Jüngst habe ich ein Interview mit Martin Neff, Chefökonom der Credit Suisse, geführt. Neff ist einer jener Ökonomen, die ihre Meinung häufig auf SF (bsp. Börse) kundtun dürfen. Abseits des offiziellen Interviews interessierte es mich, nach welchem System SF jeweils auswählt, welcher Chefökonom einen Sachverhalt kommentieren darf. Nach dem Zufallsprinzip? Nach Verfügbarkeit? Nach vermuteter Aussage (thesengeleitet)? Nach Aussage Neffs dürften je nach Situation verschiedene der genannten Faktoren bei der Auswahl eine Rolle spielen. Über die gesamte Medienlandschaft schätze er, „dass 70 Prozent aller Medienanfragen, die ich erhalte, thesengeleitet sind“. Eine interessante Schätzung.
Die Medienlandschaft zumindest tangiert hat eine weitere Aussage Neffs. Sie kann durchaus als Prognose verstanden und in Kürze überprüft werden. Meine Frage lautete (sinngemäss):
Vereinzelt steht die Befürchtung einer Rezession im ersten Halbjahr 2012 im Raum. Was halten Sie davon?
Martin Neff: „Ich stelle einen teilweise fahrlässigen Umgang mit dem Begriff der Rezession fest. Nehmen wir an – und die Wahrscheinlichkeit dafür ist relativ hoch – die Schweizer Volkswirtschaft ist im vierten Quartal 2011 nicht gewachsen, sondern vielleicht um 0,1 Prozent geschrumpft. Sollte sich das im laufenden ersten Quartal 2012 wiederholen, befänden wir uns gemäss Definition aktuell mitten in der Rezession, ohne es wirklich gemerkt zu haben. Sollten im Februar die Zahlen des vierten Quartals 2011 tatsächlich in diese Richtung deuten, wird ein Aufschrei durch die Medien gehen: „Die Schweiz in der Rezession!“ Wir haben diese zyklische Delle in unserer Prognose einkalkuliert und kommen zum Fazit, dass die Schweizer Volkswirtschaft im 2012 dennoch moderat wachsen wird. Deshalb ist das Wort Rezession meiner Ansicht nach fehl am Platz, selbst wenn zwei Quartale mit einem minimalen Rücklauf abschliessen würden.“
Man darf gespannt sein, welche Titel uns in den kommenden Wochen diesbezüglich erwarten.
Das Interview führte ich im Auftrag der Fachzeitschriften „die baustellen“ und „intelligent bauen“ am 16. Januar 2012. Das Interview ist hier zu lesen.