Seit gut einem Jahr steht Branchenneuling Hanspeter Fässler als CEO an der Spitze von Implenia. Wie er das Eintauchen in die Bauwelt erlebte, wie er den Konzern prägen will und weshalb für ihn nicht «alles easy» ist. (die baustellen Nr. 09/11)
«die baustellen»: Anfang September wurden die Halbjahreszahlen veröffentlicht. Der Konzernumsatz liegt leicht über der Vorjahresperiode. Der Gewinn ist um 66 Prozent eingebrochen. Wie gross ist die Enttäuschung?
Hanspeter Fässler: Natürlich freue ich mich nicht über den Gewinnrückgang. Wir hatten vor allem bei der Bau Infra im Hochbaubereich in einem schwierigen Preisumfeld mit operativen Herausforderungen zu kämpfen. Zudem haben die Finanzierungskosten für die 200-Millionen-Franken-Anleihe vom letzten Jahr erstmals voll zu Buche geschlagen. Gleichzeitig freue ich mich über die Ergebnisse in den beiden anderen Divisionen. Real Estate hat sowohl beim Generalunternehmen wie auch im Projektentwicklungsgeschäft ein hervorragendes Resultat erzielt. Der Konzernbereich Industrial Construction erwirtschaftete ebenfalls ein starkes Ergebnis und ist gut unterwegs. In der Bau Infra haben wir bereits geeignete Massnahmen eingeleitet, um operativ wieder auf Kurs zu kommen. Insgesamt ist Implenia – auch dank der vollen Auftragsbücher – für die Zukunft bestens aufgestellt.
In der Mitteilung hiess es, vor allem in Zürich und Basel könne vor dem Hintergrund des Preisdrucks im Hochbau kaum noch gewinnbringend gearbeitet werden. Die Situation ist angesichts der Nachfrage absurd. Wie konnte es soweit kommen?
Die Einstiegsbarrieren im Bereich Hochbau sind tief, so dass es trotz der hohen Nachfrage immer wieder Anbieter gibt, die ein Projekt unter Gestehungskosten offerieren. Unsere Strategie ist klar: Wir offerieren nur für Projekte, mit denen sich eine Mindestmarge erzielen lässt.
In Zürich und Basel werden derzeit grosse und vor allem hohe Prestigebauten geplant oder realisiert. Werden diese Bauten von Ihrer Konkurrenz also gewinnfrei realisiert?
Ich kann nicht für unsere Mitbewerber sprechen. In den Projekten, in denen wir mitofferieren, stellen wir fest, dass kaum mehr ein Gewinn realisiert werden kann. Entsprechend haben wir beispielsweise in Zürich trotz eines hohen Offertvolumens in diesem Jahr praktisch keine Neuaufträge im Hochbau verbucht.
Bereits wurde mit einem Personalabbau in den Städten Zürich und Basel reagiert. Welche weiteren Reaktionen und Konsequenzen sind vorstellbar?
Tatsächlich mussten wir in den Problemregionen im Hochbau Personal abbauen, rund 50 Feststellen sowie 170 Temporärstellen. In anderen Regionen, etwa im Tessin, in der Westschweiz und in anderen Sparten, haben wir jedoch gleichzeitig Feststellen aufgebaut. Wir nutzen auch unsere schweizweite Präsenz, um Personal und Ressourcen regionenübergreifend einzusetzen. Darüber hinaus arbeiten wir an der Kostenoptimierung durch den gezielten Einkauf im Ausland oder indem wir unseren Produktmix hin zu rentableren Sparten verlagern. Ausserdem wird die laufende Zentralisierung und Flexibilisierung unseres Inventars weiter forciert.
Das Geschäft mit der Bauausführung wird vom enormen Preisdruck kaputt gemacht. Im Gegensatz dazu profitiert das Generalunternehmen vom gleichen Phänomen. Aus ökonomischer Warte sollten Sie die Ausführung im Hochbau aufgeben.
Dass wir weiterhin als Gesamtdienstleister tätig sein wollen, steht ausser Diskussion. Wir sind überzeugt, dass wir als integrierter Anbieter, der ein Bauwerk über dessen gesamten Lebenszyklus begleiten kann, am meisten nachhaltigen Mehrwert für unsere Kunden bieten können.
Sie sind vor gut einem Jahr als Branchenneuling von der ABB zu Implenia gekommen. Hatten Sie einen Bezug zum Bau?
Mein Vater hatte ein Ingenieurbüro im Sanitärbereich. So kam ich bereits als Schüler und Student auf diverse Baustellen, um mein Taschengeld aufzubessern. Das hat mir immer gefallen. Das Bauen ist eine sehr kreative Tätigkeit, man sieht rasch ein konkretes Resultat.
