«Das Image hinkt hinterher»

Seit bald anderthalb Jahrzehnten kümmert sich Beat Jenni als Leiter des Ausbildungszentrums SBV um den Baukader-Nachwuchs. Ein Gespräch über Praxisbedarf, öffentliche Wahrnehmung, Geld und Karriere. (die baustellen Nr. 06/11)

«die baustellen»: Rund 12 Prozent aller im Bauhauptgewerbe Beschäftigten besuchen Ausbildungen im AZSBV. Durchschnittlich besucht jeder der rund 80‘000 im BHG Tätige jährlich einen halben Tag Unterricht im AZSBV. Sie können sich nicht über mangelnde Kundschaft beklagen.
Beat Jenni: Obwohl wir der grösste und wohl wichtigste Anbieter von Bildung im Baugewerbe sind, sind wir nicht der einzige Anbieter. Dennoch: Für die rund 80‘000 im Bauhauptgewerbe Beschäftigten führt fast kein Weg an Sursee vorbei. Die Nachfrage nach Bildung ist konstant hoch.

Ein Quasi-Monopol?
Im Verkehrswegbau haben wir Exklusivverträge mit dem Fachverband Infra. Wir können die Lehrgänge dadurch wirtschaftlich gestalten und genau auf die Bedürfnisse und Anforderungen des Branchenzweigs ausrichten. Eine grössere Konkurrenzsituation herrscht im Bildungsbereich des Hochbausektors. Der entsprechende Markt ist aber auch grösser, die verschiedenen Angebote ergänzen sich.

Welchen Trend zeigen die vergangenen Jahre?
Wir haben in den vergangenen Jahren eine kontinuierliche Steigerung der Nachfrage verzeichnet. Das ist erfreulich und begründbar: In einer wirtschaftlich anspruchsvollen  Situation, wie sie im Bauhauptgewerbe nach wie vor vorliegt, wird mit kleineren und besser ausgebildeten Teams gearbeitet. Es erfordert mehr Führungskräfte, wenn die gleiche Arbeit mit weniger Personal verrichtet werden soll, woraus eine gesteigerte Nachfrage nach unseren Lehrgängen resultiert. Daneben hat die Erschliessung von neuen Fachbereichen ebenfalls zum Zuwachs beigetragen.

Mit welcher künftigen Entwicklung rechnen Sie?
Ich gehe davon aus, dass die Nachfrage mittelfristig nicht nachlassen wird. Wir planen mit einer weiteren, leichten Steigerung. Nicht nur im Kerngeschäft der höheren Berufsbildungen, sondern auch mit neuen Angeboten. Neue Technologien und veränderte Aufgaben, wie zum Beispiel Werterhaltung der Bausubstanz , können veränderte Bildungsinhalte erfordern. Die Ausbildungen sind laufend den Bedürfnissen anzupassen.  

Einst arbeiteten 200‘000 Menschen im Bauhauptgewerbe. Heute sind es rund 80‘000. Wie stehen die traditionellen Bereiche da im Vergleich zu den neuen Angeboten?
Ein Teil unserer positiven Entwicklung ist auf die Erschliessung neuer Bereiche und damit auch neuer Kunden zurück zu führen. Aus den genannten Gründen laufen aber auch die traditionellen Angebote gut und bilden unser Kerngeschäft der Ausbildung von Baukadern.  Man darf nicht vergessen: In der Hauptsaison arbeitet das Bauhauptgewerbe mit rund 20‘000 zusätzlichen Temporären. Auch diese müssen geführt werden, was einen entsprechenden  Kaderbedarf  voraussetzt. Übrigens sind wir bestrebt, Angebote zu generieren, mit denen wir auch die temporären Angestellten auf ihre Einsätze vorbereiten können.

Sie haben angetönt, dass heute mit weniger, dafür besseren Leuten gearbeitet wird.
Wenn ich heute mit Baumeistern spreche, bestätigen sie es mir: Nur mit den besten Leuten hat man Erfolg. Dabei ist die Ausbildung das A und O. Man merkt das auch auf der Baustelle: Früher gab es Handlanger, heute kaum mehr. Fast ausnahmslos arbeiten ausgebildete Leute auf der Baustelle.

Kommt der Impuls zu besserer Ausbildung von der Qualitäts- oder von der Effizienzseite her?
Sowohl als auch. Man hat heute kurze Bauzeiten, um komplexe Bauten zu einem günstigen Preis zu erstellen. Um dies zu ermöglichen, ist jeder Bereich gefordert. Vor allem die Ausbildung  hilft Arbeitsabläufe bei der Ausführung zu optimieren und wirtschaftlich zu planen und umzusetzen.

