Hausfotograf der Stars

Seine Bilder sind überall. Er auch. Unermüdlich reist Fotograf Iwan Baan seit Jahren um den Globus und fotografiert die Werke der renommiertesten Architekten unserer Zeit: Rem Koolhaas, Zaha Hadid, Herzog & De Meuron, Thom Mayne – alle wollten und wollen sie ihre Arbeiten durch die Linse Baans dokumentiert haben. Das «Wall Street Journal» bezeichnete ihn als «Most Wanted Photographer in Architecture», die NZZ als «Seismograf gelebter Architektur». Einem breiten Publikum wurde er bekannt, als er 2012 den Stromausfall in Lower Manhattan nach dem Hurrikan Sandy aus der Luft fotografierte – und das Bild schliesslich auf dem Cover des New York Magazines landete. Bei unserem Anruf sitzt Baan am Steuer eines Autos an der Ostküste der USA und fährt in Richtung Süden. Für «Quer» fährt er kurz rechts ran. („Quer“ Nr.04/2016)

«Quer»: Wir erwischen Sie in den USA. Für wen sind Sie gerade unterwegs?
Iwan Baan: Ich arbeite an verschiedenen Projekten im ganzen Land. Auf diesem Trip fotografiere ich einige Projekte für Sanaa, Steven Holl, Herzog & De Meuron, OMA und andere.

Ihr Instagram-Account verrät, dass Sie kurz vor dem Gespräch Grace Farms besucht haben mit dem grossartigen River Building von Sanaa. Sie haben das Gebäude bereits bei Einweihung vor einem Jahr fotografiert. Wie war die Rückkehr?
Toll. Grace Farms ist ein unglaublicher Ort, an dem sich Architektur und unbebaute Natur in einzigartiger Weise verbinden und ergänzen. Offenbar haben im ersten Jahr seit Eröffnung rund 200 000 Menschen das Gemeinschaftszentrum besucht. Grace Farms hat sich im letzten Jahr zu einem wichtigen Treffpunkt für Kunst, Kultur und Gesellschaft entwickelt, an dem zahlreiche Gruppen und Institute – darunter auch die UN – ihre Projekte vorantreiben.

Stromausfall in Manhattan nach Hurrikan Sandy (Iwan Baan, 2012)
Stromausfall in Manhattan nach Hurrikan Sandy (Iwan Baan, 2012)

In einem Porträt im «Wall Street Journal» heisst es, Sie seien in der Lage, aus unbekannten Architekten Stars zu machen und aus bekannten Architekten Superstars. Wie gehen Sie mit solchen Zuschreibungen um?
(lacht) Ich weiss nicht, ob ich dazu wirklich in der Lage bin. Ganz sicher weiss ich jedoch, dass dies kein Ziel ist, das ich mit meiner Arbeit verfolge.

Worum geht es Ihnen?
Mich haben Plätze und der öffentliche Raum insgesamt schon immer interessiert. Und besonders, was Menschen auf diesen Plätzen und in diesem Raum tun. In diesem Sinne interessiert mich die Architektur: Wie spielt ein Gebäude mit seiner Umgebung zusammen? Was passiert im Raum, der so entsteht? Und wie kann ich das als Fotograf vermitteln. Das sind die Aspekte und Herausforderungen, die mich antreiben.

Sie interessieren sich also nicht unbedingt für das einzelne Gebäude?
Ein aussergewöhnliches Gebäude kann mich durchaus faszinieren. Mit meiner fotografischen Arbeit versuche ich aber das «bigger Picture» zu zeigen und die «bigger Story» eines Ortes zu erzählen, die über dem einzelnen Gebäude oder dem einzelnen architektonischen Projekt steht.

Architekturmagazine, Social Media, das ganze Internet ist geflutet von tollen, glänzenden, sterilen Architekturfotos. Was ist heute die Funktion einer Architekturfotografie oder eines Architekturfotografen?
Es fällt mir schwer, darauf zu antworten, denn ich verstehe mich nicht als Architekturfotograf und meine Bilder nicht als Architekturfotografie. Es gibt diese Flut von Architekturfotos und Renderings, das Internet hat diese Entwicklung stark beschleunigt. Mein Ziel ist nicht allein das tolle Bild eines tollen Gebäudes. Ich will mit dem Medium der Fotografie die Geschichte erzählen, die sich in den Gebäuden und um die Gebäude herum entwickelt. Ich glaube, das ist die Stärke meiner Arbeit.

Ich habe gelesen, dass Sie auf Ihren Reisen jeweils einen Koffer mit einer Drohne mitschleppen. Stimmt das?
Teilweise. Luftaufnahmen sind für mich eine wichtige Möglichkeit, um zu zeigen, wie ein Gebäude in der Umgebung steht und auf diese reagiert. Sie sind quasi Bestandteil des Wortschatzes, mit denen ich meine Geschichten erzähle. Meistens ermöglicht mir ein Helikopter diese Perspektive. Manchmal auch ein Heissluftballon. Oder eben die Drohne.

Aufgrund welcher Kriterien entscheiden Sie, welche Aufträge Sie annehmen?
Zentral bei einem Auftrag ist für mich die Möglichkeit, dass ich mein fotografisches Ziel verfolgen kann: Mit Fotografien die Geschichten von spannenden Orten zu erzählen. Wäre das nicht gewährleistet, so würde mir vermutlich sehr schnell langweilig werden. Ich versuche, meine Arbeit möglichst abwechslungsreich zu gestalten. Deshalb verfolge ich nebst Auftragsarbeiten immer wieder auch eigene Foto-Projekte weit abseits der hochdekorierten Architektur.

