Ende einer Ära. Nach 15 Jahren auf seinem Posten geht Daniel Lehmann, Direktor und Leiter Geschäftsstelle des Schweizerischen Baumeisterverbands (SBV) im Frühling in Pension. Im Gespräch zieht er ein nüchternes aber zufriedenes Fazit. („die baustellen“ Nr.01/2016)
«die baustellen»: Sie leiten die SBV-Geschäftsstelle seit 15 Jahren. Im Frühling gehen Sie in Rente und Benedikt Koch übernimmt Ihren Posten. Was überwiegt wenige Monate davor: Vorfreude oder Abschiedsschmerz?
Daniel Lehmann: Weder noch. Ich arbeite einfach ganz normal bis zum letzten Tag am 30. April 2016. Ich bin nicht der emotionale Typ, der darob in Wehmut zerfliesst. Ich habe mich hier engagiert und stets versucht, etwas Gescheites auf die Beine zu stellen. Das war ein Lebensabschnitt. Er geht jetzt zu Ende. Dann beginnt ein neuer.
Sie wollen es bis zum letzten Tag durchziehen. Weshalb gehen Sie dann schon mit 63 Jahren?
Man muss dann aufhören, wenn man das Gefühl hat, es sei einigermassen rund gelaufen und man noch so gesund ist, um eine neue Herausforderung anzunehmen.
Zentralpräsident Gian-Luca Lardi ist nach gut einem Jahr richtig im Amt angekommen. Ein neuer LMV ist unter Dach. Der SBV kann jetzt beruhigt die Zukunft angehen. Hat man Ihnen auf diese Situation hin nahe gelegt, den Platz frei zu machen?
Nein. Den Beschluss für einen Abgang zu diesem Zeitpunkt habe ich selbst gefasst. Ich habe ihn intern auch schon länger kommuniziert. Logisch war aber, dass ich nicht gleichzeitig mit dem ehemaligen Zentralpräsidenten aufhören würde.
Sie sagen, Sie hätten stets versucht, etwas Gescheites auf die Beine zu stellen. Im Rückblick: Was würden Sie hervorheben?
Als ich kurz vor der Jahrtausendwende beim SBV zu arbeiten begann, standen schwergewichtige Herausforderungen und Problemfelder im Raum. Man arbeitete sich aus einem veritablen EDV-Debakel heraus. Allgemein machte man sich Gedanken über Struktur und Zukunft des Verbands. Das war nötig, um den SBV so aufzustellen, dass er getragen wird von seinen Mitgliedern.
Reizte Sie die Rolle des Aufräumers?
Überhaupt nicht. Aber ich habe schon gerne Jobs, in denen etwas los ist.
Sie waren vor Ihrer Zeit beim SBV 16 Jahre lang Direktor des Schweizerischen Maler- und Gipsermeisterverbands. Wie kamen Sie als studierter Jurist in die Verbandswelt?
Das geschah eher zufällig. Als junger Jurist arbeitete ich bei einem Anwalt in Zürich, der zwei, drei Verbandsmandate hielt. So kam ich mit dem Verbandswesen in Kontakt. Ich merkte rasch, dass mir dieses Metier an der Schnittstelle zwischen Wirtschaft und Politik zusagte. Ich arbeitete dann aber noch drei Jahre für eine Grossbank, bevor ich beim Maler- und Gipsermeisterverband einstieg.
1999 wechselten Sie zum SBV und übernahmen dort unter dem damaligen Zentralpräsidenten Heinz Pletscher als Abteilungsleiter Arbeitgeberpolitik eines der zentralen Dossiers des Verbands. Woher wussten Sie als Mann von aussen überhaupt, was den Bauunternehmern unter den Nägeln brennt?
Ich war davor bereits während 16 Jahren intensiv mit KMU-typischen Bedürfnissen konfrontiert. Deshalb waren mir auch die Bedürfnisse der KMU-Betriebe des Bauhauptgewerbes nicht fremd, welche mit 80 bis 85 Prozent die grosse Mehrheit der Branche stellen.
Welche Anforderungen stellt das?
Vor allem heisst das, dass alles, was vonseiten des Verbands unternommen wird, KMU-tauglich sein muss. Das heisst: Administrativ schlank, leicht verständlich und einfach umsetzbar. Ich sehe immer wieder, wie gerade junge Akademiker, die bei uns auf der Geschäftsstelle arbeiten, damit Mühe bekunden. Als Verband haben wir jedoch nur dann eine Existenzberechtigung, wenn unsere Mitglieder verstehen, was wir tun. Also müssen wir in der Sprache unserer Mitglieder sprechen. Folgerichtig sind wir nach wie vor ein hemdsärmeliger Bauverband, der eine andere Sprache spricht als die Bankiervereinigung.
