Bianca Lenz wäre weltbekannt, wenn sie ihren Sport auf Schnee ausüben würde. Die 19-Jährige ist achtfache Schweizer Meisterin, Junioren-Weltmeisterin und WM-Bronze-Gewinnerin im Grasskifahren. (Migros-Magazin, 30.08.2010, Nr. 35/2010)
Sie zwängt sich in den Rennanzug. Der Helm steckt schon auf dem Kopf. Die Füsse stecken in Skischuhen. Jetzt noch die Brille vor die Augen und die Handschuhe anziehen, dann ist die 19-jährige Bianca Lenz bereit. Sie stösst sich mit den Stöcken ab und flitzt auf seltsam anmutenden Geräten an den Füssen den kleinen Hang neben dem elterlichen Bauernhof hinunter. Es scheint, als würde sie Ski fahren. Doch Schnee ist nirgends zu sehen.
Wenn sie keinen Sport treibt, wird sie grantig
Bianca Lenz aus Oberuzwil SG ist die beste Grasskifahrerin der Schweiz. Im vergangenen Jahr wurde sie Junioren-Weltmeisterin in der Superkombination und gewann Bronze an der WM der «Grossen» im Slalom. Dazu kommen acht Titel bei Schweizer Meisterschaften. Weil sie ihre Knie nach jahrelangen Problemen und mehreren Operationen endlich auskurieren lassen muss, darf sie die laufende Saison nicht bestreiten. Ihren Weltmeistertitel hat sie deshalb Anfang August verloren.
«Es machte mir schwer zu schaffen, eine ganze Saison nicht fahren zu können», sagt Lenz, die während des Gesprächs kaum eine Sekunde still sitzen kann. Sie rutscht auf der Küchenbank hin und her, erzählt und lacht mit dem ganzen Körper. Die Freizeit, die ihr nun neben ihrer KV-Lehre bleibt, vertreibt sie sich mit Ausgleichssport. «Zum Glück», seufzt Mutter Louise. Bianca werde «uliidig», wenn sie keinen Sport treiben könne.
Bereits mit zweieinhalb Jahren steht Lenz auf Skiern. Später will sie Skirennfahrerin werden. Sie tritt einem Club bei, bestreitet Wettkämpfe. Obwohl eine filigrane Technikerin, realisiert sie mit 13 Jahren, dass es nie bis an die Spitze reichen wird. Zu dieser Zeit bietet ihr Skiclub ein Grasski-Schnupper-Wochenende an.
An einem offiziellen Wettkampf probiert Lenz die Disziplin aus, welche vor allem die Skistars der Siebziger- und Achtzigerjahre als Sommertraining betrieben haben: mit Spezialgeräten auf Gras Ski fahren. Lenz fährt beim ersten Versuch direkt auf das Podest. Doch der sportliche Erfolg ist nur ein Aspekt, der sie zu den Gras-Skifahrern zieht. «Da herrschte eine ganz andere Stimmung als im Skizirkus», sagt sie. Richtig familiär sei es zugegangen. «In den zahlreichen Kadern der Skifahrer kennt man sich kaum.»
Mit 15 Jahren tritt Lenz in das Junioren-Kader ein. Von da an finden jedes Wochenende Trainings statt – oder Rennen: im deutschsprachigen Europa, in Italien und Tschechien. Weil im Grasski keine Profi-Karriere möglich ist, beginnt Lenz die Kantonsschule. Zwei Jahre hält sie durch. Dann kommt der Zusammenbruch. Heulend sei sie von der Schule gekommen, erzählt Mutter Louise. Ihr sei mitgeteilt worden, dass sie entweder ein Jahr wiederholen, an eine Sportschule wechseln oder ihren Sport aufgeben solle. Das ist zu viel für Lenz. Sie hatte sich dafür aufgeopfert, um Schule und Sport unter einen Hut zu bringen. Nicht selten lernte sie bis Mitternacht, schlief vier Stunden und lernte dann weiter, weil an den Wochen-enden keine Zeit blieb. Doch was Lenz an diesem Umstand «so hed möge», ist nicht die Überlastung. «Nein, ich ertrage es nicht, wenn ich nicht erreiche, was ich mir vorgenommen habe.»
In dieser Situation will Lenz von Schule nichts mehr wissen. Da fragt Mutter Louise ihren Milch-Lieferanten an, ob er irgendeine Möglichkeit sehe. Der Inhaber kennt Lenz, weil sie schon während der Ferien bei ihm arbeitete. Er schafft eigens für sie eine KV-Lehrstelle – zwei Tage später wird der Lehrvertrag unterschrieben. Seither stimmt das Umfeld. Im Winter macht sie Überstunden, die sie während der Saison, die von Anfang April bis Ende September dauert, wieder abbaut.
Im Leben der jungen Spitzensportlerin bleibt kaum Zeit für ein Privatleben. Das hat Bianca Lenz längst akzeptiert. Dennoch: «Hie und da würde auch ich gerne an eine Party. Oder einen Freund zu haben, wäre sicher schön. Doch müsste er so flexibel sein, dass ich ihn auch mal für zehn Minuten herbestellen könnte, wenn es gerade passt.»
An der Heim-WM strebt Bianca Lenz Gold an
Bianca Lenz ist zu vielen Konzessionen bereit, wenn sie dem Erfolg dienen. Die Knie schmerzen bereits seit der Kindheit. Oft konnte sie nur mit Schmerzmitteln an den Start gehen. «Es ist meine Leidenschaft. Wenn ich auf dem Podest stehe, die Medaille um den Hals, die Flagge im Wind und die Nationalhymne in den Ohren, dann weiss ich, dass es sich gelohnt hat», sagt sie.
Nächstes Jahr will Bianca Lenz das Gefühl wieder haben. Zum letzten Mal wird sie an der Junioren-WM teilnehmen können, und selbstverständlich will sie auch die WM der «Grossen» bestreiten. Die Wettbewerbe finden im Atzmännig statt. Ein Heimspiel, das Lenz gerne vergolden möchte. Ihr Horizont reicht bis zu den Weltmeisterschaften 2013 in Japan. Was danach kommt, ist offen.