Wie lange mussten Sie überlegen, als die Anfrage von Implenia kam?
Sie kam für mich überraschend. Deshalb habe ich die Entscheidung nicht sofort gefällt. Zudem war ich sehr zufrieden mit meinem bisherigen Arbeitgeber ABB und meinem damaligen Job als Verantwortlicher für die Mittelmeerregion und Italien. Es war mir bewusst, dass es ein grosser Schritt wäre, in eine neue Funktion und eine neue Branche. Also nahm ich mir die Zeit, das gut zu überlegen.
Gab es Zweifel?
Nein, aber Respekt. Obwohl ich in meiner Karriere schon mehrere grössere Wechsel vollzogen habe, bin ich nicht der Typ, der solche Schritte mit einem «alles easy» abtut.
In den vergangenen Jahren gab es im Implenia-Top-Management mehrere Wechsel. Hat Sie das abgeschreckt?
Vielmehr sah ich darin eine Chance. Implenia besteht seit rund fünf Jahren. Die Firma ist noch jung und gestaltungsfähig. Die Chance, als CEO die Implenia nachhaltig zu prägen, hat mich gereizt.
In welche Richtung soll die Prägung gehen?
Implenia ist der klare Marktleader in der Schweiz und hat eine klare Strategie. Die strategischen Wachstumsfelder sind in der Schweiz die Projektentwicklung, die auch unser integriertes Geschäftsmodell speist, und im Ausland der Tunnelbau, wo wir über Weltklasse-Know-how verfügen. In beiden Gebieten haben wir in den letzten 12 Monaten eine wichtige Akquisition gemacht. Als CEO ist es meine Aufgabe, das Unternehmen in diese Richtung zu steuern, wobei ich meine internationale Erfahrung, insbesondere im Aufbau unserer Auslandsaktivitäten, einbringen kann.
Es heisst, Sie seien häufig auf Baustellen. Dennoch: Ihre Welt ist eine andere als jene der Handwerker vor Ort. Wie gross ist das Verständnis?
Ich habe selbst einen Ingenieur-Hintergrund. Das Verständnis für die Technik ist durchaus vorhanden, auch wenn ich die detaillierten Bauspezifika nicht intus habe. Dazu kommen ein grosses Interesse und auch Respekt vor den Leistungen, die heute auf dem Bau erbracht werden. Entsprechend interessiert höre ich zu, was mir die Leute auf den Baustellen zu sagen haben. Die Mitarbeitenden wissen, dass der Chef offen ist für ihre Anliegen und Inputs, und dieser Austausch fördert das gegenseitige Verständnis.
Sie sind Mitte des vergangenen Jahres auf ein Implenia-Schiff aufgestiegen, das in voller Fahrt war. Ist das für einen neuen CEO ein Vor- oder ein Nachteil?
Ich sehe darin einen Vorteil. Die stabile Situation hat mir die Freiheit gegeben, mich sauber einzuarbeiten. Es war nicht nötig, sofort das Ruder herumzureissen. Ich will in Zukunft primär auf eine gute Entwicklung der Firma zurückblicken können, es geht nicht darum, was der Fässler mit der Implenia Tolles erreicht hat.
Ist die Akquisition von Firmen – wie es etwa Strabag im grösseren Stil macht – ein Thema für Sie?
Wir schliessen nicht aus, Unternehmen zu kaufen, jedoch nicht nach dem Motto «mehr vom Gleichen». Einfach mehr Marktanteile in der Schweiz zu kaufen, ist für uns als Marktleader keine clevere Strategie. Eine Akquisition muss einer klaren industriellen Logik folgen, das kann eine Ergänzung unseres Angebotsportfolios bedeuten oder eine geografische Ausweitung.
Die zweite Wachstumsstrategie zielt ins Ausland. Man hat das Gefühl, um das Russland-Engagement von Implenia ist es ruhig geworden.
Ein wichtiger Teil unserer Aktivitäten in Russland ist fokussiert auf Sportstadien. An der Bewerbung Russlands für die Fussball Weltmeisterschaft 2018 waren wir entscheidend beteiligt. Wir haben heute in Russland ein Team von eigenen Mitarbeitern, das mittlerweile über ein starkes Netzwerk verfügt, welches wir sukzessive weiter ausbauen. Wir sind heute ausschliesslich als Berater, Organisator und Projektleiter tätig und übernehmen keine Werkvertragsrisiken.
Russland ist allerdings nur ein kleiner Teil der Auslandsaktivitäten.