Sie sprechen von einer Erhöhung des Ausbildungsgrades im Baugewerbe. Gleichzeitig wird die Tätigkeit im Baugewerbe in der Öffentlichkeit eher als unqualifizierte Arbeit wahrgenommen.
Das ist ein echtes Problem. Das Image hinkt der Realität hinterher. Der Bauarbeiter der früheren Jahre trank oft Bier, war verschwitzt und schmutzig. Betrachtet man die heutigen Anforderungen auf dem Bau, muss anerkannt werden, dass es sich um anspruchsvolle, handwerkliche Arbeit handelt. Eine Arbeit zudem, die jungen Menschen Aufstiegschancen bis hin zum Baumeister bietet. Das reale Bild zu vermitteln, bei Eltern, bei Berufsberatern, in Schulen, ist eine zentrale Aufgabe, die auch wir heute wahrzunehmen haben.

Hat man Mühe, aufgrund des negativen Images gut qualifizierte Schulabgänger ins Baugewerbe zu bringen?
Der Anteil an Sek-Schülern ist sicher nicht gross. Trotzdem sieht man immer wieder Lernende mit grossem Potential für eine erfolgreiche Kaderkarriere. Es ist aber auch wichtig, dass diese willigen jungen Berufsleute während der Lehrzeit begleitet und gefördert werden.

Wie viele qualifizierte Kaderleute fehlen?
Auf Stufe Polier bilden wir zwei Drittel des Bedarfes aus. Auf Stufe Bauführer und Baumeister ist es zirka die Hälfte des Kaders, das es langfristig bräuchte, um die Unternehmungen auszurüsten.

Führt das dazu, dass man Leute weiterzieht, die eigentlich gar nicht dazu geeignet wären?
Das kann man so nicht sagen. Übernimmt ein Polier Bauführerausgaben ist er in der Regel zwar als Führungsperson geeignet, zum Teil fehlt aber die theoretische Weiterbildung welche eigentlich vorhanden sein sollte um die neuen Aufgaben zu bewältigen. Der Bedarf wird oft auch über qualifizierte Fachleute aus dem Ausland gedeckt.

Derzeit wird das Thema Personenfreizügigkeit wieder heiss diskutiert. Immer wieder heisst es, es würden – gerade aus neu integrierten Oststaaten – massenhaft unqualifizierte Arbeitskräfte beispielsweise ins Baugewerbe strömen. Was ist davon zu halten?
Die Angst ist meines Erachtens unbegründet. Denn wie bereits erwähnt gibt es heute in der Schweiz wenig Aussicht, ohne Qualifikation und Ausbildung eine Anstellung im Baugewerbe zu erhalten.

Ein paar Jahre ist es nun schon her, seit sich Ihre Institution modern «Campus» nennt. Weshalb hat man diesen Schritt gemacht?
Das rechtliche Gebilde ist 2001 entstanden, die Stiftung für Ausbildung und die Stiftung Ausbildungszentrum des Schweizerischen Baumeisterverbandes. Und seit sechs Jahren heisst dieses Gebilde «Campus Sursee». Als die Idee umgesetzt wurde, stand der Grundsatz im Zentrum, dass jeder der hier ansässigen Partner seine Kernkompetenz lebt und leistet: Wir, die Berufsfachschule für Verkehrswegbau und die Maurerlehrhalle Sursee, alles übrigens selbständige Schulen. Organisatorisch sind die drei Eckpfeiler unabhängig. Die Stiftung für Ausbildung, als Dienstleister für alle drei Bildungsanbieter, ist gewissermassen eine Dachorganisation – welche, rechtlich wiederum selbständig, Dienstleistungen erbringt in Verpflegung, Unterkunft, im Bereitstellen von Räumlichkeiten, im Organisieren und Betreiben des ganzen Areals. Der Name Campus Sursee soll branchenneutral auf ein Bildungszentrum hinweisen und die Öffnung des einstigen Baumeisterzentrums für neue Partner in der Bildung dokumentieren.

Für ein praxisorientiertes Ausbildungszentrum ist die Vernetzung mit der realen Wirtschaft zentral. Wie funktioniert diese?
Sehr gut. Die Zusammenarbeit findet in zwei Arten statt: Einerseits in der Partnerschaft mit dem SBV, der als Organisation der Arbeitswelt unsere Aufgaben und Ziele definiert. Daneben findet ein enger und persönlicher Kontakt mit den Baumeistern statt. Von ihnen bekommen wir Rückmeldungen darüber, was sie benötigen, wo der Schuh drückt. Kommt hinzu, dass Leute bei uns arbeiten, die im Laufe ihrer Karriere Unternehmen oder Abteilungen in der Branche geführt haben. Praktiker, die über viel Erfahrung verfügen und in der Branche vernetzt sind. Die externen Ausbildner stammen alle aus der Praxis, bringen das aktuelle Wissen aus dem Beruf in die Ausbildung.

