Container sind die Grundeinheit der Globalisierung. Millionen von ihnen zirkulieren rund um die Welt. Mittlerweile ist aus der Transportkiste auch Lebens- und Arbeitsraum geworden. Ein Streifzug. („Quer“ Nr.02/2016)
Der globale Welthandel basiert auf Frachtschiffen und Containern. 90 Prozent des globalen Handels werden auf diesem Weg abgewickelt. 60 000 Frachtschiffe sind jährlich auf den Weltmeeren unterwegs. Über 20 Millionen Container zirkulieren in nie endenden Kreisläufen rund um die Welt. Das eng getaktete System mit seinen riesigen Schiffen, den riesigen Häfen und den riesigen Verladeanlagen macht erst möglich, dass zur Verarbeitung um die halbe Welt geschipperte Ware zu Preisen angeboten werden kann, die lokale Produzenten blass aussehen lassen.
Robust, standardisiert, stapelbar, transportierbar. Container sind die Grundeinheit der Globalisierung, die roten Blutkörperchen im Organismus Weltwirtschaft. Oder doch eher Krebszellen? Nicht genug damit, dass die 20 grössten und mit Schweröl betriebenen Containerschiffe der Welt mehr Schadstoffe ausstossen als eine Milliarde Autos. Auch die Container und ihre Artverwandten wuchern immer weiter über das Frachtwesen hinaus in unser Leben.
Ein Spaziergang durch Zürich zeigt es: Schlussspurt am ETH-Standort Hönggerberg für den Neubau des Instituts für Technologie in der Architektur. Neben dem Stelzenbau mit der gewölbten Holzdecke stapeln sich die Baucontainer höher als das gebaute Gebäude selbst. Darin planen Planer, pausieren Chrampfer und lagert Material.
Unten in der Ebene, direkt neben Gleisfeld und Strichpark, wohin die Stadt auch ihre Prostituierten versorgt, befindet sich seit Herbst 2010 eine von zwei temporären Wohnsiedlungen für Asylsuchende. Die Siedlung besteht aus 70 farbigen Wohncontainern, drei Geschosse hoch gestapelt. 140 Menschen leben hier. Unmittelbar daneben: das sogenannte Basislager. 135 Bürocontainer, 200 Kreative arbeiten darin.
Zwei Kilometer weiter stadteinwärts. Heute im Schatten des Prime Towers, steht seit zehn Jahren auf einem bunten Areal der Freitag Flagship Store. Der Containerturm aus 19 Einheiten stapelt sich neun Geschosse hoch. Hier kauft man. Freitag-Taschen.
Zwischen Zürich-West und See, über das ganze Stadtgebiet verstreut, fallen auf Schularealen Container-Bauten auf, die teils geradezu schmächtig neben altehrwürdigen Schulhausbauten stehen. Darin werden Kinder unterrichtet.
Ein paar Steinwürfe auseinander wird in der Binnenstadt Zürich in Containern gearbeitet, gehandelt, gelernt und gewohnt. Der Container ist nicht mehr nur Vehikel für den globalen Warentransport. Er ist zum schichtübergreifenden Treffpunkt geworden.
Destination Wil
Zum Beispiel in Wil. 2010 hat das Büro Arson Architektur beim Bahnhof das Geschäftshaus Kraftwerk gebaut. Nach Vollendung wies das Grundstück noch rund 65 Quadratmeter Ausnutzungsreserve auf. Um sie zu nutzen, hatte Arson-Chef Roger Edelmann eine ausgefallene Idee: Ihm schwebte vor, zwei 45-Fuss-Standard- High-Cube-Frachtcontainer als Büroraum auf das Dach zu hieven. Die Idee stiess auf Skepsis. Doch Edelmann liess sich nicht beirren. «Ich war derart begeistert dass ich alle Warnungen in den Wind schlug», schildert er. Die Container für das Vorhaben fand er in Bremerhaven. Mit einer Million Kilometer Frachtweg auf dem Buckel, waren sie für 10 000 Franken zu haben. Für ein Mehrfaches wurden die Container aufbereitet: Gedämmt, schallgeschützt, mit Fenstern, einem kleinen Balkon und seitlichen Bullaugen ausgestattet. «Es war unser grosses Anliegen, kein vor sich hin rostendes Provisorium zu bauen», erklärt Edelmann den Aufwand. Kurz vor Schluss fiel der Entscheid, die Container nicht als Büroraum, sondern als Mietwohnung auszubauen. Möblierexperten von Ikea stellten ein massgeschneidertes Möbelprogramm zusammen – und vor gut zwei Jahren zog der Erstmieter ein. «Er wohnt noch immer dort», so Edelmann. Das sage doch am meisten über die Wohnlichkeit und Behaglichkeit aus.
