Seit Jahren forscht und entwickelt Hansjürg Leibundgut, emeritierter ETH-Professor für Gebäudetechnik, an «2Sol», seinem Gebäudetechnik-System für das emissionsfreie Haus. Pünktlich zur Marktreife reichte er nun in Zürich eine Initiative ein, die Öl- und Gasheizungen verbieten soll. (intelligent bauen Nr.09/2015)
Paukenschlag am 24. August 2015 im Zürcher Kantonsrat: Eine Gruppe um Hansjürg Leibundgut, emeritierter ETH-Professor für Gebäudetechnik, reichte die «Redem-Initiative für klimafreundliche Gebäude» ein. Die Initiative verlangt auf Kantonsebene in Zürich ein Verbot für Öl- und Gas-Heizungen sowie -Warmwasseranlagen in Gebäuden. Zunächst soll eine Übergangfrist mit sukzessive verschärften Grenzwerten für CO2-Emissionen aus fossilen Brennstoffen im Gebäudebereich gelten. Nach Annahme der Initiative lautete der Grenzwert bei Neubauten nach zehn Jahren, bei bestehenden Bauten nach 18 Jahren: Null.
Die Initiative wird unterstützt von mehr als 40 Professoren und Doktoren von ETH, EPFL und Fachhochschulen. Bei der Einreichung der Initiative richtete Leibundgut deutliche Worte an die Volksvertreter: Stadt und Kanton hätten sich hehre Klimaziele gesetzt, doch einen Plan, wie diese zu erreichen seien, gebe es nicht. Er habe nun genug vom Palaver der Politiker, sagte er.
Der energische Professor schaffte es in den letzten Jahren mit der Arbeit an seinem «2Sol»-System (siehe Kasten) immer wieder, aus dem Wissenschaftszirkel hinaus in eine breitere Öffentlichkeit zu treten. 2011 berichtete etwa der «Beobachter» erstmals darüber, dass Leibundgut sein System am eigenen Mehrfamilienhaus in Zürich testet. 2012 empfing er Reporter der Sendung «Einstein» bei sich zu Hause und zeigte ihnen den Kabelsalat in der damaligen Technikzentrale. Heute sieht es darin recht ordentlich aus.
Mittlerweile haben Leibundgut, sein Team sowie eine Gruppe von industriellen Herstellerfirmen die «Allianz 2Sol» gebildet und das System zur Marktreife gebracht. Leibundguts Firma, die BS2 AG, vermarktet das System und verkauft Lizenzen. Kurz nach seinem Auftritt im Rathaus fand Leibundgut Zeit für ein Gespräch im «B35», seinem privaten Wohnlabor in Zürich.
«intelligent bauen»: Soeben haben Sie im Zürcher Kantonsrat Ihre Redem-Initiative eingereicht. Weshalb gerade jetzt?
Hansjürg Leibundgut: Erstens, weil es höchste Zeit ist für eine Vorgabe, die der künftigen Entwicklung eine Richtung gibt. Wir geben eine klare Zielvorgabe, gleichzeitig ist die Initiative offen formuliert. Wir schreiben also keine Technologie vor, sondern untersagen nur Öl und Gas. Zweitens handelt es sich um eine konzertierte Aktion: Gut zwei Wochen nach der Einreichung halte ich in der Umweltarena in Spreitenbach einen Vortrag zur Schweizer Energiezukunft und verteilen wir erstmals die Prospekte für unser «2Sol»- System mit den neusten Komponenten. Die Initiative ist eine Begleitmassnahme dafür.
Welche Resonanz haben Sie auf die Initiative erhalten?
Es gab ein paar Zeitungsberichte. Darüber hinaus habe ich keine spezielle Resonanz bekommen.
Wird die Initiative gar nicht zur Kenntnis genommen?
Doch. Unser Vorhaben wird stark goutiert. Die Gegner sind zurückhaltend, weil sie hilflos sind. Unser Vorhaben ist fundiert, man kann es nicht als Absurdität abtun. Dennoch kommt nun der Hauseigentümerverband und behauptet, die Folgekosten seien hoch. Tatsächlich kennt der HEV die Kosten gar nicht.
Dann sagen Sie: Welche Kosten verursacht ein Öl- und Gasausstieg in Zürich?
In der Gesamtrechnung kostet er nichts. Wie wir in der Initiative schreiben, führt das Verbot und die gestaffelte Umsetzung im Gegenteil sogar zu gesamtwirtschaftlich positiven Effekten. Ein Programm von zwei ETHStudenten zeigt, dass unser «2Sol»-Gebäudesystem im Vergleich zu anderen Systemen das günstigste ist. Eine gestaffelte Umsetzung erforderte gemäss unseren Berechnungen einen Investitionsbedarf von schweizweit zehn Milliarden Franken jährlich. Damit würde ein gesamtwirtschaftlicher Nutzen von jährlich 16 Milliarden Franken realisiert. Das ist eine Provokation.