Am Ausbildungszentrum betätigen sich ein paar hundert Lehrkräfte. Wie ist das zu organisieren?
Es ist eine Herausforderung. Über 350 externe Ausbildner, Instruktoren und Experten bilden aus und prüfen bei uns. Sie kommen aus der Praxis, arbeiten in Unternehmungen, stehen folglich permanent in Kontakt mit realen Problemen und Herausforderungen, was zu einem sehr zeitgemässen und sehr praxisorientierten Unterricht führt. Es ist sehr komplex, diese grosse Anzahl an Ausbildner zeitlich und inhaltlich in den Ausbildungen zu koordinieren.

Das Erfolgsmodell der höheren Berufsbildung kämpft bisweilen um Anerkennung. Bildungsbeiträge werden ungleich verteilt. Wie präsentiert sich die Situation?
Mit dem neuen Berufsbildungsgesetz, das 2004 in Kraft gesetzt wurde und seit 2008 auch für die Finanzierung massgeblich ist, haben sich für uns Schwierigkeiten ergeben. Die Fachschulvereinbarung, durch welche die Beiträge geregelt sind, kennt das à la Carte-Prinzip. Der Kanton kann also entscheiden, für welche Bildungsgänge er Beiträge bezahlt. Im Moment können wir uns glücklich schätzen. Wir erhalten die Kantonsbeiträge. Einen rechtlichen Anspruch darauf, dass wir sie auch in kommenden Jahren noch erhalten, gibt es jedoch nicht.

Was, wenn die Beiträge nicht mehr fliessen?
Unser Standortkanton Luzern legt fest: Wenn ein Kanton für seine Kantonsbewohner keine Beiträge mehr zahlt, müssen wir diese Kosten zwingend dem Unterrichtsteilnehmer verrechnen. Zum Glück haben wir diese Situation derzeit nicht.

Ob sie allerdings eintritt, liegt in den Händen von Politikern.
Wir brauchen ein klares politisches Bekenntnis der Politik zum System der höheren Berufsbildung, dazu gehört auch die Bereitschaft zur finanziellen Unterstützung. Man kann sich fragen, ob wirklich jeder Politiker, der letztlich darüber entscheiden kann, über vertiefte Kenntnisse der Schweizer Berufsbildungslandschaft verfügt. Ich habe in Gesprächen  oft das Gefühl, es herrsche Aufklärungsbedarf.

Welches sind die Irrtümer?
Es sind häufig nicht Irrtümer. Es ist die Unkenntnis darüber, wer welche Rolle in diesem gesamten Wirtschaftskonzept spielt. Damit die Wirtschaft funktioniert, bedarf es auf jeder Hierarchiestufe einer adäquaten Aus- und Weiterbildung. Die Ausbildungen der höheren Berufsbildung decken im Wesentlichen die Produktion ab, die Hochschulen befassen sich mit der angewandten oder theoretischen Entwicklung und Forschung. Das System funktioniert nicht, wenn ein sehr grosser Teil des verfügbaren Geldes in die Hochschulbildung fliesst – die Ausbildungen der höheren Berufsbildung aber wesentlich weniger unterstützt werden.

Auf dem Bau ist eine Karriere abseits von Hochschulen möglich. Sie gipfelt innerhalb des SBV in der Position des Baumeisters. Wird diese häufig angestrebt?
Das Diplom als Baumeister erhalten jährlich etwa 30 Teilnehmer. Jährlich bräuchte es rund 60 Absolventen, damit die entsprechenden Unternehmen und Abteilungen von einem Baumeister geführt werden könnten.

Weshalb streben nicht mehr Leute den Baumeister an?
Das Geld wird eine nicht unwesentliche Rolle spielen. Wir sprechen von 110 Tagen Präsenz-Unterricht. Das kostet rund 30‘000 Franken. Dazu kommen allenfalls Kosten für die Unterkunft. Weiter kommt der Lohnausfall dazu, den irgendjemand bezahlen muss – häufig die Unternehmung. Es sind beträchtliche Kosten, die den einen oder anderen davon abhalten, die Ausbildung zu machen. Deshalb sind die Beiträge der Kantone so wichtig.

