Die Hauenstein-Strecke ist heute eine der meistbefahrenen Linien des Schweizer Eisenbahnnetzes. Der 8134 Meter lange Basistunnel der Strecke wurde vor 100 Jahren eröffnet. In aller Stille. („die baustellen“ Nr.01/2016)
Am frühen Morgen des 8. Januar 1916 fährt in aller möglicher Stille ein Zug durch den Hauenstein-Basistunnel. Es spielt keine Kapelle auf, keine Festgesellschaft empfängt den Zug vor dem Portal, es werden keine grossen Reden geschwungen. Ein Zug fuhr durch ein Tunnel. Sonst nichts.
An jenem frühen Morgen des 8. Januar 1916 fuhr zum ersten Mal ein regulärer Zug durch den neuen Hauenstein-Basistunnel. Feiern fand man, war an jenem Tag und zu jener Zeit unangebracht, weil pietätlos. Die Welt um die Schweiz herum stand mitten im ersten Weltkrieg. Obwohl die Schweiz – wie erstaunlicherweise dann wieder im Zweiten Weltkrieg – weitgehend unversehrt davon kam, prägte der Krieg den Schweizer Alltag. Es herrschte allgemeine Mobilmachung, die kriegsdienstfähigen Männer wurden eingezogen, entweder zum aktiven Dienst in der Feldarmee oder in den Hilfsdienst. Für ein ordentliches Fest fehlte nebst der passenden Stimmung also auch ein schöner Teil der Bevölkerung. Dabei hätte die Fertigstellung und die Inbetriebnahme des Hauenstein-Basistunnel durchaus ein Fest verdient.
Club der Grossen
Denn mit seiner Länge von 8134 Metern ist der Hauenstein-Basistunnel zwischen Tecknau (BL) und Trimbach (SO) auch hundert Jahre nach seiner Inbetriebnahme noch Mitglied im 12er Club der Schweizer Tunnel-Giganten. Den nächstens in Betrieb gehenden Gotthard-Basistunnel mit eingerechnet, ist der Hauenstein nach wie vor der zwölftlängste Tunnel der Schweiz. Und seine Geschichte ist eng verknüpft mit weiteren Grössen unter den Schweizer Tunnels.
50 Jahre vor dem Basistunnel wurde mit dem alten Hauensteintunnel erstmals der Jura für eine Bahnlinie durchstochen. Der alte Tunnel wurde 1858 in Betrieb genommen. Er verläuft etwas weiter westlich des heutigen Basistunnels zwischen Läufelfingen und Trimbach und ist mit knapp 2500 Metern deutlich kürzer. Da der alte Tunnel höher angelegt wurde, weist die Zufahrt teils herausfordernde Steigungen bzw. Gefälle von über 26 Promille auf. Es sind Steigungen im Bereich der alten Gotthard-Route. Um sie zu bewältigen, mussten die Züge mit zusätzlichen Lokomotiven ergänzt werden.
25 Jahre nach Eröffnung des alten Hauensteintunnels wurde der 15 Kilometer lange Gotthard-Eisenbahntunnel dem Betrieb übergeben. Wieder 25 Jahre später folgte die Simplon-Linie mit der ersten, 19’800 Meter langen Tunnelröhre. Beide Grossbauwerke sorgten dafür, dass der Eisenbahnverkehr auf der Nord-Süd-Achse zunahm. Und immer augenfälliger wurde: Die steile und kurvenreiche Hauensteinstrecke war als Zubringer im Nordwesten der Schweiz mit den veränderten Bedürfnissen überfordert.
Kurz nach der Jahrhundertwende hatten die SBB die Hauensteinstrecke von der Schweizerischen Central-Bahn (SCB) übernommen. Nun prüften sie verschiedene Varianten von Juradurchstichen, um den Flaschenhals im Nordwesten der Schweiz zu entschärfen. Schliesslich setzte sich die Variante mit einem Basistunnel zwischen Tecknau und Trimbach durch. 1909 wurde die Strecke beschlossen, 1910 bewilligten die nationalen Räte einen Projektkredit von 24 Millionen Franken, 2012 wurde beidseitig mit den Arbeiten begonnen.
