Hochkonjunktur mit kritischer Aussicht. Mit dieser Situation ist auch die Bauzulieferindustrie konfrontiert. Was tun? Industrie- und Bauzuliefer-Experte Sven Siepen, Managing-Partner von Roland Berger Strategy Consultants Schweiz, kennt ein paar Antworten. (intelligent bauen Nr. 09/2014)
«intelligent bauen»: Stellen Sie sich vor, Sie würden morgen als Besitzer eines Schweizer Bauzulieferunternehmens aufwachen. Was für ein Unternehmen sollte das sein?
Ich möchte lieber ein Bauzulieferunternehmen haben als ein Bauunternehen.
Weshalb?
Weil ich dadurch eher die Möglichkeit habe, mich durch Innovation und Kundenfokussierung zu differenzieren. Und weil es mit einem Bauzulieferunternehmen bedeutend einfacher ist, international tätig zu werden.
Sie halten Bauunternehmen also für weniger innovationsfähig. Wie kommen Sie zu dem Befund?
Innovation wird meist getrieben durch eine Notwendigkeit. Die Notwendigkeit gab es in den letzten Jahren im Schweizer Baugewerbe aber nicht. Es gab ein grosses Wachstum. Jeder hat sein Stück vom Kuchen abbekommen. Doch die Situation verändert sich. Es zeichnet sich eine Phase der Konsolidierung ab. Der Druck für die Unternehmen, sich zu differenzieren, steigt.
Der gute Geschäftsgang hat in den letzten Jahren Innovation verhindert?
Das würde ich nicht pauschal sagen. Innovation bedeutet Investition in die Zukunft. Wenn ein Unternehmen sehr gut läuft, investiert es jedoch tendenziell Geld und Ressourcen nicht in die Zukunft, sondern versucht, den jetzt möglichen Umsatz mitzunehmen. Kurz gesagt: Man schmeisst alle Mann an die Front. Gerade bei börsennotierten Unternehmen ist der Druck gross.
Eine Abkühlung der Konjunktur könnte förderlich sein für die Innovation?
Die Frage ist: Wann beginne ich als Unternehmen mit Innovation. Ich rate meinen Kunden natürlich, sich in guten Zeiten auf schlechtere Phasen vorzubereiten. Erst in der Krise damit anzufangen, ist häufig zu spät.
Das klingt nach Lehrbuch.
Richtig. Und lässt sich in der Praxis nicht vollständig umsetzen. Ein Unternehmer ist immer mit beschränkten Mitteln und Ressourcen konfrontiert. Diese müssen je nach Konjunkturlage möglichst sinnvoll eingesetzt werden. Das ist immer ein Kompromiss.
Wie beschreiben Sie heute die Situation in der Schweizer Bauzulieferindustrie?
Stand heute – damit meine ich das erste Halbjahr 2014 – geht es der Industrie sehr gut. Wir sehen ein zum Teil deutliches Umsatzplus der Unternehmen gegenüber dem Vorjahr. Der Wohnungsbau lief extrem gut. Der Tiefbau gut. Hier fallen langsam Grossprojekte raus und man fragt sich, ob und welche neuen Impulse zu erwarten sind. Der Wirtschaftsbau lief noch sehr gut. Die steigende Leerstandsquoten in den Zentren gelten hier jedoch als Warnsignal.
Überraschen Sie die guten Halbjahreszahlen?
Jein. Die Zahlen sind unter anderem deshalb so gut, weil im Januar und Februar fast nahtlos gebaut werden konnte, derweil wir uns an einen ganz schlechten Winter 2013 erinnern. Entsprechend ist Euphorie ob den Halbjahreszahlen nicht angebracht. Was die Branche auf Trab hält, ist ja nach wie vor der Stau in den Aufträgen. Die Baugenehmigung, die Pläne, die Aufträge sind da. Entscheidend für die Zukunft ist allerdings Eingang von neuen Aufträgen. Wir wissen: Dieser Auftragseingang ist rückläufig.
