«Unsere Mitarbeitenden sind der wichtigste Teil des Erfolgs!»

Seit Januar 2023 führt Andy Minder als CEO die Aarvia Gruppe. Im Gespräch mit Susanne Kuntner, Inhaberin von mein job gmbh und sk consulting, erzählt der erfahrene Kadermann, wie er beim Aargauer Infrastrukturspezialisten einen Entwicklungsprozess durchführt und eine neue Kultur etabliert. (Text und Fotos: Beat Matter für „die baustellen“ Nr.06/2024)

Wie hast du dich nach eineinhalb Jahren eingelebt?

Sehr gut. Ich fühle mich mittlerweile im Unternehmen daheim. Die Aarvia Gruppe bietet mir genau die Gestaltungsmöglichkeiten und Herausforderungen, die ich brauche, um mich wohlzufühlen.

Was genau braucht es dafür?

Damit ich mich optimal einbringen kann, muss ich etwas verändern, etwas neu konstruieren und weiterentwickeln können. Dies auf allen Ebenen, auf Stufe Gesamtunternehmung ebenso wie bei den Menschen, wo es darum geht, Rahmenbedingungen zu schaffen, in denen sie sich wohl fühlen und ihr Potenzial abrufen können. Ich bin kein Verwalter, sondern Unternehmer und Macher.

Gab es strukturelle Herausforderungen im Unternehmen?

Die Gruppe war in wenigen Teilen nicht optimal aufgestellt. Die Prozesse, die im Tagesgeschäft ablaufen, waren zwar sauber definiert, der Transfer in die Praxis war aber noch nicht durchwegs gelungen. Die Führungs-Pyramide musste teilweise angepasst und komplettiert werden. Das Unternehmen litt an neuralgischen Positionen aber auch in der Breite unter fehlendem Personal. Die wichtigste Herausforderung bestand aber darin, bei den Mitarbeitenden das Bewusstsein zu schärfen: Sie alle sind Teil der Lösung und somit der wichtigste Teil des Erfolgs.

Wie hast du als Mann von aussen das Vertrauen der Leute gewonnen?

Ich habe in einer ersten Phase sehr viel zugehört. Dies in vielen Mitarbeitergesprächen, an Veranstaltungen mit Gruppen, mit der ganzen Belegschaft aber auch in sehr vielen Gesprächen zwischen Tür und Angel, die sich zufällig ergaben. Ich hörte zu, nahm Inputs auf und komplettierte mehr und mehr meinen Befund: Den Mitarbeitenden fehlte dieses und jenes. Insbesondere aber fehlte es ihnen an Wertschätzung.

Wie bist du damit umgegangen?

Ich habe so genannte CEO-Talks organisiert, Gesprächsrunden, die wir gruppenweise mit dem Baupersonal, den Logistikern, den Lernenden und den Kaderleuten durchführten. Es waren gewissermassen „Chropf-Leerete“, bei denen die Mitarbeitenden eingeladen waren, offen, unverblümt aber möglichst konkret Probleme zu benennen und zu schildern, was ihnen fehlt. Das hat sehr gut funktioniert und zu vielen Erkenntnissen geführt.

Was waren gängige Kritikpunkte?

Immer wieder bemängelt wurden die vielen personellen Rochaden. Es gab Mitarbeitende, die zeitweise fast jeden Tag einer neuen Baustelle zugeteilt wurden. Die Arbeitskleidung wurde teilweise kritisiert. Ebenfalls rege bedauerte man, dass gesellige Anlässe und Feste verschwunden waren, die früher ihren fixen Platz im Kalender hatten. Auch fehlendes Feedback zu Leistungen, Ergebnissen und Kundenzufriedenheit wurde bemängelt. Oder dass man selten die Möglichkeit hatte, mit dem Chef ein Gespräch zu führen.

Kleine Dinge eigentlich.

Ist die Stimmung in einem Unternehmen nicht optimal, liegt es oft nicht an elementaren Aspekten, sondern an vermeintlichen Kleinigkeiten, die nicht oder zu wenig beachtet werden. Um die allgemeine Wertschätzung zu verbessern, braucht es recht wenig. Ein einfaches „Danke“, „Bitte“, „Guten Morgen“. Kleine Zeichen der Aufmerksamkeit zeigen grosse Wirkung – eben auch, wenn sie fehlen. Wichtig ist aber auch, dass Entscheidungen gefällt werden, stufengerecht Kompetenzen erteilt werden und Klarheit durch transparente und offene Kommunikation sichergestellt ist.

Wie bist du mit den gesammelten Kritikpunkten umgegangen?