Nur zwei Jahre nach Ihrem Eintritt in den SBV wurden Sie zum Verbandsdirektor ernannt. Wie haben Sie das angestellt?
Das hat sich so ergeben. Es gab eine Vakanz und man klärte ab, ob eine interne Lösung möglich wäre. Manchmal passen einfach verschiedene Faktoren gut zusammen.
Es passte offenbar bis heute. Welches war Ihr roter Faden?
Ein Schwerpunkt, der mich von Anfang an und bis heute begleitete, war das Arbeitsrecht. Und ebenso konstant waren und sind wir der Auffassung, dass die beste Lösung ein Gesamtarbeitsvertrag ist. Ein solcher ist aber nicht selbstverständlich. Es erfordert immer wieder viel Effort, um einen Vertrag aufrecht zu erhalten oder gegebenenfalls anzupassen, der nicht nur den Arbeitnehmern hervorragende Arbeitsbedingungen garantiert, sondern auch für die Arbeitgeber Vorteile bringt. Das gilt speziell auch jetzt wieder, da wir wohl einen konjunkturellen Zenit überschritten haben.
Die Arbeit am LMV ist nie ganz abgeschlossen. Eine Sisyphusarbeit?
Nein, denn die unablässige Arbeit bleibt ja nicht ohne Ergebnis. Man muss aber einsehen, dass irgendwann das Ende der Fahnenstange erreicht ist. Man kann nicht Jahr für Jahr ungeachtet der gesamtwirtschaftlichen Situation mehr und mehr Leistungen fordern. Wir haben heute einen Stand erreicht, an dem es vornehmlich um zwei Dinge geht: Den bestehende über die Runden zu bringen. Und den ganz kleinen Teil der Firmen besser zu erfassen und auf Linie zu bringen, der sich nicht an die Vereinbarungen hält.
Muss der SBV hier aktiver werden?
Der SBV ist in diesem Bereich bereits sehr aktiv und wir bleiben dran. Der LMV hat ja zwei Grundaspekte: Inhalt und Vollzug. Es ist auch Aufgabe des SBV, den Vollzug des LMV sicher zu stellen und wo nötig zu optimieren.
Wie soll das besser gelingen?
Zum Beispiel mit einem Baustellen-Badge. Wir arbeiten intensiv an der Entwicklung eines entsprechenden Systems.
Worum geht es dabei?
Um die Einführung eines personalisierten Badges mit dem sein Träger offen sichtbar bestätigt, dass er korrekte Arbeitsbedingungen hat. Auf immer komplexer werdenden Baustellen könnte das ein wirksamer erster Filter sein, um die Spreu vom Weizen zu trennen, also um jenes Prozent besser zu identifizieren, das sich nicht an die Vereinbarungen hält.
Finden Sie heute die schwarzen Schafe nicht?
Es ist nicht einfach. Am effizientesten findet man sie tatsächlich direkt auf den Baustellen. Ein offen sichtbares Mittel – eben beispielsweise ein Badge – könnte vor Ort helfen, um rasch eine Triage vorzunehmen.
In den Medien werden immer wieder negative Beispiele präsentiert. Haben Journalisten die besseren Spürnasen als der SBV?
Nein. Die Hinweise an die Medien kommen ja meistens von Gewerkschaftern, die vertrauliche Informationen aus den zuständigen paritätischen Kontrollgremien an die Öffentlichkeit bringen. Ausserdem stammen die publizierten Fälle erstens fast ausschliesslich aus dem Baunebengewerbe, bei denen sich zweitens jeweils relativ rasch herausstellt, dass nicht so viel Fleisch am Knochen ist, wie zunächst vermittelt wurde. Wir vom SBV wollen aber keine Effekthascherei, sondern sachlich und professionell vorgehen, um den Vollzug zu verbessern.
2013 wurde die Solidarhaftung eingeführt. Sie sprechen von einem Badge-System, das Sie einführen möchten. Bei beidem handelt es sich um Massnahmen, die alle, also auch die korrekt vorgehenden Unternehmen betreffen. Ist das nötig, um die schwarzen Schafe auszumerzen?
Ja. Ideal wäre, wenn Bauhaupt- und Baunebengewerbe sogar eine einheitliche Lösung finden würden. Diese Lösung müsste dann natürlich paritätisch und allgemeinverbindlich sein, also für alle Marktteilnehmer gelten. Auch hier lautet die Devise: Eine Lösung muss KMU-verträglich sein.
Wie beurteilen Sie die Wirkung der Solidarhaftung?
Wir waren von Anfang an skeptisch und haben opponiert. Aber nicht, weil wir gegen einen verbesserten Vollzug wären, sondern weil wir überzeugt waren davon, dass dieses Instrument nicht zielführend ist. Davon sind wir auch nach drei Jahren, in denen die Solidarhaftung gilt, überzeugt.