Vor den Sommerferien haben die Credit Suisse und der Baumeisterverband den Bauindex für das zweite Quartal 2014 veröffentlicht. Er geht davon aus, dass neue Grossprojekte im Tiefbau, auf deren Impuls viele hoffen, ausbleiben.
Das ist richtig. Aber nichts Neues. Denn schon im letzten Bericht kündigten sich keine neuen grossen Tiefbauprojekte an. Die Impulse fehlen zunehmend. Bis dato hat sich das aber noch nicht negativ auf den Geschäftsgang ausgewirkt.
Heute Hochkonjunktur, morgen kritisch, vermutlich Konsolidierung. Wie soll ich mich angesichts eines solchen Ausblicks als Bauzulieferer verhalten?
Sie haben verschiedene Möglichkeiten, die Sie je nach Grösse des Unternehmens unterschiedlich angehen müssen. Zunächst rate ich, lokale Risiken – die in der Schweiz anders sind als beispielsweise in Deutschland – durch einen breiteren Fussabdruck, was die Absatzmärkte angeht, zu optimieren.
Es sind häufig grössere Unternehmen, die ins Ausland gehen. Was sollen die Kleineren machen?
Es gibt zahlreiche Beispiele von Zulieferunternehmen in verschiedenen Grössen, welche ihre Internationalisierung erfolgreich vorantreiben. Aber ja, für kleine Unternehmen ist es nicht so leicht, ins Ausland zu gehen.
Was also sollen sie tun?
Wir raten, einen so genannten «light footprint» anzustreben. Die Unternehmen müssen sich auf eine Basis stellen, die es ihnen erlaubt, sehr flexibel auf sich rasch verändernde Situationen einzustellen. Verschiedene Aspekte führen dazu: Zunächst wieder Innovation. Durch Produkteinnovation kreiert man sich einen Vorteil, der in einer Konsolidierungsphase nützlich ist. Durch Prozessinnovation – beispielsweise durch verstärkte Zusammenarbeit mit externen Contractors – lassen sich die Fixkosten senken. Das schafft Luft zum Atmen. Und schliesslich lassen sich durch strategische Partnerschaften – beispielsweise im Entwicklungsbereich mit Hochschulen – wertvolle Synergien nutzen. Flexibilität ist das A und O.
Der Schritt ins Ausland gelingt unter anderem, weil die Ansprüche in der Schweiz an Produkte und Dienstleistungen sehr hoch sind. Kann man die Schweiz als Labor bezeichnen?
Die Schweiz hat tatsächlich ein wesentlich höheres Niveau, was die Baustruktur angeht. Das fängt bei der Technologie der Produkte an und geht weiter über die Planung bis zur Ausführung. In der Schweiz kommen oft Technologien zum Einsatz, die es beispielsweise in Deutschland gar nicht gibt. Es werden Lösungen eingesetzt, die in der Anschaffung wohl teurer, über den Lebenszyklus hinweg jedoch preiswerter sind. Diese Denkhaltung ist im Ausland seltener. Hier haben Schweizer Zulieferer sehr viel Potenzial und sehr gute Möglichkeiten, um Kunden zu überzeugen.
Gelingt es ihnen?
Ja, die sehr guten Halbjahreszahlen zeigen das. Ein klassisches Beispiel ist Geberit. Die Produkte sind in der Anschaffung vergleichsweise teurer. Durch die einfache Ausführungsarbeit und die zuverlässige Lebensdauer zahlt der Endkunde aber letztlich weniger, als mit einem billigen Konkurrenzprodukt. Das Unternehmen kann das im Ausland vermitteln.
Die Schweiz ist in den vergangenen Jahren stabil geblieben, derweil die Märkte im Ausland heftig geschüttelt wurden. Wenn Sie zu Internationalisierung raten, raten Sie nicht zum Gang in weniger solide Gefilde?