"Heydar Alieyev Centre" von Zaha Hadid. (Iwan Baan)
„Heydar Alieyev Centre“ von Zaha Hadid. (Iwan Baan)

Sie werden von grossen, bekannten Büros engagiert und bezahlt, um Ihre Arbeit zu fotografieren. Wie können Sie da unabhängig ihren Blick bewahren?
Ich habe meinen ganz persönlichen, eigenständigen Ansatz. Die Architekten, Büros und Agenturen wissen das und engagieren mich genau deshalb. Entsprechend bekomme ich für meine Arbeiten auch keine detaillierten Briefings, die ich dann abfotografieren muss. Man schickt mich an Orte und ist interessiert daran, wie ich diese mit meiner sehr intuitiven Art fotografisch erfasse.

Architekten haben häufig ein sehr klares Bild davon, wie Ihre Arbeit wirken und ausschauen soll. Deckt sich das in der Regel mit dem Bild, das Sie von einem Ort zeichnen?
Das müssten Sie die Architekten fragen. Man hat mich zumindest noch nie zurückgeschickt, um andere Aufnahmen zu machen (lacht). Architekten arbeiten Jahre an ihren Projekten. Während dieser intensiven Auseinandersetzung mit einem Ort entwickeln sie klare Vorstellungen und Ideen davon, wie sich ihre Arbeit in den Kontext einfügen und was sie darin bewirken soll. In der Regel ist diese Intention für mich als Fotograf recht klar ersichtlich. Hinzu kommt aber eben, dass die Büros von mir keine cleanen Auftragsbilder erwarten, sondern offen interessiert sind an meinem Blick auf ein Gebäude und dessen Umgebung. Hätten Sie andere Erwartungen, würden sie vermutlich einen anderen Fotografen engagieren.

Sie haben keine architektonische Ausbildung. Ist das Vor- oder Nachteil für Ihre Arbeit?
Ich sehe es eher als Vorteil. Zumindest hat sich daraus für mich noch nie ein Nachteil ergeben. Ich kann mir vorstellen, dass ein vertieftes technisches Verständnis dazu führen könnte, dass ich in der Betrachtung stärker auf Details fokussieren würde – wie man es häufig sieht bei Architekturfotografien. Als Laie kann ich die Architektur jedoch unbefangen auf mich einwirken lassen, so, wie sie auch auf die meisten anderen Leute einwirkt, die sich am Ort bewegen.

Wie bereiten Sie sich auf ein Shooting vor?
Ehrlich gesagt nicht allzu intensiv. Vieles spielt sich bei mir fast spontan in dem Moment ab, in dem ich fotografiere und zu erfassen versuche, was an einem Ort passiert. Es geht darum, dass ich vollkommen und mit allen Sinnen präsent bin an dem Ort. Was so entsteht, kann man gar nicht im Detail vorbereiten.

Perot Museum von Thom Mayne in Dallas. (Iwan Baan)
Perot Museum von Thom Mayne in Dallas. (Iwan Baan)

Machen Sie unzählige oder ganz wenige Fotos von einem Ort?
Ich mache so viele, bis ich das Gefühl habe, es reicht, um die Geschichte zu erzählen. Es gibt Orte, deren Geschichte kann man mit einem Bild erzählen. Bei anderen braucht es deutlich mehr.

Vor ein paar Jahren ist Ihre Wohnung und Ihr Studio in Amsterdam ausgebrannt und Sie verzichteten daraufhin ganz auf einen festen Wohnsitz. Haben Sie mittlerweile wieder einen?
Jaja. Das Feuer ereignete sich vor vier Jahren. Seit bald zwei Jahren sind Wohnung und Studio wieder aufgebaut. Tatsächlich verbringe ich aber nicht viel mehr Zeit dort, als in der Phase, in der die Wohnung unbewohnbar war. Mein Leben spielt sich unterwegs ab.

Finden Sie Momente, um sich zu erholen und nicht ans Fotografieren zu denken?
Es ist doch so: Wenn man seine Arbeit leidenschaftlich gerne macht, ist die Arbeit zugleich eine Art Erholung. Sicher, ich bin immer auf dem Sprung. Aber ich empfinde es als grosses Privileg, für meine Arbeit immer wieder neue und hochinteressante Orte besuchen zu können.

Fotografieren Sie bald wieder einmal in der Schweiz?
Ich bin immer wieder in der Schweiz unterwegs, um für unterschiedliche Büros zu arbeiten: Für Herzog & De Meuron, Christ & Gantenbein und weitere. Die Schweiz ist ein schönes Land mit unzähligen wunderbaren Orten. Ich würde mich freuen, wenn es bald wieder eine Gelegenheit gäbe.

"Floating School" von Kunlé Adeyemi in Makako/Lagos. (Iwan Baan)
„Floating School“ von Kunlé Adeyemi in Makako/Lagos. (Iwan Baan)
Beat Matter

Beat Matter

Ich schreibe. Und ich fotografiere. Beides fliessend. Für Medien, Unternehmen, Stiftungen, Verbände, Vereine und Private.

Gerne gelesen? Hier gibt es mehr davon.