Bei den stichhaltigen Punkten, die viele beschäftigten, war es mir wichtig, rasch zu reagieren. Die Mitarbeitenden sollten sich so gehört und ernstgenommen fühlen. Um die Personalrochaden zu reduzieren, bildeten wir beispielsweise Stammgruppen, die in der Regel zusammenbleiben. Auf der gesellschaftlichen Ebene führte ich umgehend das „Feierabendbier“ ein, das fortan quartalsweise stattfindet. Es ist eine lockere Veranstaltung, bei der ich kurz die wichtigsten Aktualitäten anspreche und neue Mitarbeitende vorstelle. Im Zentrum aber steht das gemütliche Miteinander und der Austausch über die Bereiche und Hierarchiestufen hinweg.

Du sprichst die Mitarbeitenden gerne direkt an. Dennoch: Im Tagesgeschäft läuft viel Beziehungsarbeit über die Kaderleute. Wie holst du diese ins Boot?

Auf Ebene der Geschäftsleitung, die auch die Regional- und Bereichsleiter einschliesst, führe ich zweiwöchentliche Sitzungen durch, in denen wir die relevanten Themen besprechen. Ich erwarte, dass die GL-Mitglieder die zentralen Punkte aus der Sitzung jeweils an ihre Kaderleute weitergeben. Hier am Hauptsitz habe ich aber auch die Möglichkeit, mich direkt mit den Bauführern auszutauschen und ihnen zu vermitteln, wie ich ticke. Mit einer zentralen Bauführersitzung planen wir, diesen Austausch ab Mitte Jahr zu institutionalisieren. Für die Sitzung werden die Bauführer von allen unseren Standorten zusammenkommen, wodurch ich sie noch direkter ansprechen kann und der Austausch weiter gefördert wird. Mit geplanten Führungsworkshops möchte ich die Kaderleute künftig noch besser ansprechen und in der Führungs- und Beziehungsarbeit weiterentwickeln.

Führungsworkshops?

Ja. Ich möchte mit den Kaderleuten von den Bereichsleitern bis hinunter zu den Vorarbeitern und Gruppenführern im kleinen und einfachen Stil Führungsworkshops durchführen. Darin möchte ich mit den Leuten über elementare Aspekte der Mitarbeiterführung sprechen und ihnen Werkzeuge mit auf den Weg geben, die meiner Erfahrung nach gute Erfolge versprechen. Führungswerkzeuge, die in den Teams das Bewusstsein stärken sollen, dass sie eingebunden sind, gebraucht werden, dass sie aktiv zum Geschäftserfolg, der Unternehmenskultur und somit zum Wohl und Erfolg der Unternehmung und aller Mitarbeitenden beitragen können.

Werkzeuge welcher Art?

Ich habe in meinen Antrittsjahr eine neue Vision für das Unternehmen formuliert. In dieser Vision steht unter anderem: „Jeder kennt seinen Auftrag und seine Position. Jeder kennt die Ziele und weiss zu jeder Zeit, was von ihm verlangt wird.“ Im Leitbild steht ergänzend dazu: „Jeder ist Unternehmer an seinem Arbeitsplatz.“ Den Auftrag, die Ziele und seine Zuständigkeiten zu kennen, ist entscheidend dafür, dass sich jeder Mitarbeitende orientieren und sich ein Stück weit selbständig einbringen kann. Um dieses Potenzial zu wecken, rate ich etwa den Polieren, ihre Gruppe jeden Morgen kurz für ein Briefing zusammenzunehmen, um die Arbeit, die Ziele und Zuständigkeiten zu klären. Teilhabe zu kreieren ist eines von verschiedenen Handwerkszeugen der Führung, die ich den Kaderleuten vermitteln will.

Sind die Leute offen für neue Ansätze?

Viele sind sogar sehr offen. Aber ich erfinde hier das Rad nicht neu. Vieles, das ich einbringe, hat man schon vor mir gemacht oder versucht. Ich weite hauptsächlich den Blick für zusätzliche Elemente. Hinter guten Ergebnissen stehen Leistungen. Aber Leistungen entstehen nicht im luftleeren Raum, sondern sind geprägt von Emotionen, Gedanken, Glaubenssätzen und Überzeugungen. Wenn jemand keinen Sinn darin erkennt, morgens zur Arbeit zu gehen, wenn kein Feuer und keine Passion für den Beruf vorhanden sind, dann wird sich kein erfolgreicher Tag entwickeln. Und wenn es nur bei jemandem in einer Gruppe emotional nicht passt, wird die ganze Gruppe ihr volles Potenzial nicht abrufen können. Im Sport ist es mittlerweile selbstverständlich, dass die Hälfte der Vorbereitung auf Wettkämpfe mentales Training ist. Wer im Sport Spitzenleistungen erbringen will, muss im Kopf richtig eingestellt sein. Dasselbe gilt für die Arbeit. Diesen Weg gehe ich mit der Aarvia Gruppe.