Abgesehen von allfälligen finanziellen Beteiligungen: Wie gross ist die Bereitschaft der Firmen, ihre wahrscheinlich besten Mitarbeiter für den Schulbesuch zu entbehren?
Soweit ich das beurteilen kann, ist die Bereitschaft bei mittleren und grösseren Unternehmungen vorhanden. Die Ausbildungsteilnehmer stammen zu einem wesentlichen Teil aus diesen Unternehmungen.  Sie haben in der Regel weniger Mühe, mit Stellvertretern zu arbeiten. Bei Kleinunternehmungen ist es schwieriger. Dort ist ein Bauführer entweder anwesend oder nicht anwesend. Und wenn er nicht anwesend ist, fehlt er. Für diesen Bereich haben wir deshalb das Angebot der berufsbegleitenden Ausbildung zum Baumeister. Interessanterweise haben wir Schwierigkeiten, für dieses Angebot genügend Teilnehmer zu finden.

Das Teilzeitmodell erfordert einen riesigen Effort der Betreffenden. Sie können vielfach das Arbeitspensum nur leicht reduzieren, verbringen das halbe Wochenende in der Schule, haben nicht selten bereits Familie mit Kindern. Das Erklärt vielleicht das mangelnde Interesse.
Sicher zum Teil. Es sind sehr hohe Belastungen, denen sich die Teilzeitler aussetzen müssen. Ideal wäre es, wenn die Arbeitspensen sinnvoll reduziert werden könnten. Aber seien wir ehrlich: Die meisten arbeiten dann trotzdem, wenn viel Arbeit im Geschäft wartet. Irgendwo müssen letztlich Konzessionen gemacht werden. Man muss bereit sein sich einzuschränken, anders geht es nicht. Trotzdem, Führungsverantwortung tragen und sich gleichzeitig weiterzubilden ist nur mit diesem Modell möglich.

Was wird sich in Sachen Weiterbildung in den nächsten zehn Jahren verändern?
Ich vermute, dass sich nicht sehr viel ändern wird, wenn der Bau nicht einen massiven «Gump» macht. Und das kommt im Bau nicht so häufig vor. Im Gegenteil, wir müssen sicherstellen, dass weiterhin das dreistufige Model mit den Berufsprüfungen (Polier mit Fachausweis), die höhere Fachschule Bauführung und die höhere Fachprüfung Baumeister in dieser Form erhalten bleiben.

Einen «Gump» hat dafür der Campus Sursee in den letzten Jahren gemacht. Ist es damit für die nächsten Jahre getan?
Ja. Die meisten Gebäude sind jetzt renoviert und notwendige Erweiterungen realisiert. Wir haben in den grossen Konferenzsaal investiert, die Hotelerie ausgebaut und starten jetzt mit einem neuen Wohnhaus für Lernende. Trotzdem sind noch einige Sanierungs- und Erweiterungsarbeiten nötig. Zudem muss ein Parkhaus erstellt werden und das Ausbildungsgelände für Baumaschinenführer möchten wir noch erweitern. Eine Entwicklung dieses Ausmasses wird tatsächlich ein Weilchen herhalten müssen. Deshalb werden wir in den nächsten Jahren eher an den Angeboten arbeiten: Unsere Leistungen optimieren, anpassen und verbreitern, damit bestehende Kunden gehalten und neue Kunden gewonnen werden können.

Sie sind bald 64 Jahre alt. Ist Ihre Nachfolge schon geregelt?
Nein. Das ist eine Aufgabe, dessen sich der Stiftungsrat annehmen muss. Der Prozess läuft, das Anforderungsprofil wurde erstellt. Die Ausschreibung wird in der zweiten Hälfte dieses Jahres erfolgen.

Spüren Sie bereits Wehmut?
Ich werde hie und da gefragt, wie lange ich noch arbeiten müsse. Ich schildere dann jeweils, wie lange ich noch arbeiten darf. Ich freue mich, meine Funktion noch bis Ende des nächsten Jahres ausfüllen zu können.

Müssen Sie denn zwingend mit 65 Jahren abtreten?
Gäbe es Probleme, einen Nachfolger zu finden, könnte ich mir durchaus vorstellen, für eine Übergangslösung Hand zu bieten. Grundsätzlich ist es aber sehr wichtig, dass man auch als Führungskraft zu gegebener Zeit einer neuen Führungsgeneration Platz machen kann.  Nach dem Ausscheiden im AZ SBV werde ich mich aber weiter für die Bildung und den Bau einsetzen. Erste Ideen bestehen, vieles ist aber noch offen. Auf jeden Fall: Nichts tun ist nicht meine Art.

Beat Matter

Beat Matter

Ich schreibe. Und ich fotografiere. Beides fliessend. Für Medien, Unternehmen, Stiftungen, Verbände, Vereine und Private.

Gerne gelesen? Hier gibt es mehr davon.