Der Gedankengang ist logisch. Bloss: Weshalb war in der Schweiz die Konjunktur in den letzten Jahren zufriedenstellend? Wir haben es in der Schweiz geschafft, die Produktivität sukzessive weiter zu steigern. Unser stabiles, steuerlich attraktives System hat laufend neue Unternehmen angezogen. So konnte ein Wachstum generiert werden, das grösser ist als das Bevölkerungswachstum. Sich darauf zu verlassen, dass es einfach so weitergeht, wäre fahrlässig.
Die Baubranche hat – trotz Hochkonjunktur – ein Preis- und Margenproblem. Sie schafft es nicht, bei höherer Nachfrage höhere Preis durchzusetzen. Schaffen das die Bauzulieferer?
Das lässt sich nicht pauschal sagen, weil es unter den Zulieferern sehr unterschiedliche Unternehmen gibt. Wir sehen aber klar Unternehmen, die dank innovativer Produkte oder Dienstleistungen die Preise erhöhen konnten. Auch beim Preis ist die Innovation der Schlüssel zum Erfolg.
Sie verantworten die bekannte Bauzulieferstudie. In der letztjährigen Ausgabe zeigten sich die Marktteilnehmer nach einem schwierigen 2012 weitgehend optimistisch. Aus einem Jahr Distanz betrachtet: Wie nahe dran war die Studie an der Realität?
Sehr nahe dran. Die Einschätzungen der Marktteilnehmer und Analysten haben sich weitgehend bestätigt. Es ist ein realistisches Abbild der Branchenentwicklung, welches die Studie nachzeichnete.
Die Studie fusst unter anderem auf Einschätzungen von Marktteilnehmern. Bei den Bauzulieferern machen die befragten Teilnehmer rund 70 Prozent des Marktumsatzes aus. Wenn diese Marktteilnehmer steigende Risiken identifizieren, bereiten sie ihre Unternehmen dann auch gewissenhaft darauf vor?
Ich schlage es ihnen zumindest regelmässig vor und darf entsprechende Projekte durchführen (lacht). Die Unternehmen haben ein grosses Interesse an dem Thema, speziell an der Idee des «light footprint». Wenn sie mich jedoch fragen, ob die Erkenntnisse schon an der Basis der operativen Ebene angekommen sind: Nein.
Weshalb nicht?
Die Bauindustrie ist eine sehr verkrustete Industrie. Wandel war lange Zeit nicht angesagt. In solchen Unternehmen das Geschäftsmodell und die Strukturen zu verändern, braucht viel Zeit. Die Branche befindet sich insgesamt in einer frühen Phase eines Wandels. Sie muss ihn vollziehen. Wie schnell, kann ich jedoch nicht sagen.
Ihre Kunden machen vermutlich klassische 5-Jahres-Strategien …
Dann rate ich ihnen: Macht 3-Jahres-Strategien. Viele Unternehmer sind schon selbst darauf gekommen. Trotzdem sind sie zum Teil mit der Problematik konfrontiert, sehr langfristige Investitionen tätigen zu müssen. Das betrifft vor allem die Zulieferer von Baustoffen und Materialien. Für sie wird es immer schwieriger, weil sich kaum mehr Partner finden, die in ein auf 30 Jahre angelegtes Investment eines Industriebetriebs einsteigen.
Hand aufs Herz: Wäre das für Sie eher Wunschtraum oder Alptraum, morgen als Unternehmer in der Bauzulieferindustrie zu erwachen?
Ich glaube nach wie vor daran, dass man als Bauzulieferer gutes Geld in verschiedensten wirtschaftlichen Situationen verdienen kann. Ich muss mich frühzeitig und flexibel auf Wachstum, auf Konsolidierung oder allgemein sich verändernde Märkte und Rahmenbedingungen einstellen. Das ist in jedem Zulieferbereich möglich.