Provokativ ist auch das Verbot an sich. Weshalb ist es nötig?
Weil es der einzige Weg ist.
Es gibt andere Wege: Anreizsysteme, Gebäudeprogramm, KEV-Subventionen.
All das taugt nicht, um das Ziel zu erreichen. Solche Programme laufen seit 20 Jahren. Dennoch sind wir nicht vom Fleck gekommen.
Fukushima hat im Jahr 2011 der Schweizer Energiepolitik eine neue Richtung gegeben. Auf nationaler Ebene wurde die Energiewende in Form der Energiestrategie 2050 aufgegleist.
Ich verstehe nicht, von welcher Wende Sie reden. Niemand in diesem Politbetrieb hat eine konkrete Ahnung davon, was eine echte Wende ist und was es zu einer solchen braucht.
Die Energiestrategie 2050 des Bundesrats stützt sich auch auf Expertisen von ETH-Wissenschaftlern.
Das Problem ist, dass alle im gleichen Schema denken: Die Umstellung sei schwierig, sie sei teuer und man wolle dafür nicht Vorschriften erlassen, sondern nur Anreize setzen. Das führt nicht zum Ziel. Ich erinnere daran, dass Mitte der 1980er-Jahre ein Masterplan Lufthygiene aufgestellt wurde. Man verbot, dass Neuwagen mit verbleitem Benzin und ohne Katalysator herumfahren. Heute ist das selbstverständlich. Das Verbot stört niemanden.
Ihre Initiative ist eingereicht. Wovon gehen Sie nun aus?
Ich gehe von einer sauberen Mehrheit im Kantonsrat aus. Ich möchte sehen, welche potenziellen Gegner sich getrauen, die Initiative offen abzulehnen. Denn auch sie müssen einsehen, dass die heutige Energiepolitik mit ihren Subventionssystemen nicht zielgerichtet ist und deshalb früher oder später aufgegeben werden muss. Unsere Initiative bietet eine gute Gelegenheit dafür.
Gemäss Bundesamt für Umwelt hatten 2013 Öl und Gas für Heizung und Warmwasser schweizweit einen Anteil von 65 Prozent. Im Kanton Zürich dürfte der Anteil ähnlich sein. Wie soll dieser gewaltige Anteil innert knapp 20 Jahren wegsaniert werden?
Das geschieht automatisch, indem die alten Heizungen nach und nach abliegen. Die Übergangsfristen und Grenzwerte unserer Initiative orientieren sich an den üblichen Sanierungszyklen herkömmlicher Heizsysteme.
Nur dass Hausbesitzer statt einfach den Kessel zu ersetzen, ein komplett neues Energiesystem einbauen müssen.
Das würde ich jedem Hausbesitzer empfehlen. Innerhalb der Übergangfristen lässt unsere Initiative aber völlig offen, wie die Hausbesitzer reagieren. Sie können die stufenweise verschärften Grenzwerte auch einhalten, indem sie Dächer und Hüllen sanieren und Ölheizung der neusten Generation einbauen. Nur: Welcher intelligente Hausbesitzer investiert in eine neue Ölheizung, wenn er weiss, dass sie in ein paar Jahren verboten ist?
Im Gegensatz zu bestehenden Bauten könnte ein Ölverbot bei Neubauten theoretisch sofort umgesetzt werden. Weshalb sieht die Initiative dennoch eine Übergangsfrist bei Neubauten von 10 Jahren vor?
Ich wollte keine Übergangsfrist. Man hat mich aber davon überzeugt, dass der Vorstoss ohne eine solche Frist keine Chance hat. Ich habe eingewilligt, eben weil die Wahrscheinlichkeit klein ist, dass jemand nach Annahme der Initiative noch eine Ölheizung in einen Neubau einbaut.
Kommen wir vom Verbot zu Ihrer Alternative: Sie haben gemeinsam mit Ihrem Forschungsteam und Industriepartnern das «2Sol»-System (siehe Kasten) entwickelt und zur Marktreife gebracht. Seit bald fünf Jahren testen Sie es im eigenen Haus. Wie lautet das Fazit?
Es funktioniert. Und das, obwohl in meinem Haus noch eine relativ primitive Technologie arbeitet, verglichen mit den Komponenten, die wir heute einsetzen. Es sind zwei herkömmliche U-Rohr-Sonden im Einsatz, die Wärmepumpe ist fünf Jahre alt. Die alten Komponenten erfüllen, was wir prognostiziert haben. Aktuell, zu Beginn der Heizperiode kommt aus dem Erdreich eine Temperatur von 19,8 Grad Celsius. Der Wert wird noch etwas absinken, dennoch zeigt er, dass die saisonale Speicherung selbst mit den aus heutiger Sicht schlechten Sonden funktioniert.
