Er steht häufig kopf, sein Publikum tut es immer. Janick Zebrowski ist der beste Breakdancer der Schweiz. Für seine Leidenschaft hätte er fast die Lehre abgebrochen. (Migros-Magazin Nr. 23/2011)
Ein später Freitagnachmittag. Basels Strassen sind zunehmend verstopft. Auch vor dem Jugendtreffpunkt Soca, wie man hier das Sommercasino nahe dem Hauptbahnhof nennt, herrscht reger Verkehr. Junge Männer treffen sich nach der Arbeit, trinken Bier, rauchen Verbotenes und bereden Versautes. Man gibt sich locker, und man gibt sich Mühe, möglichst finster dreinzublicken.
Wenn er tanzt, staunen selbst die schweren Jungs
Teil dieser Szene ist der Basler Janick Zebrowski, 25 Jahre alt. Er ist es gewohnt, inmitten versammelter Coolness zum Mittelpunkt zu werden. Seit Anfang Jahr gilt er als der beste Breakdancer der Schweiz. Am Festival Au-delà des préjugés in Lausanne, der inoffiziellen, aber in der Szene anerkannten Solo-Schweizer-Meisterschaft im «1 vs. 1», wurde er zum Champion 2011 gekürt. Bereits drei Mal gewann er davor mit seiner Tanzgruppe, der Breakdance-Crew Ruff’n’X, den Schweizer-MeisterTitel im Team. Jetzt hat er den Thron auch als Einzeltänzer erklommen. «Es war die Erfüllung eines Traums», sagt Zebrowski. Als er vor dem Sommercasino ein paar Müsterchen seines Könnens zum Besten gibt, vergessen die schweren Jungs glatt, weiter zu bluffen.
Vor mehr als zehn Jahren ist Janick Zebrowski mit dem Breakdance in Kontakt gekommen. Noch länger ist Hip-Hop seine musikalische Vorliebe. Eine Szene, in der man damals nicht nur konsumierte, wie Zebrowski erklärt: «Wer Hip-Hop mochte, trug auch selbst etwas zu dieser Kultur bei.» Und dieser Breakdance «flashte» ihn so sehr, dass er dafür alles andere vernachlässigte. Es kam zu Problemen in der Schule und schliesslich zum Ultimatum der Eltern: voller Einsatz, auch in der Schule – oder Auszeit, Abstand von Freunden und Tanz.
Zwei Jahre verbrachte Zebrowski in der Folge in einem Internat im Berner Oberland. Was er damals nicht verstand, lobt er heute als gute Entscheidung seiner Eltern: «Es war das Richtige im richtigen Moment, die nötige Notbremse», sagt Zebrowski. In ihm reifte die Einsicht, wie wichtig schulische und berufliche Abschlüsse sind. «Gerade in der Schweiz, wo einem Zeugnis oft mehr Wert beigemessen wird, als dem effektiven Können eines Menschen», kritisiert Zebrowski «das System».
Auch beim Fotografieren kann man sich ausdrücken
Dem Tanzen hat er jedoch weder während des Internataufenthalts noch danach abgeschworen. Im Gegenteil: Nach seiner Rückkehr startete er erst richtig durch. Er besuchte die Diplommittelschule, «weil sie mir wenig abverlangte und entsprechend viel Zeit fürs Tanzen liess». Er trainierte unablässig, zeigte sich bald schon an Wettbewerben, in denen sich die Breakdancer im direkten Duell – sogenannten Battles – messen. Mit zunehmendem Wettkampferfolg.
Nach einem längeren Aufenthalt in Argentinien machte er eine Berufslehre als Fotograf. Bis zur Abschlussprüfung. Widerwillig. «Die Lehre erforderte viel Engagement, auch in der Freizeit. Doch gerade diese Freizeit wollte ich dem Tanzen widmen», sagt Zebrowski. Als es dann darum ging, für die Lehrabschlussprüfung ein freies Projekt zu realisieren, ging der Knopf auf: Plötzlich habe er gemerkt, dass beides, die Fotografie und der Tanz, ihm die Möglichkeit geben, sich frei auszudrücken, sagt Zebrowski. Damit war eine neue Leidenschaft geboren.
Es gehört zum Spiel, den Gegner zu verunsichern
Seit knapp drei Jahren verdient er sein Geld als freischaffender Fotograf und ist zeitlich so flexibel, dass der Tanz darunter nicht leidet. Gleichzeitig weiss Zebrowski, dass er irgendwann mit dem Breakdance an eine Alterslimite stossen wird. «Ich bin deshalb sehr glücklich, neben dem Tanzen eine zweite Leidenschaft gefunden zu haben, die ich weiterführen kann, wenn das mit dem Tanzen nicht mehr geht», sagt er.
Die Breakdance-Szene und die Hip-Hop-Szene allgemein versammeln zahllose Klischees auf sich, die bei genauerer Betrachtung bisweilen gar nicht so falsch sind. Das liegt an der historischen Verknüpfung dieser Subkultur mit dem Gangwesen in unterprivilegierten, vorwiegend amerikanischen Quartieren. Hip-Hop gab den rivalisierenden und ge- waltbereiten Gruppierungen die Möglichkeit, ohne Körperkontakt zu kommunizieren: Graffiti als Reviermarkierungen, der Rap als verbale Auseinandersetzung, Breakdance als direkte Kampf- begegnung ohne Kontakt. Trotz gesellschaftlichem und kommerziellem Durchbruch des Hip-Hops sind Aggression und Kampf noch heute prägende Grössen, auch im modernen Breakdance.
Zebrowski spricht von «Kriegs- zustand», von «Provokation» und von «Fertigmachen», wenn er von Breakdance-Battles berichtet. Aber er ist über die Jahre «tänzerisch erwachsen» geworden, wie er es umschreibt. «Klar, es gibt an einem Wettkampf viele Möglichkeiten, um den Gegner zu ver- unsichern. Mal ziehe ich mir die Kapuze ins Gesicht und schaue böse. Mal irritiere ich mit sorg- losem Lächeln. Mal zeige ich mit dem Finger auf einen der Kontrahenten. Es gehört mit zum Spiel, diese Möglichkeiten gezielt ein- zusetzen. Mittlerweile ist das für mich aber ein Nebeneffekt.»
Sein Ziel sei es vielmehr, sich von den Provokationen anderer zu lösen. «Ich will meinen Tanz tanzen, egal, wer mir gegenübersteht, wer mir zusieht oder wer mich allenfalls bewertet.»