Lukas Zollinger baute auf Sumatra für die Schweizer Umweltstiftung PanEco und deren indonesische Partnerorganisation YEL ein riesiges Bambus-Restaurant. Im Dezember war Eröffnung. Und Zollinger arbeitet bereits am nächsten Projekt. („Quer“ Nr.02/2016)
Ohne zuvor je mit Bambus gebaut zu haben, nahm der gelernte Zimmermann und Architekt Lukas Zollinger (32) 2013 den Auftrag der Umwelt- Stiftung PanEco an, ein Vorprojekt für ein grosses Bambusgebäude in Bukit Lawang auf der indonesischen Insel Sumatra zu entwerfen. Zollinger lernte schnell: Bambusbau, Sprache und Mentalität. Entstanden ist ein imposantes Restaurant für die Ecolodge Bukit Lawang. Zollingers «Kapal Bambu» (Bambus-Schiff) orientiert sich an der traditionellen Bauweise der Batak-Stämme in der Region. Es ist 13 Meter hoch, 47 Meter lang und besteht aus über 210 000 Laufmetern Bambus. Nun entspannen und verpflegen sich darin Touristen. Zudem bietet es Raum für Bildungsangebote. Beispielsweise kann die lokale Bevölkerung hier mehr über Umweltschutz und die Bambusnutzung lernen.
«Quer»: Im Dezember 2015 wurde in Bukit Lawang Ihr «Kapal Bambu» eröffnet. Waren Sie dabei?
Lukas Zollinger: Selbstverständlich. Es war ein tolles Gefühl.
Wie hat sich der Bau bewährt?
Bis auf wenige Ausnahmen ist eingetroffen, was wir geplant haben. Im Alltag aber ist die Crew noch mit Herausforderungen konfrontiert, die aus der Konstruktionsweise hervorgehen. Da der Bambusboden im Obergeschoss Spalten aufweist, ist es wichtig, dass der Bereich sauber gehalten und dort nicht geraucht wird. Ansonsten regnet es Kippen durch den Boden, wenn die Affen wieder einmal Fussball mit den Aschenbechern spielen.
Sie wurden für das Projekt von der indonesischen NGO YEL angefragt. Wie kam das?
Ich arbeitete während und nach meinem Studium im Architekturbüro meines Vaters, der gegenwärtig an einem Projekt der Schweizer Stiftung PanEco arbeitet. Die Stiftung für Natur- und Artenschutz arbeitet in Indonesien mit YEL zusammen, welche auch die Bauherrschaft übernahm. Da mein Vater für das Vorprojekt nicht zur Verfügung stand, vertraute er mir das Projekt an.
Wie kam das bei Ihnen an?
Ich war hellauf begeistert, packte meine Koffer und flog für drei Wochen nach Indonesien. Ich reiste herum und liess mich von der lokalen Baukultur inspirieren. Ausserdem besuchte ich einen kleinen Bambus-Workshop. Selbstverständlich besichtigte ich auch das Grundstück für das geplante «Kapal Bambu».
Das Grundstück in Nachbarschaft des Gunung-Leuser-Nationalparks ist Teil einer bestehenden Hotelanlage in Bukit Lawang. War für Sie beim Eintreffen sofort klar, wie das neue Gebäude aussehen soll?
Keinesfalls, zumal an der Stelle noch ein altes Restaurant stand, das wir zunächst abbrechen mussten. In den ersten drei Wochen ging es mir darum, möglichst viele Eindrücke zu sammeln. Das Vorprojekt zeichnete ich erst, als ich wieder daheim war.
Wie fanden Sie zu dieser Form?
Mehrere Faktoren führten dazu. Vorgegeben war, dass das neue Gebäude an gleicher Stelle gebaut werden musste wie das rückzubauende Restaurant. Auch durfte auf dem Grundstück kein Baum gefällt werden, um mehr Platz zu schaffen. Die Bauherrin wünschte weiter ein Bambusgebäude, das als Referenzobjekt für das Potenzial von Bambus taugt und zugleich die vorhandene Fläche maximal ausnützt. Ich habe deshalb zuerst nach einem passenden Grundriss gesucht, der die vorhandene Fläche zwischen den Bäumen maximal ausnützt. Ich kam auf die elliptische Form, darauf basierend entwickelte sich alles schrittweise weiter.
Haben Sie zuvor je etwas in Bambus gebaut?
Nein. Wie kamen Sie darauf, dass Sie ein Projekt in einem fremden Land und mit einem fremden Konstruktionsmaterial stemmen können? Mir machte vor allem meine Zimmermanns- Erfahrung Mut. Ich konzipierte die Lodge so, als wäre sie eine ganz normale Holzkonstruktion.
Sie zeichneten das Vorprojekt in drei Wochen. Und dann?
Fast umgehend teilte mir die Stiftung mit, dass sie die Lodge haargenau so gebaut haben will. Sie waren begeistert. Und ich völlig überrumpelt. In dem Moment war mir klar: Jetzt brauche ich einen Ingenieur mit Bambuserfahrung, der prüft, ob das Projekt so überhaupt umsetzbar ist.
Die Bauherrschaft holte den Deutschen Bambus-Experten Jörg Stamm ins Projekt. Wie erlebten Sie die Zusammenarbeit?
Sehr gut. Stamm bestätigte rasch, dass mein Projekt realisierbar ist, wies aber auch darauf hin, dass die Binder für die Queraussteifung die zentrale Herausforderung meiner Konstruktion darstellen. Sie sind über die ganze Gebäudelänge in unterschiedlichen Abständen und Höhen angeordnet, an den äussersten Enden gehen sie bis auf zwölf Meter Höhe. Anhand eines 1:100-Modells, das wir von einem solchen Binder zusammenbauten, überprüfte Stamm die Konstruktion. Bambusingenieure probieren oftmals lieber am Modell aus, anstatt lange zu rechnen.