Es bräuchte also noch schärfere Massnahmen?
Nein, nicht schärfer, sondern mit besserem Bezug zur Praxis. Nur so ist gewährleistet, dass man jene Arbeiter schützt, die man schützen will. Das Badge-System wäre eine Möglichkeit, um dies zu erreichen.
Haben Sie schon mit den Gewerkschaften darüber gesprochen?
Sicher. Wir haben ihnen die Idee vor rund zwei Jahren vorgestellt.
Weshalb gibt es den Badge noch nicht?
Es braucht seine Zeit, um solche Ideen zu konkretisieren. Aber wir sind zuversichtlich, dass solche oder ähnliche KMU-tauglichen Instrumente für den verbesserten Vollzug eingeführt werden können.
2003 – Sie waren seit zwei Jahren auf dem Direktionsposten – gab Heinz Pletscher das Zentralpräsidium ab und trat mit Werner Messmer ein ganz anderer Typ an die Spitze des SBV. Pointiert, teils provokativ, manche beschrieben ihn als «Hardliner». Wie haben Sie ihn als Präsidenten erlebt?
Wir haben uns gut verstanden. Und wir haben uns gut ergänzt. Er hat der Geschäftsstelle intern freie Hand gelassen. Er war als nationaler Politiker natürlich vielseitig engagiert und auf Entlastung angewiesen. Gleichzeitig hat er uns immer den Rücken gestärkt.
2007 ging alles drunter und drüber, als Messmer den Landesmantelvertrag aufkündigte.
Das war am 23. Mai 2007 an der Delegiertenversammlung in Delémont.
Sie erinnern sich gut an den Tag.
Ja. Die SBV-Delegierten beschlossen an diesem Tag, den LMV zu künden. Soweit ich mich erinnere, gab es keine Gegenstimmen. Man ist damals zum Schluss gelangt, dass die Fortführung einer so interpretierten Sozialpartnerschaft für die Unternehmer nicht mehr wünschenswert ist.
Waren Sie einer Meinung mit Messmer?
Absolut. Aber die Kündigung des LMV war nicht nur eine Sache von Messmer und Lehmann, sondern eine Sache, in der sich der ganze Vorstand und schliesslich auch die Delegierten einig waren.
Das ist acht Jahre her. Hat es sich gelohnt?
Ich denke ja. Unserer Auffassung nach herrschte damals eine Situation, in der ein Sozialpartner nicht mehr ernsthaft daran interessiert war, sich an grundlegende Vereinbarungen zu halten. Deshalb war ein Impuls nötig. Dieser hat dazu geführt, dass man sich gegenseitig wieder mehr Rechenschaft darüber ablegen musste, was es bedeutet, eine solche Sozialpartnerschaft einzugehen. Es bedeutet nämlich etwas mehr, als nur Vertragspartner zu sein.
Unter Messmer führten Sie teilweise die Verhandlungen mit den Gewerkschaften. Im Konflikt 2015 stand Lardi als Kopf des SBV im Zentrum. Wie machten Sie jeweils aus, wer wann die Gespräche führt?
Es ist grundsätzlich ein taktischer Entscheid, wann der oberste Chef einer Organisation in Erscheinung tritt. Darüber hinaus gab und gibt es immer unterschiedliche Zuständigkeiten und Verhandlungen. Die Verhandlung des Kader-GAV oblag beispielsweise immer der Geschäftsstelle, während die Führung der Verhandlung des LMV beim Zentralvorstand lag. Die Präsenz Lardis im vergangenen Jahr ist deshalb keine Abweichung von einer herkömmlichen Strategie.
Es gab sogar eine «Arena»-Sendung zum Konflikt. Sass Direktor Lehmann vor dem TV-Gerät und kaute an seinen Nägeln?
Überhaupt nicht (lacht). Allerdings waren wir erstaunt, dass eigens für das Thema eine «Arena» angesetzt wurde. Die paar wenigen Demonstrationen während den Verhandlungen hatten kaum Wirbel ausgelöst. Zudem liefen die Verhandlungen noch. Ein unmöglicher Zeitpunkt also für eine öffentliche Debatte. Aber wir haben uns dann doch entschieden, an der Sendung teilzunehmen.
Weshalb hat der SBV nicht gemeinsam mit den Gewerkschaften klargestellt, dass man zu diesem Zeitpunkt keine öffentliche Debatte will?
In Verhandlungen verfolgen unterschiedliche Verhandlungspartner zu unterschiedlichen Zeiten unterschiedliche Interessen.
Die Gewerkschaften wollten den öffentlichen Auftritt?
Sie können das so auffassen.
In der öffentlichen Debatte war der SBV in den vergangenen Jahren häufig in einer eher defensiven Position, wenn die Medien Beispiele von Lohndumping oder die LMV-Verhandlungen thematisierten. Täuscht der Eindruck?
