Romano Agola sucht nach Gegenständen, die seit Hunderten oder Tausenden von Jahren im Boden lagern. Früher handelte der Schatzsucher auf eigene Faust, heute tut er es für archäologische Ämter. (Migros-Magazin, 16.01.2012, Nr. 03/2012)
Nebel streicht durch den Wald. Ein Mann hantiert mit einem metallenen Stab. Er hat einen Pickel bei sich und ein Gerät am Ohr. Seine Bewegungen sind bedächtig. Plötzlich hält er inne und beginnt zu graben. Eine Joggerin nähert sich auf dem Waldweg. Als sie den Mann von Weitem erblickt, bleibt sie irritiert stehen. Sofort ruft ihr der Mann zu: «Grüessech. Müesst nid erchlüpfe!» Mit einem Lachen auf dem Gesicht läuft Romano Agola auf die Joggerin zu und erklärt ihr, was er hier tut.
Romano Agola (47) aus Ramsei BE ist Schatzsucher. Mit seinem Metalldetektor führt er sogenannte Prospektionen durch, Begehungen. Er sucht im Boden nach metallenen Stücken mit historischem Wert: Münzen, Schmuck, Werkzeuge, Alltagsgegenstände. Romano Agola ist in offiziellem Auftrag unterwegs, als privater Mitarbeiter von kantonalen archäologischen Ämtern. Er ist einer von wenigen legalen Suchgängern in der Schweiz. Und er ist der Einzige, der für sein Hobby von den Kantonen entschädigt wird. Sie zahlen, weil Agola ein Garant für Funde ist und weil er sich an die Regeln hält. Hauptberuflich arbeitet er bei einem Edelmetallhändler. Job und Hobby trenne er strikt, sagt er.
«Herr Agola ist eine Ausnahmeerscheinung», sagt Jürg Manser, Kantonsarchäologe in Luzern. Am Schluss einer Prospektion erhalte man von ihm sauber abgepackte Funde inklusive detaillierte Fundberichte. Anders als illegale Schatzjäger orientiere sich Romano Agola an wissenschaftlichen Grundsätzen, sagt Manser. Daniel Gutscher, Kantonsarchäologe in Bern, ergänzt, Agola habe sich die methodischen Grundlagen der Archäologie in mühevoller Kleinarbeit angeeignet. «Kein Wunder, dass er erfolgreich ist», sagt Gutscher. Agola ist ein Glücksfall für die Ämter. Doch das war er nicht immer.
Eine römische Münze war der erste Fund
Seine Faszination für historische Fundstücke wurde früh geweckt. Als Kind führte ihn sein italienischstämmiger Vater zu den grossen Fundstätten Italiens. «Seither steckt der Wunsch in mir, historisch wertvolle Dinge zu finden», sagt Romano Agola. In der Lehre als Automechaniker kaufte er sich einen Metalldetektor und begann, grössere Gebiete abzusuchen. Jahrelang barg er «modernen Schrott» — Alupapierchen, Cervelatringe und sonstiges wertloses Zeug. Ende der 1980er-Jahre buddelte er erstmals eine römische Münze aus. Jetzt kommt die Archäologie ins Spiel, wusste er sofort. Er trug die Münze zur Bernischen Kantonsarchäologie. Dort wurden ihm die Leviten gelesen. Denn in der ganzen Schweiz ist die wilde Suche nach historischen Gegenständen verboten, es drohen happige Strafen. Allfällige Funde sind Eigentum der Kantone: Im Kanton Bern etwa kann jemand, der ohne Bewilligung sucht, mit 1000 bis 40 000 Franken gebüsst werden. In schweren Fällen oder im Wiederholungsfall gar mit bis zu 100 000 Franken. In manchen Kantonen fällt die Busse noch höher aus, wenn ein Täter aus Gewinnsucht handelt. Im Kanton Obwalden droht schlimmstenfalls eine Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren.
Romano Agola kam nach seinem Fund in Bern mit einer Standpauke davon. Auf seine Anfrage, ob eine Zusammenarbeit denkbar sei, erntete er bloss Kopfschütteln. Also führte er sein verbotenes Hobby in anderen Kantonen weiter. Bis er den Kanton Freiburg zu einer münd- lichen Bewilligung bewegen konnte. «Man glaubte wohl, ich würde sowieso nichts finden», sagt Agola und lacht. Wenig später präsentierte er der Freiburger Kantonsarchäologie eine Sensation: einen keltischen Münzstempel aus vorchristlicher Zeit. Es war erst das zweite Objekt dieser Art, das in der Schweiz ausgegraben wurde. Die Nachricht verbreitete sich unter den Fachleuten. Plötzlich kamen offizielle Anfragen.
Nach Tausenden kleineren und grös- seren Funden ist Agola heute in fast allen Kantonen gefragt. Seit drei Jahren sogar in Bern, wo man ihn einst zum Teufel jagte. An den Universitäten Bern und Zürich gab er Studierenden der Archäologie Prospektionskurse. Der illegale Nichtakademiker ist zum gefragten Partner der Archäologen geworden.
Die Familie kommt neben dem Hobby zu kurz
Im Glanz der Erfolgsmeldungen geht vergessen, welch enormer Zeitaufwand und teils auch Frust dahinterstecken. «Auf jeden historischen Fund kommen mindestens 250 Schrottstücke, die ich ausgrabe», erklärt Agola. Rund 300 Stunden jährlich ist er auf der Suche. Ebenso viel Zeit verwendet er für die Vor- und Nachbereitungen seiner Suchgänge: Kartenstudium, Fachlektüre, Fundbeschreibungen und Gespräche mit Archäologen. «Natürlich kommt da die Familie zu kurz. Aber ich kann das Hobby nur ganz oder gar nicht ausüben», sagt der zweifache Vater. Und «Gar nicht» komme nicht in Frage. «Einen Gegenstand zu bergen, den zuletzt jemand vor vielleicht 2000 Jahren in den Händen gehalten hat, ist jedes Mal ein grossartiges Gefühl», schwärmt er.
Wenn Romano Agola von solchen Momenten spricht, scheint sich sein Puls zu erhöhen. Kurz wird der illegale Jäger von einst spürbar. Doch den Reiz, einen schönen Fund in die eigene Tasche zu stecken, verspüre er schon lange nicht mehr. Denn: «Ein historischer Gegenstand, der nicht wissenschaftlich genutzt werden kann, ist ein Verlust.»