SVP-Politiker Beat Feurer wohnt mit Tamilen und fällt auch sonst aus dem Rahmen seiner Partei. Mit dem Versprechen, die rekordhohe Sozialhilfequote zu senken, wurde er vor zwei Jahren in die Bieler Stadtregierung gewählt – seither folgt ein Krampf auf den anderen. (Surprise Nr. 338, 21. November 2014)
In seinem Büro hängt ein Foto an der Wand. Es zeigt eine Strasse in Los Angeles: Schwarze Nach, düstere Gestalten stehen herum. Auf dem Trottoir liegen Menschen zwischen Müllhaufen. „So soll es in Biel nie aussehen“, sagt Beat Feurer, Bieler SVP-Gemeinderat und Vorsteher des Departements Soziales und Sicherheit.
Feurers Büro liegt im 13. Stock eines Verwaltungshochhauses mitten in Biel. Von hier aus überblickt er die Stadt. Ob er deren Probleme überblickt, darüber gehen die Meinungen auseinander. Denn seit Feurers Amtsantritt vor zwei Jahren folgt ein Krampf dem nächsten.
Die jüngste Eskalation: Nach monatelangem wüstem Konflikt mit einer Chefbeamtin kam Ende Oktober ein Untersuchungsbericht zum Schluss, dass in Feurers Departement „gravierende Führungsmängel auf Stufe der Direktionsleistung eine sachgerechte Arbeit massiv erschweren“. Die Chefbeamtin wurde entlassen, Feurers engster Mitarbeiter versetzt. Feurer selbst wurde zur strategischen Führung seiner Direktion eine „gemeinderätliche Delegation“ aus zwei Gemeinderatskollegen zur Seite gestellt – zwei Aufpasser also.
Derweil stapeln sich die Probleme im Bieler Sozialwesen immer höher. Jüngsten Zahlen zufolge beträgt die Sozialhilfequote in Biel fast 12 Prozent. Bald jeder achte Einwohner bezieht Sozialhilfe. Die Ursachen sind bekannt: Der industrielastige Bieler Arbeitsmarkt zieht Menschen ohne weiterführende Ausbildung an. Die Mieten sind tief, der Ausländeranteil hoch, deren Integration mangelhaft.
Stellt man sich den Mann vor, der all die Probleme schultert und im garstigen Gegenwind aus der Stadt trägt, sieht man keinen Beat Feurer. Denn Feurer wirkt wohl sportlich, aber keineswegs unzerbrechlich. Um Kaffee zu machen, braucht er einen Tipp seiner Sekretärin. Auf seinem Schreibtisch stehen drei leere Bifidus-Joghurtbecher. Im Gespräch wählt er die Worte mit Bedacht, oft legt er kurz den Kopf in die Hände, bevor er antwortet. Ein Polteri ist er nicht.
1960 in Biel geboren, wuchs Feurer in einer „normalen Schweizer Arbeiterfamilie“ auf, wie er sagt. Die Wohnung in einer Genossenschaftssiedlung, die Eltern Gewerkschafter. Feurer machte eine KV-Lehre. Früh fand er zum Glauben, er engagierte sich in einer Freikirche und im Asylbereich. In den Achtzigerjahren leitete er eine Asylunterkunft. Das Soziale war ihm wichtig, sei es heute noch, sagt er. Gleichzeitig habe sich sein Kopf stets von bürgerlichen Positionen angesprochen gefühlt, die Freiheit des Individuums sei für ihn immer zentral gewesen. Über die Jahre ist er von der EVP über die FDP zur SVP gewandert.
Anfang der Neunzigerjahre reiste Feurer nach Sri Lanka. Er wollte sich von der Situation der Tamilen vor Ort ein Bild machen – und fand Freunde. Er begleitete einen tamilischen Mann bei der Flucht nach Indien und erlebte, wie Bomben niedergingen. Der Freund stellte einen Asylantrag in der Schweiz, erfolgreich. Gemeinsam reisten sie nach Biel, Feurer quartierte ihn bei sich ein. Später kam eine Tamilin nach, heute ist das tamilische Paar eingebürgert und lebt – mittlerweile mit drei Kindern – seit über 20 Jahren bei Feurer. Zu den Kindern habe er ein väterliches Verhältnis, sagt er.
