Gemeinsam mit seinem Bruder hat Willy Garaventa die heutige Garaventa AG aufgebaut und an die Weltspitze der Seilbahnbauer geführt. Eine aktuelle Biografie – und dieses Gespräch – geben Einblick in ein aussergewöhnliches Unternehmerleben. („die baustellen“ Nr.02/2020)
«die baustellen»: Sie haben sich vor 25 Jahren aus dem operativen Geschäft der Garaventa AG zurückgezogen. 2016 zogen Sie sich auch aus dem Verwaltungsrat zurück. Trotzdem: Wer Sie zum Gespräch trifft, trifft Sie hier am Geschäftssitz in Goldau. Welchen Bezug haben Sie noch zum Unternehmen?
Willy Garaventa: Mir ist es glücklicherweise nicht ergangen, wie vielen anderen Unternehmern, die im Alter aus dem Betrieb geworfen werden. Ich wurde nicht rausgeworfen, sondern konnte über all die Jahre eine enge und gute Verbindung zur Firma aufrechterhalten. Natürlich nimmt mein direkter Bezug aber sukzessive ab. Mittlerweile sind nicht mehr viele Mitarbeitende im Betrieb, mit denen ich in meiner aktiven Zeit noch zusammenarbeitete. Ich bin aber nach wie vor sehr interessiert an den Vorkommnissen im Unternehmen.
Im Sommer 2001 wurde die Fusion der Garaventa AG mit dem österreichischen Familienunternehmen Doppelmayr bekanntgegeben. Die so entstandene Gruppe ist heute Weltmarktführer im Seilbahnbau, beschäftigt weltweit über 3000 Mitarbeitende und machte zuletzt einen Umsatz von 935 Millionen Euro. Wie hat diese Fusion Ihren Draht zum Unternehmen verändert?
In der Beziehung zum Unternehmen hat die Fusion für mich keinen grossen Unterschied gemacht. Obwohl wir uns im Markt auch hart konkurrenzierten, hatte ich zeitlebens einen guten, auch persönlichen Draht zu den Verantwortlichen bei Doppelmayr. Bereits mein Vater arbeitete punktuell mit Doppelmayr zusammen. Und auch mein Bruder und ich montierten viele Anlagen, die Doppelmayr lieferte. Bis heute sind gute persönliche Kontakte erhalten geblieben.
Bereits Ihr Vater hat Seilbahnen gebaut. Der Seilbahnbau wurde Ihnen also in die Wiege gelegt. Und nachdem Sie dem Vater bereits als Bub zur Hand gegangen sind, stiegen Sie nach einer mechanischen Berufslehre tatsächlich in den väterlichen Betrieb ein. Hat Ihnen der Seilbahnbau von Anfang an gefallen?
Ich bin damit aufgewachsen, dass stets irgendwo Bahnen erstellt wurden, um Holz zu seilen. Ich selbst aber wollte zunächst nicht Seilbähnler werden. Mir stand der Sinn nach Abenteuer. Ich hätte mir vorstellen können, zur See zu fahren. Ein Lehrer sagte mir einmal, in Amerika – aber nur in Amerika – gebe es Tellerwäscher, die zu Millionären werden. Diese Vorstellung hat mir Eindruck gemacht. Nachdem aber daheim die väterliche Werkstatt bereitstand und ich bereits Erfahrungen im Seilbahnbau hatte, kam halt eines zum anderen.
Hadern Sie damit?
Nein. Ich bin froh und dankbar, konnte ich damals diese Lehre machen. Es dauerte auch nicht lange, bis ich Gefallen darin fand, meine Abenteuerlust im Seilbahnbau auszuleben. Und Abenteuer waren es. Jede einzelne Seilbahn war eine ganz eigene Herausforderung, der wir uns stellen und die wir meistern mussten.
Sie haben eine handwerkliche Lehre gemacht und sich auch später immer als Handwerker bezeichnet. In der Biografie, die Autorin Rebekka Haefeli über Sie schrieb und die 2019 erschienen ist, erfährt man, dass Sie den heute niedrigen Stellenwert des Handwerks bedauern.
Das ist so. Und schauen Sie sich um: Überall fehlen heute vielseitig begabte Universal-Handwerker. Eine handwerkliche Grundausbildung wird heute von vielen nicht mehr als Weg mit guter Perspektive betrachtet. In meinem Leben habe ich jedoch gelernt, dass man nicht nur in der Schule lernt, wie man Neues kreiert. Man muss vielmehr miterleben, mitdenken und mitanpacken, um zu verstehen, wie Innovation funktioniert. In all meinen Jahren als Unternehmer habe ich immer wieder festgestellt, dass Ingenieure, die auf einem ersten Bildungsweg ein Handwerk lernten – egal ob Zimmermänner, Schreiner, Schlosser, Elektriker – sich in der Praxis oft besser bewährten als Leute, die von der Schulbank weg zum Ingenieur ausgebildet wurden. Diese Qualität geht verloren, wenn der Stellenwert des Handwerks weiter und weiter sinkt.