Wirklich los ging es dann im September 2014.
Genau. Die ersten zwei Monate war Stamm dabei. Er zeigte mir, wie man Bambus beschafft, einen Fertigungsbereich aufbaut, um das Material vorzubereiten und welches Werkzeug man für den Bau braucht. Es war grossartig und gleichzeitig herausfordernd, sich diese Fülle an neuem Wissen anzueignen. Als Stamm ging, wusste ich genug, um den Bambus vorzubereiten und das alte Restaurant abzubrechen. Als er im Februar 2015 wieder auf der Baustelle vorbeischaute, konnten wir gemeinsam die ersten Binder auf der vorgefertigten Bodenplatte zusammenschrauben und alles aufrichten. In Handarbeit, denn wir hatten bis auf einen Betonmischer keine grösseren Maschinen zur Verfügung. Für den Rest des Projekts übernahm ich dann wieder die alleinige Verantwortung.
Wie viele Leute waren auf der Baustelle tätig?
In Spitzenzeiten waren es bis zu 60 Personen.
Wie haben Sie sich vor Ort verständigt?
Am Anfang konnte ich kein Indonesisch. Stück für Stück lernte ich ein paar Brocken. Englisch konnten auf der Baustelle nur zwei Arbeiter. Sie halfen, Anweisungen zu übersetzen. Zur Not kamen auch Hände und Füsse zum Einsatz. Selbstverständlich kam es aber zu Missverständnissen. Und auch die kulturellen Unterschiede führten immer wieder zu Konflikten und Irrtümern.
Gab es Momente, in denen Sie bereut haben, den Auftrag übernommen zu haben?
Die Freude am Gesamtprojekt habe ich nie verloren. Aber natürlich gab es Momente, in denen ich das Ende nicht mehr vor Augen hatte. Wir arbeiteten fast anderthalb Jahre lang sechs Tage die Woche am «Kapal Bambu». Nur sonntags blieb jeweils etwas Zeit, um zu entspannen. Es war eine harte, aber erfüllende Zeit. Sie sind bereits in ein nächstes, noch grösseres Projekt involviert. Wieder auf Sumatra und wieder im Auftrag von PanEco.
Worum geht es?
Es geht um den «Orangutan Haven», für den YEL ein 48 Hektaren grosses Grundstück ersteigert hat. Das Gebiet wird schrittweise, wie auch die Ecolodge, zu einem Zentrum für Umweltbildung und nachhaltigen Tourismus entwickelt werden. Die Besucher werden auch auf Orang- Utans treffen: Das Sumatra Orang-Utan-Schutzprojekt SOCP, ein Programm, das gemeinsam von YEL und PanEco geführt wird, betreibt eine Auffangstation in der Nähe des Areals, auf dem verletzte oder kranke Orang-Utans aufgepäppelt und in Schutzgebieten wieder ausgewildert werden. Mittlerweile leben dort vier Affen, die aufgrund von Verletzungen oder unheilbaren Krankheiten nicht mehr in die freie Wildbahn entlassen werden können. Mit dem «Haven» wollen wir ihnen eine bessere Umgebung für ihren Lebensabend schaffen.
Bauen Sie wieder mit Bambus?
Obwohl wir uns noch in der Masterplanung befinden, ist bereits klar, dass mehrere Gebäude und eine grosse Brücke aus Bambus entstehen sollen. Mit der Brücke beschäftige ich mich bereits. Ebenso sind wir dabei, einen neuen Fertigungsbereich für die Bambusbereitstellung aufzubauen. Der lokalen Bevölkerung soll auch bei diesem Projekt vor Augen geführt werden, was für ein tolles Baumaterial vor ihrer Haustür wächst.
Was fasziniert Sie daran?
Bambus ist DAS Baumaterial. Es wächst schnell. Es ist unglaublich vielseitig verwendbar und auf Zug und Druck eine nahezu CO2-neutrale Alternative zu Konstruktionsstahl. Durch seine runde Form, die aufgeschnitten werden kann, lassen sich relativ einfach vielfältige Formen für ganz unterschiedliche Anwendungen herstellen. Dass daraus bei cleverer Kombination sowohl extrem stabile Konstruktionen wie auch ganz filigrane Möbel und Gadgets entstehen können, fasziniert mich.
Wollen Sie nun Bambus auch in der Schweiz als Konstruktionsmaterial etablieren?
Für die Konstruktion finde ich es sinnvoller, wenn man sich an lokal verfügbares Material hält. Deshalb auch das Anliegen, in Indonesien das Wissen für Bambusbauten wieder zu verbreiten. Interessant fände ich aber, beispielsweise Möbel oder Lampen aus Bambus für den Schweizer Markt zu fertigen, wie ich es auch schon für die Ecolodge getan habe. Bambus könnte in dem Bereich eine Alternative zu den Tropenhölzern sein, die nach wie vor in zu grossen Mengen importiert werden.
Wie hätten Sie reagiert, wenn Ihnen im Studium einer gesagt hätte, Sie würden dereinst im Busch auf Sumatra Bambusgebäude bauen?
Ich hätte wohl laut gelacht. Wobei: Eine konkrete Vorstellung davon, was ich später machen würde, hatte ich damals gar nicht. Erst mit dem Bambus ist nun etwas in mein Leben getreten, das meiner Arbeit eine Richtung gibt. Und mich sehr glücklich macht.