Wie kommt man als Fluchthelfer zur SVP? Feurer lacht, er kennt die Frage. Die Partei vertrete seine Vorstellung von freiheitlicher Politik, betont er. Wirtschaft, Zuwanderung, hier ist er auf Linie. In der Asylpolitik hat er eigene Überzeugungen, und zwar „nicht trotz, sondern wegen meiner Erfahrungen im Asylbereich“, sagt er. Feurers Ansatz: Statt Asylbewerber mit Verfahren und Restriktionen zu quälen, sollen Ziele mit ihnen vereinbart werden – etwa eine Sprache zu lernen. Wer diese nicht erfüllt, muss gehen. Dass dies nicht kompatibel wäre mit der Europäischen Menschenrechtskonvention, weiss Feurer.
Feurer lebt offen homosexuell. 2010 brachte er viele aus seiner Partei gegen sich auf, als er den Verein „Gay SVP“ mitgründete, den er bis heute präsidiert. Die Junge SVP Wallis liess verlauten, „Gay SVP“ sei ein Krebsgeschwür. Bis heute untersagt die SVP Schweiz dem Verein die Verwendung des SVP-Logos. „Weil es sich um keine offizielle Sektion der SVP handelt“, heisst es im Parteisekretariat.
Nach der Gründung wurde Feurer im Westschweizer Fernsehen gefragt, ob er nun das schwule Schaf der SVP sei. Feurer lachte und sagte, wer sich vor Schafen fürchte, sei ein Hasenfuss. Die Souveränität war gespielt. „Ich war erschüttert. Es ging nicht darum, ob ich etwas Richtiges oder etwas Falsches sagte. Sondern darum, ob ich als Mensch richtig oder falsch bin“, sagt er.
Die Bieler glaubten an ihn. Im Herbst 2012 wählte sie ihn, der bis dahin weder Parlaments- noch Regierungserfahrung hatte, in die Bieler Exekutive. Als erster SVP-Mitglied überhaupt. Im Wahlkampf hatte er auf die Probleme im Sozialwesen gesetzt, war mit Flyern auf der Strasse gestanden. Das zog. Seine Sexualität hingegen war kein Thema.
Feurer ist seither einer von schweizweit gut 200 SVP-Gemeindeexekutivmitgliedern, die sich um das Ressort Soziales kümmern. Er gehört zur Speerspitze jener Partei, die sich den Kampf gegen den „ausufernden Sozialstaat“ ins Parteiprogramm geschrieben hat. Hat Feurer also in seiner ersten Legislaturhälfte die Sozialhilfe-Hochburg Biel auf den Kopf gestellt? Nein. Einmal im Amt, musste er einräumen, dass es keine Wundermittel gebe. Zwar röntgt derzeit ein Wirtschaftsprüfer in seinem Auftrag das Bieler Sozialamt. Die Ergebnisse stehen noch aus. Die Sozialinspektorin, die Anfang Jahr ihren Dienst aufnahm, hat wenig zutage gebracht. Das bisherige Fazit: Man könne nicht bestätigen, dass Sozialhilfemissbrauch ein besonderes Problem sei.
Ein Coup ist ausgeblieben. Feurer, angetreten mit dem Versprechen, die Bieler Sozialhilfequote zu senken, muss unspektakuläre Kleinarbeit leisten. Vieles ist kantonal geregelt. Feurer hat wenig Spielraum, seit der jüngsten Untersuchung noch weniger. Gebetsmühlenartig wiederholt er, er brauche Zeit, um die Bieler Probleme zu lösen. Nicht Monate, Jahre. Es fragt sich nur, ob er die bekommen wird.