Nachdem sich Ihr Vater aus dem Betrieb zurückgezogen hatte, taten Sie sich 1957 mit Ihrem Bruder zusammen und führten das Unternehmen in den folgenden Jahrzehnten an die Weltspitze. Welches Verhältnis hatten Sie zu Ihrem Bruder?
Wir hatten ein super Verhältnis. Wir ergänzten uns optimal, verfolgten dieselben Ziele und hatten denselben Drang, permanent vorwärts zu marschieren. Natürlich gab es in der jahrelangen und engen Zusammenarbeit mit dem Bruder auch Auseinandersetzungen. Just um solchen Vorzubeugen, stellten wir mit Karl Trütsch eine externe Führungsperson als kaufmännischen Direktor ein. Obwohl Karl Trütsch im Gegensatz zu uns eher ein Bremser war, der überall immer auf Sicherheit bedacht war, bin ich überzeugt davon, er hat entscheidend dazu beigetragen, dass wir Brüder während so langer Zeit so intensiv zusammenarbeiten konnten.
In der damaligen Zeit existierte in der Schweiz eine grosse und vielfältige Konkurrenz im Seilbahnbau. Neben zahlreichen Kleinfirmen gab es auch mehrere grössere Unternehmen, die sich um die Projekte balgten. Wie kam es, dass im Schweizer Markt mehrere Unternehmen entstanden, die später auch international beachtliche Seilbahnprojekte realisieren konnten?
Als touristisches Alpenland war die Schweiz von Anfang an führend im Seilbahnbau. Schon in den 1930er Jahren wurden beispielsweise mit der Säntis-Bahn Projekte realisiert, die weit herum für Aufsehen sorgten. Von den damals aktiven und bereits namhaften Unternehmen schaute man sich – wo immer sich die Gelegenheit bot – natürlich gerne den einen oder anderen Kniff ab und entwickelte daraus eigene Lösungen weiter. Und Gelegenheiten boten sich zahlreiche. Denn gross wurden wir letztlich, indem wir mit Firmen wie von Roll, auch Doppelmayr, Habegger oder Städeli zusammenarbeiteten und deren Anlagen montierten. In einem so lebhaften Umfeld entwickelte sich das Wissen der Fachleute und in der Folge die Technologie unermüdlich weiter. Daraus entstanden gute Seilbahnen, die man auch im Ausland haben wollte.
Woher nahmen Sie und Ihr Bruder die Zuversicht, als zunächst kleine Bude gegen diese Konkurrenz bestehen zu können?
Das weiss ich selbst nicht (lacht). Wir waren einfach mutig – und schlugen mutige Lösungen vor, mit denen wir uns beweisen wollten. Dies zu Preisen, die sicher auch mithalfen, den Zuschlag zu erhalten.
Dass Sie in frühen Projekten mit gar tiefen Preisen offerierten, wird auch in Ihrer Biografie beschrieben.
Wir hatten am Anfang sicher nicht die nötigen Preise. Und wissen Sie was: Meinen Bruder und mich hat das überhaupt nicht gekümmert. Wir wollten Projekte realisieren, im Seilbahnbau vorwärtskommen. Karl Trütsch, unser kaufmännischer Direktor, sah das naturgemäss etwas anders.
Gab es in der Entwicklung des Unternehmens einen Wendepunkt, nachdem es nicht mehr nötig war, mit möglichst tiefen Preisen zu operieren?
Nein, den gab es nicht. Vielmehr artete der Preiskampf in den 1970er Jahren zum eigentlichen Preiskrieg aus. Und danach hat sich die Situation eigentlich nie mehr entspannt. Aber das war gut für uns und gut für den Seilbahnbau insgesamt. Denn die starke Konkurrenz zwang uns dazu, innovativ zu arbeiten. Und das war, was wir tun wollten.
1968 bauten Sie im Squaw Valley in Kalifornien Ihre erste Seilbahn in Übersee. Die Bahn wurde zum Medienspektakel und sorgte dafür, dass Garaventa international zum Begriff wurde.
Ich kann letztlich gar nicht genau erklären, was entscheidend dafür war: Wir haben einfach an verschiedensten Orten und auch unter herausfordernden Bedingungen sehr gute Projekte realisiert. Dabei ging es uns nicht ums Geld, sondern darum, mit innovativen Ideen die immer wieder neuen technologischen Herausforderungen zu meistern. Und was mir aus heutiger Sicht auch wichtig erscheint: Wir haben immer sofort reagiert, wenn irgendwo eine unserer Bahnen stillstand. Das, was heute als Service oder Kundendienst bezeichnet wird, war von Anfang an ein zentrales Anliegen von uns.
