Unschlagbare Swiss Miss

Die 19-jährige Tina Aeberli ist die beste Footbaggerin der Welt. Und das seit Jahren. Weil es weit und breit keine weibliche Konkurrenz gibt, wird sie nun auch auf die Männer losgelassen oder aber die Männer werden vor ihr geschützt. (Migros-Magazin, 30.03.2009, Nr.14/2009)

Es ist die Sache mit dem «Bölleli», die Tina Aeberli nervt. Dass sie einer breiten Öffentlichkeit unbekannt ist, damit kann sie gut leben, sie schätzt es sogar. Wenn allerdings Leute, die sie kennen und wissen, was sie tut, fragen: «Wie läufts dir mit dem ‹Bölleli›?», ärgert es Tina. Weil sie nicht «Bölleli» und auch nicht Hacky-Sack spielt, sondern Footbag. So gut, dass es weltweit keine Frau gibt, die sie schlagen könnte. Um dies zu sagen, ist Aeberli allerdings zu bescheiden. Die frischgebackene Maturandin (Schwerpunktfächer Griechisch und Latein) redet lieber über ihren Sport als über sich selbst. Im Sommer beginnt sie ein ETH-Studium in Umweltnaturwissenschaften und nächstes Jahr kandidiert sie bei den Jungen Grünen für den Zürcher Gemeinderat.

Ein kometenhafter Aufstieg

Der Durchbruch gelang der Zürcherin im Jahr 2005. Da gewann sie ihre ersten Welt- und Europameistertitel im Footbag. Im Jahr darauf wurde sie mit dem Spitznamen Swiss Miss in die «Big Add Posse» aufgenommen, die Gruppe der besten Footbagger der Welt. Seither hat sie nicht mehr aufgehört, Titel zu sammeln. Geld verdient sie damit kaum, doch das stört Aeberli nicht. Im Gegenteil, sie findet es cool, dass ihr Sport nicht kommerzialisiert ist. Ihr Sackgeld verdient sie ohnehin mit dem Geist: Zum Beispiel gibt sie am Gymnasium Aufgabenhilfe. Und das in fast allen Fächern.

Die Liebe zum jungen Sport mit dem kleinen Stoffsäckchen entdeckte Tina Aeberli als 13-Jährige in einem Sportlager. Nach einer Woche mit täglich stundenlangem Training hatte Footbag eine neue, ambitionierte und talentierte Anhängerin gewonnen.

Tina trat umgehend dem Zürcher Footbag-Club Sole Rebels bei. Zwei Saisons später gewann sie die Schweizer Meisterschaften, die EM und holte sich in zwei Disziplinen der WM einen Titel und einen Vizetitel. «Ich hatte die nötige Koordination, Schnelligkeit und Beweglichkeit und habe hart trainiert. Zudem bringe ich die mentalen Fähigkeiten mit: Ich kann mir einen Trick vorstellen und diesen haargenau mit dem Körper umsetzen», beantwortet Tina die Frage, ob sie ein Naturtalent sei.

Die Hauptdisziplin im Footbag, die «Routine», ist eine zweiminütige Kür zu Musik. Nebendisziplinen sind beispielsweise «Shred 30» oder das «Circle». Beim «Shred 30» hat die Wettkämpferin 30 Sekunden Zeit, um Tricks aneinanderzureihen.

Das «Circle» kommt dem Spiel vieler Schüler nahe: Drei bis vier Spieler stehen im Kreis, machen Tricks und geben den Ball schliesslich weiter. Bewertet wird dabei nicht die Gruppen-, sondern die Einzelleistung. Die «Routine» sei allerdings die anstrengendste Disziplin. «Normalerweise mache ich immer wieder Pausen, hier gebe ich zwei Minuten Vollgas.»

An Meisterschaften werden die verschiedenen Disziplinen gespielt. «Als Welt- oder Europameister gilt jedoch nur, wer die ‹Routine› gewinnt.» Deshalb nennt sich Tina nur dreifache Weltmeisterin und vierfache Europameisterin. Der Nichtinsider zählt in Tinas Gewinnliste jedoch acht WM-, fünf EM- und vier SM-Titel, allerdings in verschiedenen Disziplinen. In der Leichtathletik darf sich doch auch nicht nur der 100-Meter-Gewinner Weltmeister nennen, oder? «Eigentlich wahr, so habe ich mir das noch nie überlegt», sagt die Akkordsiegerin.

Für Tina Aeberli ist ihr Abstand zur Konkurrenz Fluch und Segen zugleich. «Ob ich gewinne oder verliere, ich weiss, ich bin selbst schuld.» Obwohl das Niveau bei den Frauen gestiegen ist, gibt es momentan niemanden, der sie schlagen kann, sofern sie eine gute Leistung bringt. Langweilig wird ihr auch ohne Konkurrenz nicht, denn ihre Messlatte heisst Tina. Vor zwei Jahren pulverisierte sie an der WM den Punkterekord in der «Routine». Heute, mit 19, spielt Aeberli nur noch gegen ihre Statistik. Oder gegen Männer.

Tina schreckt die Männer auf

An ein grosses Turnier in Prag wurde sie mit der Bedingung eingeladen, sie müsse in der Männerkategorie starten. «Sie meinten, es wäre sonst zu langweilig», sagt Tina. «Im letzten Jahr bin ich freiwillig auch in dieser Kategorie gestartet und wurde Dritte», sagt sie verschmitzt. Die Frau ist beängstigend gut. Wohl auch deshalb wurde ihr an der letztjährigen SM der Riegel vorgeschoben. Dort wollte sie auch bei den Männern starten, doch die Veranstalter winkten ab. «Sie wollten verhindern, dass die Schweizer Meisterin und der Schweizer Meister dieselbe Person ist.»

Beat Matter

Beat Matter

Ich schreibe. Und ich fotografiere. Beides fliessend. Für Medien, Unternehmen, Stiftungen, Verbände, Vereine und Private.

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