Richtig. Die hauptsächliche Motivation für unser Auslandsengagement kommt aus dem Tunnelbereich. Dafür gab es zwei Gründe: Erstens geht das Marktvolumen im Schweizer Tunnelbau wieder auf das Vor-Neat-Niveau zurück. Zweitens verfügt Implenia im Tunnelbau über einzigartiges Know-how, das exportierbar ist. Wichtige Zielmärkte sind für unseren Tunnelbau einerseits der mittlere Osten, wo wir bereits erste Projekte im Bereich Microtunnelling ausführen, und anderseits die europäischen Länder. Hier haben wir diesen Sommer mit der Akquisition der Betonmast Anlegg AS in Norwegen einen wichtigen Schritt vollzogen. Die Übernahme eröffnet uns den Zugang zum stark wachsenden norwegischen Tunnel- und Infrastrukturmarkt sowie zu weiteren Märkten in Skandinavien. Implenia wird mit den rund 250 Mitarbeitenden in Norwegen einen Jahresumsatz von rund 100 Millionen Franken erwirtschaften. Damit erhöht sich der Umsatz unseres Konzernbereichs Industrial Construction um rund zwei Drittel, und auf dieser Basis werden wir weiter wachsen.
Aufgrund welcher Kriterien entscheiden Sie, ob Sie die Risiken eines konkreten Auslandsprojekts tragen können und wollen?
Im Tunnelbau sind die Margen höher als im Übrigen Baubereich, sowohl im Ausland wie auch in der Schweiz. Dennoch müssen die Risiken minimiert werden, was für jedes Projekt mittels einer systematischen Risikobewertung erfolgt. Ausserdem arbeiten wir bei ausländischen Projekten im Normalfall mit einem lokalen Partner, der die lokalen Gegebenheiten kennt. Betonmast Anlegg beispielsweise ist im norwegischen Markt bestens verankert und kennt die Gegebenheiten vor Ort.
Implenia hat bezüglich Logo erfolgreich neue Wege in der Schweizer Baubranche beschritten. Wie zufrieden sind Sie mit dem Image?
Ich bin sehr zufrieden mit dem Marktauftritt. Das Logo und unser Auftritt insgesamt sind positiv besetzt, aber wir dürfen uns nicht zurücklehnen. Beispielsweise schneiden wir noch zu wenig gut ab bei Studentenumfragen zu den bevorzugten zukünftigen Arbeitgebern für Baufachleute. Genauso wichtig ist es uns aber, gute Lehrlinge und generell gute Mitarbeitende für unser Unternehmen gewinnen zu können. Die Mitarbeitenden sind ganz klar unser wichtigstes Kapital.
Wie schwierig ist es, gute Lehrlinge zu finden?
Es ist nicht einfach. Wir müssen in diesem Bereich noch mehr tun.
Hier kommt Ihnen das Gesamtimage der Branche in die Quere. Gute Schüler entscheiden sich nicht für eine Karriere auf dem Bau.
Zu unrecht. Die Anforderungen auf dem Bau sind hoch. Es sind umfassende Fähigkeiten gefragt und es gilt, komplexe Herausforderungen zu bewältigen. Daneben bietet der Bau aber auch Praktikern eine Chance, deren Kernkompetenzen weniger im theoretischen Bereich liegen.
Blickt man zwei, drei Jahre zurück, kann es erstaunen, dass Unternehmen im Bausektor dermassen gut laufen. Erstaunt es auch Sie?
Man muss grundsätzlich zwischen Hoch- und Tiefbau unterscheiden. Im Tiefbau tritt hauptsächlich die öffentliche Hand als Auftraggeberin auf, diese investiert und plant relativ langfristig und berücksichtigt die Kapazitäten auf dem Markt. Auch im Hochbau haben sich die Grundparameter während der letzten Krise nicht stark verändert: Die hohe Nachfrage blieb bestehen, die Leerwohnungsziffern waren konstant tief und es ist keine Immobilienblase entstanden. Insofern gilt: Der Bau hat die Krisensituation nahezu unbeschadet überstanden.
Wird heute Volumen verbaut, dem man übermorgen nachtrauert?
Davon gehe ich nicht aus. Ich glaube, die Nachfrage wird nachhaltig bestehen bleiben. Die Schweiz wächst hauptsächlich durch Immigration – eine Zuwanderung, die aus meiner Sicht positiv ist und die wir absolut brauchen. Ich gehe davon aus, dass die Schweiz langfristig attraktiv bleibt, sowohl für Privatpersonen als auch für Unternehmen, auch wenn sich diese Attraktivität bei einem zu starken Franken etwas abschwächen könnte. Es wird also weiter gebaut werden. Wichtig ist allerdings, dass intelligent und nachhaltig gebaut wird. Das Gebot der Stunde lautet Verdichtung. Zur Illustration: In London leben etwa gleich viele Menschen wie in der Schweiz – angesiedelt auf einem Gebiet so gross wie der Kanton Zürich.
Will man ein Projekt nachhaltig gestalten, müssen die Weichen in der Entwicklungs- und Planungsphase gestellt werden. Wie geht Implenia dabei vor?
