Vahram Khudeda (25), Polybauer und Boxer. Der dreifache Schweizermeister im Weltergewicht musste im Juni aufgrund politischer Spannungen das entscheidende Qualifikationsturnier für die Olympischen Spiele absagen. Aufgeben kommt für ihn aber nicht in Frage. („die baustellen“ Nr.0708/2016)
Ich wusste schon länger, wie das Worst- Case-Szenario aussieht. Doch als es dann tatsächlich so weit war, wollte ich es nicht wahrhaben. Als wir kurz vor Abreise definitiv entschieden, dass ich nicht zum letzten Qualifikationsturnier für die Olympischen Spiele nach Baku reisen kann, war die Enttäuschung riesig.
In den Wochen zuvor war es im Konflikt zwischen Armenien und Aserbaidschan immer wieder zu gewalttätigen Eskalationen gekommen. In dieser Situation wäre die Einreise für mich als gebürtigen Armenier trotz Schweizer Pass zu riskant gewesen. Meine Mutter ist mit meinem Bruder und mir aus dem Land geflohen, als ich neun Jahre alt war. Sie weiss, was in dem Gebiet passieren kann. Dass in einem Land, in das aus politischen Gründen nicht alle Sportler einreisen können, entscheidende Olympia- Qualifikationsrunden stattfinden, dafür habe ich kein Verständnis.
Als Junge war ich fasziniert von der Rocky Filmreihe. Mit 15 Jahren begann ich selbst zu boxen, und es hat mir einfach immer Spass gemacht. Während meiner Wettkampfkarriere in den letzten zehn Jahren konnte ich mich stark verbessern und mir Fähigkeiten aneignen, welche Aussenstehende im Boxen kaum erkennen – wie zum Beispiel mentale Finessen. Von 86 Kämpfen konnte ich 65 gewinnen. In den 21 Verlustkämpfen, unter anderem gegen Welt- und Europameister, habe ich mich gut geschlagen. Der Spass ist für mich immer an oberster Stelle geblieben. Das hilft, mich nach der bitteren Olympia-Absage neu zu motivieren.
Alles für die Träume
Mit dem Entscheid geht eine entbehrungsreiche Zeit vorläufig zu Ende. Ich hatte in den letzten drei Jahren immer wieder gespürt, dass mein Körper an seine Grenzen stösst, wenn ich Vollzeit auf dem Bau arbeite und daneben auf hohem Niveau boxe. Deshalb musste ich mich nach meiner Olympia-Nomination im vergangenen Jahr entscheiden: Entweder ich setze mich voll für dieses Ziel ein oder ich lasse es bleiben. Ich habe Polybauer mit Fachrichtung Abdichtung gelernt. Ich war als Jugendlicher lange unsicher, was ich lernen will. Ich habe deshalb in unterschiedlichen Berufen geschnuppert: Metallbauer, Schreiner, Informatiker, nichts davon sagte mir zu. Entsprechend skeptisch war ich beim Antritt meiner Polybauer-Schnupperlehre. Als ich dann aber in luftiger Höhe auf einem Flachdach stand und dieses mit einem tollen Team abdichtete, faszinierte mich das. Ich habe mich deshalb für den Beruf des Polybauers entschieden und konnte die herausfordernde Lehre erfolgreich abschliessen. Die Polybauer-Lehre ist auch eine Art Lebensschule. Sie ist anspruchsvoll – aber wer am Ball bleibt, wird belohnt.
Nach der Olympia-Nomination war der grosse Entscheid schnell gefällt: Ich nahm eine Auszeit vom Bau und setzte voll auf den Sport. Weshalb? Ich will mit 30 oder 40 Jahren den Leuten nicht erzählen müssen, wieso ich nicht alles für meine Träume gegeben habe.
Neue Ziele
Finanziell stand ich durch diesen Schritt zunächst völlig im Leeren. Ich versuchte, das Beste aus der Situation zu machen und fragte potenzielle Sponsoren an. So fand ich Unterstützer – allen voran meinen Hauptsponsor polybau.ch. Durch die grosszügige Hilfe konnte ich mich voll auf die Vorbereitung für die Olympischen Spiele konzentrieren. Wie es jetzt mit meiner Karriere weitergeht, werde ich nach den Sommerferien festlegen. Klar ist, dass ich im Herbst als Polybau- Botschafter an Schulen und Berufsmessen präsent sein werde. Das wird eine neue Herausforderung für mich, auf die ich mich sehr freue.
Auch im Boxen werde ich mir neue Ziele setzen. Welche, das lasse ich mir jetzt durch den Kopf gehen.