Das System funktioniert in Ihrem Haus. Und in ein paar anderen Häusern. Was macht Sie sicher, dass es überall funktioniert?
Ich bin Ingenieur. Ich kenne die Technik, die hinter unserem System steht. Wir haben sie über Jahre erforscht, entwickelt und weiter optimiert. Ihrer Funktionsweise zugrunde liegen physikalisch Eigenschaften, nicht Willkür oder Vermutungen. Deshalb sage ich klar: Ja, das System funktioniert.
Sie arbeiten mit hybriden Photovoltaik- Elementen auf dem Dach. Nicht alle Dachlagen gelten aber als geeignet für Solaranlagen, zumal im nebligen Mittelland. Was entgegnen Sie?
Das Argument ist berechtigt beispielsweise bei Minergie-P- und Passivhäusern, die ganzjährig angewiesen sind auf solare Erträge. Für unser «2Sol»-System gilt das nicht, weil wir nicht mit der Wintersonne arbeiten. Wir ernten in den Sonnenmonaten genügend solare Energie und lagern sie saisonal in Form von Wärme im Erdreich ein, um damit Winter- und Nebelphasen überbrücken zu können.
Um mit Ihrem System optimale Ergebnisse zu erzielen, braucht es Erdsonden. Diese sind bei Gewässerexperten nicht unumstritten. Man fürchtet Sickerverunreinigungen, welche Grundwasser gefährden könnten, das als Trinkwasser genutzt wird. Wie gehen Sie damit um?
Gelassen. Wir arbeiten mit einem geschlossenen System. In dieses System füllen wir reines Wasser ein, das sauberer ist als das Grundwasser. Das Schlimmste, das unsere Technologie anrichten könnte, wäre eine Verbesserung der Grundwasserqualität.
Sie haben neue koaxiale Erdsonden entwickelt, die jetzt auf den Markt kommen. Im Frühling haben Sie angekündigt, Dichtetests daran durchführen zu wollen. Ist das mittlerweile geschehen?
Ja. Ich habe den Ingenieuren unserer Versuchsanlage in einer Berner Werkstatt in den letzten Tagen zum Durchbruch gratuliert. Aus unserer Warte ist der Beweis der Dichtheit erbracht. Ich sage Ihnen heute, dass unsere Erdsonden mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit 500 Jahre unbeschadet im Boden überdauern werden.
Wie werden die Sonden abgedichtet?
Wir verwenden dafür wie bis anhin einen Polyesterschlauch, den wir allerdings auf der Innenseite mit Silikon beschichten. Es wurde eine Maschine entwickelt, die es erlaubt, das Weben des Schlauchs und das Beschichten mit Silikon innert sehr kurzer Zeit auszuführen. Eine Weltneuheit.
Erdsondenbohrungen sind gebietsweise verboten. Halten Sie solche Verbote aufgrund der Ergebnisse Ihrer Dichtheitstests für hinfällig?
Der Grund für die entsprechenden Verbote im Raum Zürich ist ein Bericht von vier Ingenieurbüros. Aus dem Bericht geht hervor, dass die Hinterfüllung herkömmlicher Erdsondenanlagen ein Problem darstellen kann. Da unsere Sonden keine Hinterfüllung mehr brauchen, trifft die Grundlage des Verbots auf unser System nicht zu. Deshalb gehe ich davon aus, dass die Verbote auf unser System nicht anwendbar sind. Ich werde mit unseren neuen Sonden entsprechende Gesuche einreichen. Sollten uns ohne Gegenbeweise Bewilligung verweigert werden, ziehe ich notfalls bis vor Bundesgericht.
Sie sind felsenfest überzeugt. Kennen Sie Zweifel?
Natürlich. Wer nicht zweifelt, muss aufhören, als Forscher zu arbeiten. Aber so lange niemand meine Thesen falsifiziert, sehe ich keinen Grund, sie nicht mit voller Überzeugung weiter zu verfolgen.
Das System 2Sol
Den Kern der 2Sol-Gebäudetechnik bilden ein saisonaler Erdwärmespeicher, Photovoltaik- Hybridkollektoren, eine effiziente Niederhubwärmepumpe und eine übergeordnete Steuerung der Gesamtanlage. Das Gesamtsystem «2Sol» erntet grosse Mengen an lokal verfügbarer Solarenergie in elektrischer und thermischer Form und nutzt das Erdreich als saisonalen thermischen Speicher. Die nachhaltige Bewirtschaftung des Erdreichs durch Regeneration schafft die Grundvoraussetzungen für eine langfristig hoch effiziente Bereitstellung der Nutzwärme mit einer Wärmepumpe im Niederhubsystem. Daraus resultiert ein äusserst tiefer elektrischer Leistungsbedarf aus externen Quellen, insbesondere während den intensivsten Heizperioden ohne ausreichend lokale Solarstrahlung.