Mut, Team, Innovation, Mensch. Für Pius Baschera, Hilti-Verwaltungsratspräsident, sind das mehr als Worte. Es sind Werte, aus denen Kultur geschaffen wird. Die berühmte Hilti-Kultur zum Beispiel. (die baustellen Nr. 05/11)
«die baustellen»: Ich war noch nicht einmal im Kindergarten, als mich mein Onkel, der dabei war, einen neuen Stall zu bauen, schickte, die Hilti zu holen. Welches war Ihr erstes Hilti-Erlebnis?
Pius Baschera: Ich hatte mein Hilti-Erlebnis erst, als ich vor 32 Jahren in die Firma eintrat. Als das Unternehmen auf mich zukam, musste ich mich zunächst darüber informieren, was Hilti genau macht. Ich kam nicht aus der Bauindustrie und hatte auch keinen familiären Bezug dazu. Zudem hatte Hilti damals noch nicht den Bekanntheitsgrad , den wir heute haben.
Jetzt ist die Marke allgemein bekannt. Auch Menschen, die keinen Bezug zum Bau haben, kennen den Brand und wissen, was unter dem Namen verkauft wird. Wie ist eine solche Bekanntheit zu erklären?
Das ist das Resultat der Arbeit von sehr vielen Menschen über lange Zeit hinweg. Ein wesentlicher Grund für diese Entwicklung ist die Kontinuität, die wir in wichtigen Bereichen an den Tag legten und legen. Kontinuität in der Innovation. Kontinuität in der Qualität. Und Kontinuität darin, den Kunden, dessen Probleme und Bedürfnisse, ins Zentrum zu stellen. Fundamental wichtig für den Erfolg des Unternehmens und damit für dessen Bekanntheit ist jedoch auch die Kultur, die wir leben. Bei Hilti war der Faktor Mensch schon immer zentral.
Hilti kennt man nicht nur der Marke nach, sondern auch von Auftritt her. Roter Helm, roter Koffer, weisse Aufschrift. Marketing vom feinsten.
Nebst Innovation, Qualität und direktem Kundenkontakt ist die Pflege unserer Marke eine Kernkompetenz des Unternehmens. Der Hilti-Schriftzug auf dem Koffer, dem Helm und heute auch den Hemden und Jacken, die unsere Mitarbeitenden beim Kundenbesuch auf der Baustelle tragen, wurde nie verändert und ist zu einem wichtigen Markenzeichen geworden. Auch hier: Kontinuität.
Wie bringen Sie ihre Leute dazu, mit Freude das rote Hemd, die rote Jacke oder eben den roten Helm zu tragen?
Den Mitarbeitenden werden Freiräume gewährt, in denen sie sich weiterentwickeln können. Unsere Philosophie ist es, dass das Unternehmen nur wachsen kann, wenn auch die Mitarbeitenden persönlich wachsen. Das führt zu einer starken Identifikation mit dem Unternehmen. Ein zweiter Aspekt ist: unsere Mitarbeitenden sind einfach stolz darauf, hier zu arbeiten. Das geht ganz klar aus regelmässigen Mitarbeiterbefragungen hervor.
Das Marketing funktioniert grossartig, die Produkte sind so gut, dass es fast keine Aussendienstmitarbeiter mehr bräuchte. Ihre Angestellten sind topmotiviert. Was hat das Hilti-Kader eigentlich zu tun?
Nun, der Wettbewerb in der Bauindustrie ist sehr hart. Und auch wir hatten 2009 eine schwierige Phase. Wir mussten kämpfen, weil die Märkte eingebrochen sind. Aber auch in wirtschaftlich guten Zeiten herrscht bei Hilti eine kreative Unruhe. Denn für uns gilt, was für viele andere auch gilt: Der Wandel ist die einzige Konstante. Dem Kader wird es also mit Sicherheit nicht langweilig.
Ist die kreative Unruhe, wie sie es nennen, letztlich eine permanente Unzufriedenheit?
