Seit Jahren kämpft sie für mehr Anerkennung von Stahl und Stahlbauweise. Jetzt spricht sich Evelyn Frisch, Architektin und Direktorin des Stahlbau Zentrums Schweiz (SZS), für das grosse Miteinander aus. (intelligent bauen Nr. 03/2013)
«intelligent bauen»: Anfang März wurde in Aarau der 45 Meter hohe Sprecherhof gesprengt. 5000 Tonnen Beton und Stahl fielen in sich zusammen. Ihr Kommentar dazu?
Evelyn Frisch: Die spektakuläre Art des Rückbaus lässt darauf schliessen, dass man offenbar mit dem Gebäude nichts anderes mehr machen konnte, als es zu sprengen. Das ist symptomatisch für einen grossen Teil der Schweizer Bausubstanz, die nicht nachhaltig gebaut wurde. Wäre es ein Stahlbau gewesen, hätte man entweder sanieren oder mindestens die Tragstruktur wiederverwenden können.
Flexibilität wird heute überall verlangt. Bei Bauten sieht das oft noch anders aus.
Wir sind noch nicht soweit. Die Flexibilität der Bauweise – also die Fähigkeit, sich ohne grossen Aufwand an veränderte Bedürfnisse anzupassen – ist ein wichtiger Teil der Nachhaltigkeit. Aber noch fehlen die Voraussetzungen, die dazu führen, dass im praktischen Bauwesen entsprechende Lö- sungen umgesetzt werden müssen.
Vorschriften?
Oder Baunormen. Darüber, dass heute nachhaltig gebaut werden soll, herrscht weitgehend Übereinstimmung. Doch wer kann diesen Anspruch stellen? Und wer bestimmt überhaupt, was nachhaltiges Bauen ist? Wir verfügen heute über Ökobilanzierungs-Tools, die nur auf Materiaebene funktionieren und im Bereich der Energieeffizienz der Nutzung. Sie geben Auskunft über die graue Energie oder die Umweltbelastung in den Baustoffen und darüber, wie z.B. Heizenergie gespart werden kann. Doch konstruktive Aspekte der Bauweise selbst werden noch gänzlich ignoriert.
Welche Aspekte sollten da berücksichtig werden?
Nicht nur das Baumaterial, sondern auch die Bauweise sollte nachhaltig sein. Gewährleistet die Bauweise z.B. eine spätere Umnutzung? Können Installationen einfach angepasst oder repariert werden, ohne dass Decken und Wände aufgespitzt werden müssen? Können bei einem Rückbau die einzelnen Materialien sauber getrennt und rezykliert werden? Wenn sich heute ein öffentlicher Bauherr entschliesst, ein nachhaltiges Gebäude erstellen zu lassen und zu diesem Zweck eine Ökobilanz in Auftrag gibt, werden all diese Fragen nicht berücksichtigt. Das muss sich ändern.
Manche dieser Kriterien sind hypothetischer Natur: Vielleicht wird ein Gebäude gar nie umgenutzt oder umgebaut.
Das Argument hört man häufig im Zusammenhang mit dem Wohnungsbau. Aber wer hat heute noch Lust auf die kleinteiligen Dreizimmewohnungen der 60er Jahre mit fix zugeteilten Eltern- und Kinderschlafzimmern? Ist die Bauweise flexibel, kann hier reagiert werden ohne das ganze Gebäude zu sprengen. Die Gesellschaft verändert sich laufend. Das ist keine These, sondern eine Tatsache. Wenn wir heute nachhaltig bauen wollen, müssen wir das einkalkulieren.
Die Holzbauer kämpfen für mehr Holzbau, die Betonbauer für mehr Betonbau, die Stahlbauer für mehr Stahlbau. Wie erleben Sie diesen Wettstreit?
Wir vom Stahlbau haben ein grosses Interesse am Verbundbau. Der Stahl ist ja nur die Tragstruktur – bei Decken und Wänden greift auch der Stahlbau auf andere Materialien zurück. Wenn nun diese Material-Gemeinschaft auch statische Funktionen übernimmt, d.h. alle Materialien zusammenwirken, spricht man von Verbundbau. Hier gibt es grosse Vorteile, weil jedes Material optimal eingesetzt wird.
Sie wollen Zweckgemeinschaften fördern?
Unbedingt. Wir sind sehr an der Hybridbauweise interessiert. Es sind die Beton- und die Holzbranche, die daran noch wenig Interesse zeigen.
Beide nicht?
Beton eindeutig nicht, weil der heutige Massivbau für sich alleine funktioniert Und beim Holz gibt es zumindest eine starke Lobby für den reinen Holzbau. Vielleicht ändert sich das irgendwann. Jedenfalls würde der Stahl im Holzbau für schlankere und damit effizientere Bauten sorgen. Aus Sicht des Stahlbaus resultieren aus Zusammenarbeiten nur Vorteile – für alle Beteiligten. Gerade die Planer hätten ein grosses Bedürfnis nach solchen gemeinsamen Lösungen. Dieses wird jedoch nicht gestillt, wenn jede Branche nur mit Scheuklappen entwickelt und kommuniziert.
