Lange vor Baubeginn flanieren künftige Bewohner durch die neuen Räume und schieben ihre Möbel umher. Möglich machen das interaktive 3D-Modelle, die in einer Zürcher Altbauwohnung entstehen. („Quer“ Nr.01/2016)
In der Feinspinnerei in Windisch entstehen derzeit 29 Wohnungen im Stockwerkeigentum, im kommenden Jahr soll das Gebäude fertiggestellt sein. Längst jedoch spazieren potenzielle Käufer durch ihre künftigen Räume, begutachten den Lichteinfall und schieben Möbel hin und her. Bereits fertiggestellt ist das Büro- und Wohnhaus Lindbergh-Allee im Glattpark bei Zürich. Noch stehen Büroflächen leer. Wer sich dafür interessiert, kann Trennwände einbauen, Mobiliar verteilen und Grünzeug platzieren, ohne auch nur einen Fuss in den Glattpark zu setzen. Das ist nicht die Zukunft, sondern die Gegenwart. Die Technologie dafür wird in Zürich von einem jungen Team aus Architekten und Programmierern bereitgestellt und weiterentwickelt. In einem schwer in die Jahre gekommenen Bürgerhaus arbeitet die Archilogic AG am Fortschritt. Über die knarrende Holztreppe geht es hoch in den zweiten Stock. Mitgründer Tomas Polach empfängt. In den alten Räumen arbeiten an zusammengeschobenen Tischen junge Mitarbeiter konzentriert hinter zahllosen Bildschirmen. Eine neue Entwicklungsstufe steht an. «Darauf fokussieren wir derzeit alles», sagt Polach.
Im Silicon Valley und am WEF
Vor zwei Jahren gründete er mit den drei Mitstreitern Kaspar Helfrich, Pascal Babey und Frederic Schwarz das Unternehmen als ETHSpin- off. Die vier sind studierte Architekten, zum Teil mit internationaler Büroerfahrung. Ihr Studium finanzierten sie sich mit Visualisierungen. Daraus ist ihr heutiges Geschäftsfeld hervorgegangen. Archilogic bietet die Möglichkeit, aus Grundrissen von Immobilien webbasierte und animierte 3D-Modelle zu entwickeln. Das geschieht dank einem Algorithmus teilautomatisiert. Für Korrekturen, Ergänzungen sowie komplexe Details ist Handarbeit nötig. Noch. Die Modelle können in allen gängigen Internetbrowsern betrachtet werden und sind interaktiv Der Betrachter kann sie also aktiv mitgestalten, indem er Wände und Fenster verschiebt, Böden auswählt oder eben: Möbel umherschiebt. Im Frühling 2014 startete das Unternehmen. Mit der Materie beschäftigt hatte sich das innovative Quartett jedoch schon während des Studiums. «Meine Partner befassten sich eher mit Visualisierungen, für mich stand die Interaktion im Vordergrund. Wir ergänzten uns ideal», sagt Polach. In nur zwei Jahren ist das Team von vier auf 17 Personen angewachsen. In zwei Investorenrunden konnte die Firma gegen 2.5 Millionen Franken Investorengelder anziehen. Das ist viel Geld und doch wenig. Die internationale Konkurrenz arbeitet mit deutlich mehr Kapital. Im vergangenen Herbst war Archilogic eines von fünf Siegerteams der Swisscom Startup Challence. Im Januar konnte sich die Firma am Rande des diesjährigen WEF präsentieren.
Marketing als Zwischenschritt
Als erstes ist die Immobilienbranche auf das Produkt angesprungen. Auf zahlreichen Immobilienplattformen im In- und Ausland können potenzielle Käufer und Mieter mittlerweile die ausgeschriebenen Objekte auch als 3D-Modell erleben. Und es werden immer mehr: Rund 250 000 Quadratmeter Innenraum rechnet die 3D-Engine pro Monat um, sagte CEO Helfrich jüngst in der Handelszeitung.
Ein Marketing-Tool zu bauen, war jedoch nicht die Vision, die das Quartett verfolgte. «Ziel war vielmehr, die Kommunikation über Architektur und Räume zwischen Planungsprofis und Laien zu verbessern», sagt Mitgründer Frederic Schwarz und klickt an einem Modell herum. Ein simples Beispiel: Ein 13-Quadratmeter-Raum ist für einen Laien schwer vorstellbar. Kann er nun im virtuellen Modell ein Doppelbett als Vergleichsgrösse in den Raum stellen, wächst sein Verständnis schlagartig. Die Möglichkeiten lassen sich bis zum kollaborativen Planungsprozess weiterdenken: Architekten definieren im 3D-Modell die grundlegenden Spielregeln, etwa punkto Statik. Darauf aufbauend passen die künftigen Bewohner interaktiv ihre eigenen Ideen direkt ins Modell ein. «Es wäre doch toll, wenn dereinst aus solchen Planungsprozessen völlig neue Gebäudetypen hervorgingen», sagt Schwarz. Doch auch in der Betriebsphase sehen die Jungunternehmer Potenzial: Ihre 3D-Modelle könnten sich zur Schaltzentrale im Smart Home entwickeln.
«Noch läuft aber die Angewöhnungsphase an animierte 3D-Modelle», sagt Polach. Ein willkommenes Mittel dafür ist die Verbreitung für Marketingzwecke. Auf die Bedürfnisse des Marketings zielt auch der jüngste Entwicklungsschritt ab, an dem beim Besuch alle krampfen: eine umfassende Webplattform, auf der professionelle Kunden ihre zahlreichen Modelle zentral verwalten, weiterbearbeiten und teilen können. Während die Immobilienbranche die neuen Tools rege aufsaugt, hält die Schweizer Planungs- und Baubranche noch wacker an herkömmlichen Prozessen fest. Ungeachtet dessen geht in der Zürcher Altbauwohnung der technologische Fortschritt auf internationalem Niveau weiter.