Die Squaw Valley-Bahn steht nicht nur symbolisch für den internationalen Durchbruch von Garaventa, sondern Sie steht auch symbolisch für die Risiken, die im Seilbahnbau lauern. 1978 ereignete sich während eines Orkans ein Unglück, bei dem sich ein Tragseil löste und eine Kabine durchschlug. Vier Menschen starben, 22 wurden verletzt.
Ich erhielt den entsprechenden Anruf an jenem Morgen um 3 Uhr. Mittags um 12 Uhr hob ich bereits in Zürich in Richtung USA ab. Aufgrund der bedrohlichen Gesetzeslage in den USA machte ich mich verdeckt auf ins Squaw Valley, um mir den Unfallort anschauen zu können. Ich konnte nicht fassen, was sich mir dort für ein Bild präsentierte. Es war erschütternd.
Verfolgt einen als Seilbahnbauer die permanente Angst vor genau solchen Unfällen?
Die Angst vor Katastrophen stand bei mir nie im Vordergrund. Und ich will auch heute lieber nicht daran denken, was theoretisch passieren könnte, wenn es bei einer Seilbahn mit Kabinen für über 200 Personen zum Super-GAU käme. Das Risiko und die Verantwortung, die man als Seilbahnbauer angesichts dessen trägt, waren mir allerdings jederzeit bewusst. Während wir uns selbst beim Bau immer wieder sehr grossen Risiken aussetzten, stand die Sicherheit der Seilbahnen immer an oberster Stelle.
Das Squaw Valley-Unglück hätte das Schicksal des Unternehmens besiegeln können. Es folgte ein zehn Jahre andauernder Rechtsstreit mit offenem Ausgang.
Glücklicherweise konnten wir die Sache zu unseren Gunsten abschliessen. Wäre es anders herausgekommen, hätten wir angesichts der in den USA gängigen Schadensersatzsummen sehr wahrscheinlich den Betrieb zumachen können. Aber auch so realisierten wir nach dem Unglück zehn Jahre lang kein Projekt mehr in den USA.
Gab es Momente in Ihrer Unternehmerlaufbahn, in denen Sie am liebsten alles hingeschmissen hätten?
Nein. Aber ich hatte durchaus eine gewisse Angst, dass etwas passieren könnte, das die Firma kaputt macht. Dies nicht nur im Zusammenhang mit dem tragischen Ereignis im Squaw Valley. Sondern auch bei anderen Projekten, bei denen etwas nicht rund lief und finanziell nichts rausschaute. Vielleicht muss ich erwähnen: Wir haben nie auf einem dicken finanziellen Polster gewirtschaftet. Alles, was wir verdienten, steckten wir wieder in die Firma. Uns selbst zahlten wir einen normalen Lohn aus. Wäre die Firma eingegangen, wären wir mit Nichts dagestanden.
Sie waren vorwiegend für die Montage verantwortlich. Entsprechend waren Sie bei internationalen Projekten oftmals monatelang von Ihrer Familie getrennt. Wie gingen Sie damit um? Gerade auch in schwierigen Momenten?
Es war mir in all den Jahren immer wichtig, zumindest über Weihnacht und Neujahr daheim bei der Familie zu sein. Unter dem Jahr aber war ich aber oftmals zwei, drei Monate am Stück weg von daheim. Bei unseren Grönland-Projekt, wo wir Anfang der 1970er Jahre eine Seilbahn zur Black Angel Mine bauten, waren es sieben Monate.
Natürlich fehlte mir da die Familie. Aber Sie müssen sich vorstellen: Ich hatte Baustellen im Nirgendwo, auf denen ich jeweils mit vielleicht 20 Leuten in zwei Schichten vorwärts arbeitete. Spätestens nach jeweils zwei Wochen begannen die Leute, mir ihr Leid zu klagen. Einige hatten Heimweh. Ich auch. Aber es war an mir, diesen Leuten zuzuhören und mir Zeit für sie zu nehmen, sonst wären wir am Schluss ohne Arbeiter dagestanden. Meinen eigenen Kummer schob ich da eher zur Seite.
Wer hörte Ihnen zu?
Es kam vor, dass ich mit einem langjährigen Mitarbeiter auch über meine Sorgen reden konnte. Oder dann mit «Dem da oben». Insgesamt aber hatte ich wenig Zeit, um meine Gefühlslage auszubreiten.
Sie haben in den 1950er Jahren damit begonnen, professionell Seilbahnen zu bauen. Seither hat es eine gewaltige technologische Entwicklung gegeben.