Wie könnte man diese Verkrustung aufbrechen?
Wir wollen gemeinsam mit der ZHAW in Winterthur einen Weiterbildungs-Studiengang zum Thema Hybridbau entwickeln. So könnte die Zusammenarbeit von Grund auf gefördert werden. Die Nachfrage sollte praktisch von den Planern kommen, dann wird sich die Industrie darauf einstellen.
Ein Kompetenzzentrum für Hybridbau also. Ist das eine konkrete Geschichte?
Noch ist nichts beschlossen, aber eine Arbeitsgruppe ist am Werk. Wir würden gerne im Jahr 2014 mit dem ersten CAS-Studiengang starten.
Sollten nicht Bauherren direkt für clevere Lösungen begeistert werden?
Bauherren stützen ihre Meinung in der Regel auf dem Wissen von Planern ab. Wenn die Planer in einer Bauweise wenig versiert sind, wird diese auch nicht umgesetzt. Das wird sich ändern, sobald gewisse Nachhaltigkeits-Standards verbindlich werden, die schlicht dazu zwingen, nach neuen Lösungen zu suchen.
Stahl wäre der Nutzniesser des etablierten Hybridbaus. Deshalb wollen Sie ihn erzwingen.
Ich brauche ihn nicht zu erzwingen. Der Hybridbau wird sich im Sinne der Nachhaltigkeit und im Zuge von realitätsnaheren Ökobilanzen automatisch etablieren. Damit werden sicher auch in der Beton- und Holzbranche neuen Lösungen für eine nachhaltige, d.h. trennbare und flexible Bauweise entwickelt werden – quasi aus der Nachfrage heraus.
Sie haben in den vergangenen Jahren intensiv das Image des ökologischen Baumaterials Stahl gefördert. Mit welchem Erfolg?
Ziel war es, darauf hinzuweisen, dass der Stahl, der in der Schweiz verbaut wird, ein Recycling-Material ist. Diese Botschaft ist angekommen. Stahlbau ist ein Thema geworden, auch in den Medien. Wir haben den Prix Acier gut eingeführt, wir spüren ein Interesse der Planer an dem Material und an der Bauweise. Unseren Stahlbau-Unternehmen geht es – trotz allgemein schlechten Preisen – relativ gut. Das werte ich durchaus als Erfolg. Trotzdem ist der Stahl in der Schweiz ein Baumaterial, das häufig nur verwendet wird, wenn es anders nicht geht. Wir haben also noch zu tun.
Offenbar – Sie schildern selbst in einer jüngst veröffentlichten Kolumne, dass viele Architekten glauben, der MinergieEco-Standard könne mit einem Stahlbau nicht erreicht werden. Ist Ihre Botschaft doch nicht angekommen?
Es ist vielmehr so, dass die Stahlbauweise noch nicht wirklich in den Köpfen der Planer angekommen ist. Planer, die ihr Leben lang in Beton oder Holz gebaut haben, machen sich häufig nicht die Mühe, den Stahlbau neu zu denken.
Minergie gibt auf Anfrage an: «Grundsätzlich ist es möglich den Stahl-Neubau nach Minergie-ECO zu zertifizieren. Beim Stahlbau sollte man das Thema Graue Energie besonders im Auge behalten.»
Selbstverständlich ist der Standard erreichbar, weil er vor allem die Energie-Effizienz der Nutzung bemisst. Der Hinweis auf die Graue Energie spricht wieder das gängige Vorurteil an, dass Stahl ein Energiefresser sei. Wenn bei der Grauen Energie der Recycling-Stahl berücksichtigt wird, schneidet er ebenso gut ab wie der Stahlbeton. Wir hoffen darauf, dass irgendwann auch die Nachhaltigkeit der Bauweise selbst zu Buche schlägt – dann wird der Stahlbau bestens abschneiden.
Stahl gilt nicht nur als energieintensiv in der Produktion, sondern auch als teuer.
Das trifft allerdings nur zu, wenn man die reinen Erstellungskosten kalkuliert. Sobald man über den gesamten Lebenszyklus hinweg rechnet, hat der Stahlbau Vorteile. Auch hier glaube ich: Die Tendenz, heute stärker den gesamten Lebenszyklus zu betrachten, spielt dem Stahlbau in die Hände.
Wird man in 20 Jahren in der Schweiz vermehrt in Stahl bauen?
Das kann ich nicht sagen. Ich bin jedoch überzeugt davon, dass in 20 Jahren nachhaltiger gebaut wird als heute. Und da könnten Vorteile des Stahlbaus zum Tragen kommen, die heute noch nicht so berücksichtigt werden, wie sie es verdienen.