Wir haben dazu ein systematisches Verfahren entwickelt. Für jeden Projektentwicklungs- Antrag muss eine Bewertung von 18 Nachhaltigkeitskriterien vorgenommen werden. In Bezug auf verschiedene Dimensionen wie Ressourcenverbrauch, Werterhalt oder Kosten muss das Projekt auf einer Skala von 1 bis 10 im Durchschnitt eine 8 erreichen, ansonsten wird der Antrag nicht weiter bearbeitet. Viele der Kriterien, die zu dieser Beurteilung führen, sind standortbezogen, die Lage ist also entscheidend. Beispielsweise ist die Anbindung an den öffentlichen Verkehr ein zentraler Punkt. Das heisst: Bereits unser Bewertungsverfahren zielt letztlich auf Verdichtung ab.
Sie verzichten also auf die Entwicklung nicht nachhaltiger Projekte. Ist das auch ein finanzieller Verzicht?
Nein, zumal wir davon überzeugt sind, dass der Bedarf an nachhaltigen Gebäuden überdurchschnittlich wachsen wird. Umso mehr, als auch Auftraggeber stärker in Lebenszykluskosten zu denken beginnen. Das Prinzip ist dasselbe, wie beim Generalabo im öffentlichen Verkehr. Man bezahlt zu Beginn einen etwas höheren Preis, wird jedoch am Ende Geld gespart haben. Auch dort, wo Bau und Unterhalt von unterschiedlichen Parteien bezahlt werden, können tiefere Betriebskosten und tieferer Ressourcenverbrauch ein Verkaufsargument darstellen. Wir sind überzeugt, dass wir unter dem Strich kein Opfer bringen müssen, wenn wir uns nachhaltig orientieren.
Für das kommende Jahr hat Implenia erstmals einen Nachhaltigkeitsbericht in Aussicht gestellt.
Richtig. Und das ist eine sehr anspruchsvolle Zielsetzung. Unter anderem müssen wir herausfinden, wie viele Ressourcen wie Wasser, Energie usw. wir verbrauchen, und dies für alle unsere Baustellen und Niederlassungen. Auf dieser Basis wird dann im nächsten Schritt eine Zielvorgabe definiert. Hierfür erarbeiten wir derzeit die Grundlagen.
Gibt es Auftraggeber, die nach einem solchen Nachhaltigkeitsbericht verlangen?
Die gibt es. Das können sowohl Bauherren sein wie auch Investoren und auf Nachhaltigkeit spezialisierte Fonds. Gerade kürzlich haben wir von der niederländischen Bank «Kempen Capital Management» ein Prädikat erhalten, das uns als nachhaltiges Investment qualifiziert. Aber auch allgemein orientierte Investoren wollen immer häufiger wissen, was wir bezüglich Nachhaltigkeit unternehmen. Also müssen wir unsere Anstrengungen sauber belegen können.
Der Bau wird immer wieder als «ganz spezielle Branche» beschrieben. Würden Sie den Befund bestätigen?
Verglichen mit der Industrie gibt es sicher Unterschiede. In einer industriellen Produktion haben Sie in der Regel ein klar definiertes Umfeld, in welchem produziert wird. Überraschungen sind damit meistens Fehler. Man optimiert, bis die beste Einstellung gefunden ist, dann läuft die Maschinerie. Im Bau ist die Situation eine ganz andere. Jedes Projekt ist ein Prototyp und es muss sehr viel Unerwartetes aufgefangen werden. Insofern ist der Bau eine spezielle Branche, ja.
Bei Topkadern sieht man häufig, dass offenbar problemlos die Branche gewechselt werden kann. Trifft das auf den Bau – den auch Sie als spezielle Branche bezeichnen – auch zu?
Da ich selbst aus einer anderen Industrie in den Bau kam, kann ich das nicht ganz verneinen. Auch im Bau hängt es jedoch sehr stark von der Funktion ab. Je näher man an der konkreten Anwendung arbeitet, umso mehr muss man von der konkreten Anwendung verstehen. Ich war selber lange Zeit in der Forschung und Entwicklung tätig und habe mich intensiv mit technischen Fragestellungen auseinandergesetzt. Als ich danach den Schritt ins Management wagte, merkte ich, dass vor allem in den oberen Führungspositionen vermehrt universelle Fähigkeiten gefragt sind. Das erleichtert einen Branchenwechsel.
Waren Sie privat schon in der Rolle des Bauherrn?
Nicht im grösseren Stil. Ich habe bislang keinen Neubau gewagt, meine privaten Erfahrungen beschränken sich auf Umbauten.
Steht die Erfahrung noch an?
Vielleicht. Ich reisse mich nicht darum (lacht).