Mein Zweifel

Vor gut einer Woche fragte sich Joel Weibel, noch Journalist beim Bieler Tagblatt, ob er aus dem Beruf „aussteigen oder bleiben“ soll. Der Text traf einen Nerv. Er wurde während mehrerer Tagen via Twitter empfohlen, zahlreiche Journalisten reichten den Text mit meist beipflichtenden Worten weiter.
Als Grund für seinen Zweifel führt Weibel im Text zum Beispiel die Perspektive an, zunehmend „Instant-Journalismus“ liefern zu müssen. Das will er nicht. Weibel will lange recherchieren, klug analysieren und scharf kommentieren. Weitere Stressfaktoren sind für Weibel Stellenabbau (auf seiner Redaktion und in der Branche allgemein) sowie das interne nicht Goutieren von Inhalten, welche die Leserschaft (oder die Inserenten) verärgern könnten. „Kommt hinzu, dass der Gesinnungsjournalismus auf dem Vormarsch ist. Ich will aber kein Gesinnungsjournalist sein“, schreibt Weibel.

Ich las den Text mit gemischten Gefühlen. Mit Verständnis, weil ich das, was Weibel kritisiert, aus eigener Erfahrung kenne. Mit Unverständnis, weil ich von einem ambitionierten jungen Journalisten erwarte, dass sein Ehrgeiz grösser ist, als die Angst, mit 40 Jahren zu erkennen, einen anderen Weg gehen zu wollen.

Gleichzeitig habe ich beim Lesen des Textes auch meinen persönlichen Zweifel gespürt. Bei mir ist es nicht der wirtschaftliche Druck, der Stellenabbau, der Live-Ticker oder die Abwesenheit der ganz langen Reportage, die mich zweifeln lässt. Es geht mir auch nicht um die Frage, ob ich „aussteigen oder bleiben“ soll. Viel eher frage ich mich, ob der Versuch richtig ist, mitzuspielen in diesem Spiel der Egozentriker, das „da oben“ läuft. Und wenn ja, weshalb?

Ich komme sporadisch am Institut für Angewandte Medienwissenschaft (IAM) in Winterthur in Kontakt mit Journalismus-Studierenden. Im Gespräch mit Ihnen merkte ich, dass das, was sie als echten Journalismus bezeichnen, ihrer Meinung nach in der Schweiz nur von einer Handvoll Redaktionen realisiert wird: Vom SRF, von der überregionalen Tagespresse, den Sonntagsblättern und von ein paar wenigen Magazinen. Wer in der Schweiz ein journalistischer Jemand werden will, muss es in eine solche Redaktion schaffen.

Ich meinte es auch. Nein, manchmal meine ich es noch. Dann möchte ich auch dazu gehören, zu den Grossen. Schnuppern konnte ich: Vor ein paar Jahren schrieb ich zwei Texte für die „Weltwoche“. Im vergangenen Jahr zwei Texte für den „Sonntag“. Zwar investierte ich in jeden dieser Texte viel zu viele Stunden. Doch jede dieser Publikationen fühlte sich gut an. Ich fühlte mich ein bisschen zugehörig, wenn auch jeweils nur kurz.

Denn als freier Journalist sieht meine Realität anders aus. Mein Brot verdiene ich hauptsächlich mit Arbeit für Fachzeitschriften. Ich führe Interviews, schreibe Porträts. Manchmal gelingt dabei etwas Schönes. Häufig ist es ein Kampf um Reste der journalistischen Unabhängigkeit. Aber immer spielt es fernab des nationalen Journalismus-Radars.

Auf diesem Radar geht anderes ab, wie man Tag für Tag etwa auf Twitter verfolgen kann, wo ich häufig präsent bin: Wohl geht es auch um Inhalte. Oft aber geht es um Egos. Es geht um politische und gesellschaftliche Deutungshoheit, um Profilierung. Letztlich darum, jeden Tag zu begründen, weshalb der eigene Posten nicht abgebaut werden soll. Das führt einerseits zu mehr Schärfe, mehr Radikalität, vielleicht sogar mehr Brillanz. Doch es führt auch dazu, dass jede Unkorrektheit und Unzulänglichkeit der Konkurrenz genüsslich ausgeweidet wird: Gerne persönlich adressiert, gerne öffentlich geliefert. Man macht sich lustig, man streckt den Zeigefinger, man wirft Dämlichkeit, Idiotie und Schlimmeres vor. Wenn man die Konkurrenz nicht überflügeln kann, kann man sie immerhin schlecht machen – auch wenn dazu bisweilen die Wirklichkeit mit der groben Feile bearbeitet wird.

Als Journalist, der etwas abseits des Schweizer Medien-Olymps steht, wundere ich mich bisweilen über den öffentlichen Umgang und Umgangston der Grossen. Gleichzeitig weiss ich, ich würde dieses Spiel mitspielen, wenn man mich liesse. Ob ich das will, das ist mein Zweifel.

Beat Matter

Beat Matter

Ich schreibe. Und ich fotografiere. Beides fliessend. Für Medien, Unternehmen, Stiftungen, Verbände, Vereine und Private.

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