Woher nimmst du die Überzeugung, dass es der richtige Weg ist?

Ich bin seit 26 Jahren in Führungspositionen in der Baubranche tätig. Ich habe in dieser Zeit ein gutes Sensorium dafür entwickelt, was funktioniert und was sicher nicht. Natürlich bin ich trotzdem nicht davor gefeit, falsche Entscheide zu fällen. Passiert das, braucht man die Grösse, um Fehler einzugestehen und die Weichen rasch wieder umzustellen. Ich hinterfrage mich laufend und fordere auch mein Umfeld zu sehr offener, konstruktiver Kritik auf. Wir lernen täglich – voneinander und über uns.

Susanne Kuntner: Ausführungen wie diese bekräftigen, dass du eine Führungskraft mit Feingefühl, ausgeprägter Intuition und einem klaren Sachverstand bist. Verwaltungsräte und Mitarbeitende dürfen sich glücklich schätzen, wenn sie einen solchen Kapitän an Bord haben. Ein Chef, mit dem man übers Geschäft ebenso scharfsinnig diskutieren kann, wie über Gott und die Welt. Der Austausch mit dir inspiriert mich immer wieder aufs Neue und unterstützt mich in meinem Gedankengut – dafür danke ich dir herzlich.

Welche Rolle spielen Personalentscheide, wenn man in einem Unternehmen Impulse geben will?

Personalentscheide sind immer zentral. Aber: Wir spüren im Bauwesen weiterhin einen ausgeprägten Fachkräftemangel. Für mich heisst das: Im Prinzip muss ich versuchen, mit jedem bestehenden Mitarbeitenden individuelle Ziele zu erreichen. Hat jemand Mühe, seine Leistung abzurufen, gibt es dafür Gründe. Diese kann man aufspüren und angehen. Und dennoch gibt es Fälle, in denen keine Verbesserung gelingt. In solchen Fällen sind klare Entscheide für beide Seiten wichtig.

Gelingt es dem Unternehmen heute, das nötige Personal anzuziehen?

Wir sind auf einem guten Weg. Wir investieren in die Mitarbeitenden und in neues zweckmässiges Inventar. Wir engagieren uns dafür, eine gute Kultur zu etablieren und mittlerweile spüre ich einen guten Teamspirit. Wir haben schöne und interessante Baustellen und eine gute Auslastung. All diese positiven Aspekte zeigen bei den Mitarbeitenden Wirkung. Wir arbeiten effizient und haben Spass dabei. Das strahlt auch in den Arbeitsmarkt aus.

Der Laden läuft, es macht wieder Spass. Denkst du schon: „Es ist geschafft“?

Nein, noch lange nicht. Ich habe ein erstes Jahr dafür gebraucht, eine Trendumkehr zu initiieren. Jetzt im zweiten Jahr geht es wieder aufwärts. Wir haben den richtigen Weg für uns gefunden, aber wir stehen noch am Anfang dieses Wegs. Nach wie vor haben wir Positionen, die offen sind: Baumaschinen- und Walzenführer, Poliere und Vorarbeiter beispielsweise, aber auch Strassenbauer oder Tiefbaumaurer. Die Implementierung der Prozesse, Vermeidung von Leerläufen und die Stärkung unserer Kultur sind Aspekte, die uns langfristig begleiten. Wir haben in den vergangenen anderthalb Jahren gute Fortschritte erzielt. Aber wir müssen auf allen Stufen und in allen Bereichen dranbleiben und weiterarbeiten.

Woher nimmst du die Zuversicht, dass die Entwicklung gut weitergeht?

Wenn man Dinge verändert, sind Erfolgserlebnisse entscheidend. Kleine Erfolge, die bestätigen, dass sich der Aufwand lohnt und dass man in die richtige Richtung geht. Mit dem Erfolg kommt der Spass an der Arbeit. Daraus kann man die Motivation und die Kraft ziehen, um weiterzugehen, auch wenn es mal etwas ungemütlich oder schwierig ist. Diese positive Spirale hat bei uns zu drehen begonnen. Das stimmt mich äusserst zuversichtlich.

Beat Matter

Beat Matter

Ich schreibe. Und ich fotografiere. Beides fliessend. Für Medien, Unternehmen, Stiftungen, Verbände, Vereine und Private.

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