Das kann man wohl sagen. Als ich anfing, biss man sich in der Luftfahrt noch die Zähne an der Schallmauer aus. Heute bedeutet sie für Flugzeugbauer keinerlei Herausforderung mehr. Eine ähnliche Entwicklung fand im Seilbahnbau statt. Ich erwischte zweifellos die spannendste und beste Zeit in dem Metier. Vom einfachsten «Chnorzibähnli» bis zur computergesteuerten und sensorüberwachten Grossraum-Pendelbahn habe ich alles erlebt. Diese Entwicklung nicht nur persönlich mitgestalten zu können, war ein grosses Privileg.
Auch in der Planung wurden dank Computertechnik riesige Sprünge gemacht.
Ich habe noch Seilbahnbauer erlebt, die rudimentär ein Telefonseil übers Terrain hinabzogen und überall dort, wo es auflag, eine Stütze vorsahen (lacht). Heute macht man nach wie vor Rekognoszierungen vor Ort. Dann aber werden die Seilbahnen komplett am Computer geplant und simuliert.
Vertrauen Sie dieser modernen, virtuellen Planungsweise?
Natürlich, denn die verantwortlichen Planer sind ja entsprechend ausgebildet und wissen, was sie tun. Ich bin absolut begeistert von den technologischen Möglichkeiten, die im modernen Seilbahnbau zur Verfügung stehen. Aber man darf sich nicht der Illusion hingeben, es könnte deshalb nichts mehr passieren. Eine Schraube ist keine Schraube. Dieses Kredo gilt auch im Zeitalter der digitalen Planung.
In Ihrer Biografie heisst es, sie betreten heute Seilbahnen ängstlicher, insbesondere bei Wind. Kommt es vor, dass Sie vor einer Seilbahn rechtsumkehrt machen?
Ja. Aber es ist nicht die Seilbahntechnik, die mir Sorgen macht. Sondern der Wind. Ich habe in all den Jahren zu viel erlebt, um den Wind auf die leichte Schulter zu nehmen. Ich sage Ihnen: Wenn Sie einmal in einer Kabine gestanden sind, die soweit auspendelt, dass sie den Mast nicht mehr passieren kann und deshalb einen Nothalt einlegen muss, dann vergessen Sie das nie mehr. Und so kommt es heute tatsächlich vor, dass ich heute vor Seilbahnen umkehre, wenn es für meinen Geschmack zu viel Wind hat.
Ende der 1980er-Jahre verstarb Ihr Bruder. Sie verloren damit nicht nur ein enges Familienmitglied, sondern auch Ihren langjährigen Geschäftspartner. War das für Sie der Auslöser, um die Zukunft der Unternehmung ohne Sie zu planen?
Auch, aber nicht nur. Ich hatte selbst mit gesundheitlichen Problemen zu kämpfen. Es zeichnete sich ab, dass ich nicht mehr wie gewohnt auf Montage gehen kann. Also stellte sich die Frage: Was nun? Ich suchte gemeinsam mit unserem Finanzchef Karl Trütsch nach Alternativen. Konkret nach einer Variante, die den Fortbestand der Firma gewährleistete und mir zugleich die Möglichkeit bot, auf den Ruhestand hin noch ein Auskommen zu erhalten. Wir hielten einen Management-Buy-Out für die beste Lösung und setzten einen solchen erfolgreich um.
Es gelang also, das Unternehmen zu erhalten. Trotzdem: Wie war es für Sie, den Familienbetrieb, den Sie mit Ihrem Bruder aufgebaut und gross gemacht hatten, aus der Familie zu geben?
Das machte mir tatsächlich Mühe. Und zwar eine recht lange Zeit. Ich musste mir nach diesem Übergang auch aktiv Ablenkung suchen, um nicht stets an dem Entscheid herum zu grübeln. Ich realisierte dann innert fünf Jahren die Schiessanlage Selgis in Muotathal, die mittlerweile 2300 Mitglieder hat. Wenn ich heute zurückblicke, kann ich sagen: Ich bereue es nicht, es war der richtige Schritt.
WILLY GARAVENTA – Biografie des Schweizer Seilbahnpioniers: Vieles aus dem Unternehmerleben von Willy Garaventa, das in diesem Interview nur gestreift oder ganz weggelassen wurde, ist in der 2019 erschienenen Biografie von Rebekka Haefeli ausführlich und lebhaft erzählt. Auf der Basis zahlreicher Interviews erzählt die Autorin anschaulich die aussergewöhnliche Biografie von Willy Garaventa und die Firmengeschichte. Ein spannender, reich bebilderter Beitrag zur Schweizer Seilbahngeschichte, der bis in die Gegenwart reicht. Das Buch ist im Verlag Hier und Jetzt erschienen. ISBN: 978-3-03919-476-6.