, dass der Branche ihre besten Zeiten noch bevorstehen?
Statunato: Bauen ist ein Grundbedürfnis. Das wird sich nicht ändern. Aktuell aber erleben wir, dass sich das Bauen in seiner Form und in seinen Anforderungen ändert – ja teils ändern muss. Gelingt es uns, nicht nur auf diese Entwicklungen zu reagieren, sondern sie teils zu antizipieren, dann bin ich überzeugt davon, dass gute Tage vor uns liegen.
Bühler: Wenn ich auf unseren Baustellen bin und sehe, mit wie viel Herzblut unsere jungen Mannschaften die Projekte ausführen, dann bestätigt sich mir Mal für Mal: die guten Tage sind noch nicht vorbei. Die Bauberufe sind nach wie vor unheimlich spannend und bieten hervorragende Perspektiven. Sie sind in hohem Masse befriedigend, weil die Arbeit, die wir leisten, materiell sicht- und nutzbar ist. Wir gestalten gemeinsam unsere gebaute Umwelt. Dieses Gefühl ist heute noch genauso schön wie früher.