Wohnlichkeit und Behaglichkeit im Container. Was wie ein Widerspruch klingt, ist Mischa Mächlers täglich Brot. Seit fünf Jahren bietet er mit seiner Firma Contdeluxe in Lachen (SZ) Standardcontainer, aber auch Container-Bauten im gehobenen Bereich an: Bürocontainer, Hauscontainer, Wohncontainer – modular erweiterbar und mit viel Fensterfläche, edler Holzverkleidung und gedecktem Vorplatz. Mächler spricht von einer steigenden Nachfrage. Seine Erklärung dafür: «Die Bodenpreise sind hoch und das Sparpotenzial der Bevölkerung ist klein. Trotzdem wünschen sich Menschen ein Eigenheim.» Die Anfragen seien entsprechend klar finanziell orientiert. Aber auch die schnelle Bauzeit sowie die Möglichkeit, jederzeit anbauen oder wieder rückbauen zu können, seien für Kunden attraktiv, so Mächler.
Flexibilität. Rasch hier, schnell wieder weg. Was den Container im Frachtwesen auszeichnet, schätzt man auch in Schweizer Schulbehörden, die Jahr für Jahr mit stark schwankenden Schülerzahlen konfrontiert sind. In Zürich kamen hierfür bereits vor bald 20 Jahren die ersten «Züri-Modular-Pavillons» zum Einsatz. Mittlerweile sind es über 40 Schulcontainer, mit denen die Stadt sechs Prozent der Schulzimmerflächen gewährleistet. Die Schulcontainer, die auch in Basel zum Einsatz kommen, sind keine Low Budget- Lösung. Je nachdem, ob zwei oder dreigeschossig, kostet ein System zwischen knapp drei und knapp vier Millionen Franken. Das aktuelle Modell im Minergie-Eco-Standard ist ökologisch vorbildlich, atmosphärisch jedoch nicht über jeden Zweifel erhaben. Sogar der Präsident des Schweizer Lehrerverbands beklagte sich im «Blick» schon über eine klare Verschlechterung der Arbeitsbedingungen, die im Container gegenüber einem Schulhaus zu beklagen sei.
Geschäft mit Asylunterkünften
Volatil, schwer antizipierbar und derzeit ansteigend ist vor allem die Nachfrage nach Unterkünften für Asylbewerber. Der Bund rechnet für das laufende Jahr bei grosser Unsicherheit erneut mit rund 40 000 Asylsuchenden. Um sie unterzubringen, kommt vielerorts dieselbe Lösung zum Einsatz wie im Schulwesen: Container. Fragt man Schweizer Anbieter von entsprechenden Container-Systemen, ist einhellig von einer sukzessiven Zunahme der Nachfrage die Rede. Als Haupttreiber für die Zunahme werden der Bedarf von Schulen sowie für Asylunterkünfte hervorgehoben.
Zu Lieferengpässen und Preisexzessen wie in Deutschland ist es in der Schweiz bisher offenbar dennoch nicht gekommen. Unter dem Eindruck von rund 100 000 Asylbewerbern, die in Deutschland letztes Jahr Monat für Monat eintrafen, versuchten gemäss Medienberichten einzelne Anbieter von Container-Lösungen die Gunst der Stunde zu nutzen, um ihre Preise exorbitant anzuheben. «Die Welt» zitierte einen Hersteller, der 30 Prozent Aufschlag bestätigte, einzelne Gemeinden sollen Preis-Explosionen um das Fünf- bis Zehnfache gemeldet haben. Anders in der Schweiz. Hier sprechen Anbieter davon, dass Container in den letzten Jahren um einen Viertel bis einen Drittel günstiger geworden seien. Ein sehr starker Preiskampf sowie durch den starken Franken noch interessanter gewordene Importe würden steigende Preise verhindern, erklärt der Vertreter eines Anbieters, der nicht namentlich genannt werden will. Zudem versuchen Anbieter von alternativen Modul-Lösungen, bei Behörden explizit mit Preisvorteilen gegenüber Container-Lösungen zu punkten. Eine davon ist Architektin Claudia Cuesta, die mit Integro einen quadratischen Holzpavillon entwickelt hat, der nach ihren Angaben um bis zu 70 Prozent günstiger ist als eine Container-Lösung für die gleiche Personenzahl. Eine Kampfansage.
Vom Edel-Modulhäuschen bis zur Asylsiedlung, die Welt trifft sich im Container. Um zu arbeiten, zu unterrichten, zu geschäften und zu wohnen. Dem Umstand mag Uwe Linke durchaus Positives abgewinnen. «Die Durchmischung von Generationen und Bildungsschichten wird durch temporäre Wohn- und Arbeitslösungen gefördert », sagt der Wohnpsychologe und Autor. Doch er sieht auch Herausforderungen: Viele Elemente, die der Mensch als wohnlich oder gemütlich betrachte, seien in temporären Räumen nur schwer zu realisieren. Wohntextilien, grosse Fensterflächen oder natürliche Materialien seien zwar nicht überlebenswichtig, sicherten jedoch ein Gefühl des Willkommenseins.
Bleibt die Frage, woher der Hang zu temporären Räumen in allen Lebenslagen kommt. Linkes Antwort ist simpel: Er sieht darin schlicht die Fortschreibung des temporären Zeitalters, das bereits vor Jahren mit Ikea und Wegwerfprodukten eingeläutet worden sei, die sich billig in anderen Weltgegenden produzieren liessen. Container sind die roten Blutkörperchen des Organismus‘ globalisierte Weltwirtschaft. Oder doch Krebszellen?