Ich würde ihn zumindest nicht unterschreiben. Es ist doch so, dass die Medien etwa bei Streiks am Anfang jeweils sehr intensiv berichten und mit spektakulären Bildern illustrieren. So zugespitzte Beiträge vermitteln wohl den Eindruck, der SBV sei unter Zugzwang. Erfahrungsgemäss ändert sich das jeweils nach ein paar Tagen, wenn sich die Journalisten damit zu befassen beginnen, was wirklich hinter Protestaktionen steckt. Angesichts der hervorragenden Arbeitsbedingungen sind es dann eher die Gewerkschaften, die ein Glaubwürdigkeitsproblem bekommen.
Kaum ein anderer Arbeitskonflikt wird stärker öffentlich ausgetragen als jener im Bauhauptgewerbe. Wie ist das zu erklären?
Die Frage ist berechtigt. Wir fragen die Gewerkschaften jeweils auch, weshalb sie ihre Kräfte nicht eher in Bereichen einsetzt, in denen wirklich schlechte Arbeitsbedingungen herrschen.
Welche Gründe sehen Sie?
Die Gewerkschaften verzeichnen im Baugewerbe einen grossen Mitgliederanteil – wenn auch mit grossen regionalen Unterschieden. Zweitens ist der Bau eine überall sichtbare Branche. Das macht es einfacher, Konflikte ins Rampenlicht zu rücken.
Gerade in Konfliktphasen wird auch über den Zustand des SBV spekuliert. 2007 war von einer Spaltung die Rede. Auch später sprach man von Unstimmigkeiten zwischen den grossen und den ganz kleinen Bauunternehmungen. Wie geht es dem SBV?
Von einer Spaltung kann sicher keine Rede sein. Dass es punktuell unterschiedliche Meinungen gibt, ist bei einem so grossen Verband selbstverständlich. In den zentralen Anliegen herrscht indes Einigkeit. In der jüngsten Verhandlungsrunde waren wir aufseiten des SBV beispielsweise einig darüber, dass wir keinen vertragslosen Zustand wollen.
Dennoch: Ein grosser Anteil ihrer Mitglieder sind kleine Unternehmen. Ein kleiner Anteil ihrer Mitglieder sind grosse Unternehmen. Deren Welten haben fast nichts gemein. Wie hält man sie dennoch beisammen?
Wir können alle im SBV beisammen halten, weil alle wissen: Es ist für alle die beste Lösung, wenn wir in einem Verband organisiert sind und so als starke Organisation unsere Interessen vertreten können. Dass kleine und grosse Unternehmen keine Gemeinsamkeiten haben, würde ich übrigens nicht sagen. Beide bauen. Einfach in unterschiedlichen Dimensionen.
Sie haben unterschiedliche Erwartungen an einen Verband.
Sicher, was einzelne Aspekte oder Dienstleistungen des Verbands angeht. Bei den zentralen Anliegen wie beispielsweise in Fragen der Ausbildung, Kartellgesetzgebung, Energiegesetzgebung, Bestimmungen für Ersatzneubauten haben sowohl grosse wie auch kleine Unternehmen ein vitales Interesse daran, dass sie innerhalb von guten politischen Rahmenbedingungen unternehmerisch tätig sein können. Diese zu bewahren oder gegebenenfalls zu optimieren, ist das zentrale und verbindende Anliegen aller Mitglieder.
Um diese Herausforderungen kümmert sich künftig ihr Nachfolger, Benedikt Koch. Um welche Baustelle beneiden Sie ihn nicht?
Es gibt keine Baustelle, mit der ich lieber nichts zu tun haben will. Ich war da, um Herausforderungen anzunehmen und ich habe das gerne gemacht. Gleichzeitig bin ich überzeugt, dass mein Nachfolger einen guten Job machen wird. Er kommt vom Bau her, kennt die Bedürfnisse der Branche und als Geschäftsführer des Fachverbands Infra auch das Verbandswesen. Ich gebe meinen Posten beruhigt an ihn ab.
Welchen Ratschlag geben Sie ihm?
Dass er der KMU-Prägung, wie sie der SBV heute hat, weiterhin Sorge tragen soll. Darüber hinaus empfehle ich ihm, die Aufgaben so zu erledigen, wie er es für richtig hält. Dann kommt es in der Regel gut.
Was machen Sie nach Ihrem Abgang?
Sie werden lachen: Ich habe vor, einen Kurs am MAZ, der Schweizer Journalistenschule, zu besuchen. Ich will lernen, was alles nötig ist, um einen guten Artikel zu schreiben. Wer weiss, vielleicht schreibe ich mal einen Beitrag für eine Lokalzeitung. Und wenn er nicht veröffentlicht wird, gehe ich einfach nochmals in einen Kurs.