Arbeiterdorf, Festhütte, Kriminalität
Sowohl in Tecknau wie auch in Trimbach wurden grosse Barackendörfer errichtet. Im Dorf «Tripolis», wie das Arbeiterdorf bei Trimbach genannt wurde, sollen zeitweise bis zu 3000 Personen, vorwiegend italienische Gastarbeiter mitsamt ihren Familien gewohnt haben. Das Arbeiterdorf bei Trimbach hatte zu dieser Zeit mehr Einwohner als Trimbach selbst, was zu sozialen Unruhen führte, wie ein Lokalhistoriker anlässlich des Jubiläums dem Schweizer Radio erklärte.
Die italienischen Arbeiter waren offenbar raue, erfahrene und abgehärtete Kerle, viele von ihnen hatten bereits am Simplon gearbeitet. Unter ihnen sei es im «Tripolis» häufig zu Streitigkeiten, Messerstechereien, gar Schiessereien gekommen, berichtete der Lokalhistoriker. Gar ein Mordfall gab es aufzuklären. Beim Barackendorf wurde aufgrund der Vorkommnisse eigens ein Polizeiposten eingerichtet. Zudem wurde ein Waffenverbot erlassen.
Handkehrum wussten die Arbeiter auch, wie man feiert. Die Tanzabende und das Kino zogen Dorfbewohner aus der ganzen Umgebung ins «Tripolis».
Als 1914 der Erste Weltkrieg ausbrach und Italien in den Krieg eintrat, wurden die meisten italienischen Arbeiter nach Hause beordert und ins Militär eingezogen. Es kam zu einigen Monaten Unterbruch auf der Tunnelbaustelle, bevor die Arbeiten unter Einbezug von vorwiegend einheimischen Arbeitskräften sowie dank Mithilfe des Militärs weitergeführt wurde.
Viele Unfälle, weniger Tote
Auf der Tunnelbaustelle wurde in drei Schichten rund um die Uhr gearbeitet. Im Unterschied zum Bau des ersten Hauensteintunnels kam Sprengstoff zum Einsatz, daneben trieben jeweils rund zwei Dutzend Männer den Stollen mit Presslufthämmern voran, während der Rest Ausbruchmaterial abführte sowie den Tunnel ausweitete. Wie eine aktuelle Ausstellung zum Hauenstein-Projekt im Historischen Museum Olten (siehe Kasten) zeigt, waren die Baumänner mehrheitlich nicht einmal mit Handschuhen und Helmen ausgerüstet. Kein Wunder, kam es zu zahlreichen Unfällen: Laut SBB-Unfallarchiv kam es während der Bauzeit zu rund 4800 Unfällen. Zwölf Arbeiter kamen ums Leben. Beim Bau des ersten, aber viel kürzeren Hauensteintunnels 50 Jahre zuvor waren noch rund 150 Todesopfer registriert worden.
Am 10. Juli 2014, 20 Tage vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs, gelang 18 Monate früher als geplant der Durchstich. Aufgrund der Kriegssituation gestaltete sich der Ausbau des Tunnels schwierig. Nachdem die meisten Italiener eingezogen wurden, fehlte zunächst das Baupersonal. Später musste aufgrund der Versorgungsknappheit Material gespart sowie mangelhaftes Material verarbeitet werden. Die Konsequenz davon: Bereits bei Abnahme des fertigen Tunnels wurden Mängel registriert, aber aufgrund des Kriegszustands nicht behoben.
Nachdem am 8. Januar 1916 der fertige, aber mangelhafte, Hauenstein-Basistunnel in aller Stille in Betrieb genommen wurde, musste er bereits drei Jahre später saniert werden. Nochmals fünf Jahre später wurde die Strecke elektrifiziert.
Nach Angaben der SBB befahren heute weit über 400 Züge pro Tag den 100 Jahre alten Hauenstein-Basistunnel. Die Strecke gilt als eine der meistbefahrenen der Schweiz.