Nein. Wir sind zufrieden, sehr sogar. Sich auf den Lorbeeren auszuruhen, wäre jedoch eine gefährliche Haltung. Deshalb bewegen wir uns permanent. Nicht aus einer unzufriedenen Haltung heraus, sondern aus Freude am Kreativen, an der Innovation.
Jüngst wurde die Konzernleitung um zwei Personen erweitert, wobei sich eine Person um die so genannte «Developing Countries» kümmert. Was steckt dahinter?
Noch vor fünf Jahren verfolgten wir die Strategie, in Lateinamerika, in Osteuropa und in Asien nicht überproportional wachsen zu müssen im Vergleich zu Westeuropa und den USA. Zu diesem Zeitpunkt wurden rund 30 Prozent des Weltbauvolumens in den «Developing Countries» realisiert. Dann kam die Wirtschaftskrise, wodurch die Märkte in Westeuropa und den USA einbrachen. Jene in den «Developing Countries» allerdings weniger. Heute befinden sich rund 50 Prozent des Weltbauvolumens in diesen Regionen. In nochmals fünf bis zehn Jahren werden es mehr als 60 Prozent sein. Angesichts dieser Entwicklung haben wir beschlossen, uns in diesen Gebieten deutlich stärker zu engagieren. Diese Märkte haben nun mehr Gewicht. Das spiegelt sich auch in der erweiterten Konzernleitung wider.
Vom Jetzt und der Zukunft nochmals zur Vergangenheit. Im Jahr 2009, sie haben es bereits erwähnt, war Hilti mit einbrechenden Märkten in Europa und den USA konfrontiert. Was ging in Ihnen vor, als diese lange Zeit nur «Finanzkrise» genannte Krise auf das reale Geschäft durchschlug?
Wir haben nie geglaubt, dass sich diese Krise auf die Finanzmärkte beschränken würde. Die Schärfe und die Geschwindigkeit des Absturzes haben uns jedoch überrascht.
Haben Sie Anzeichen für die nahende Krise gesehen?
Ja, es gab einige Indikatoren, schliesslich sind wir in der Bauindustrie tätig. In den USA ist der Einfamilienhausbau komplett zusammengebrochen. Das haben wir natürlich gespürt. Dass dadurch die Gesamtwirtschaft erfasst würde – und vor allem in dieser Tiefe und diesem Tempo – hätte damals wohl niemand gedacht. Es ist unglaublich schwierig, solche Entwicklungen zuverlässig prognostizieren zu können. Deshalb ist es für ein Unternehmen entscheidend, schnell reagieren und auf bestehende Krisenpläne zurückgreifen zu können.
Sie sagen, man habe nicht mit dieser Schärfe der Krise gerechnet. Gleichzeitig müssen man auf vorbereitete Szenarien zurückgreifen können. Hatten Sie denn für eine Krise dieses Ausmasses ein Szenario?
Wir haben sehr schnell reagiert, als wir erkannten, in welche Richtung es gehen würde. Wir sind ein Familienunternehmen, das oftmals langfristiger denkt als börsenkotierte Unternehmen. Wir haben sofort entschieden, nicht am Ast zu sägen, auf dem wir sitzen. Die wesentlichen Säulen sind Innovation, Qualität und Direktvertrieb. In Forschung und Entwicklung haben wir das Investitionsniveau praktisch gehalten. Auf Vertriebsseite haben wir nur in Märkten Anpassungen vorgenommen, in denen es sich nicht vermeiden liess. Beispielsweise in Spanien, wo der Baumarkt innerhalb eines Jahres um 70 Prozent eingebrochen ist.
Wie haben die Angestellten auf diese Situation reagiert?
Die Angestellten haben mitgeholfen, diese Krise durchzustehen. Die Mitarbeitenden in den Werken haben Kurzarbeit in Kauf genommen und die Mitarbeitenden in der Konzernzentrale haben wie auch das Management ein Jahr lang auf 5 Prozent ihres Einkommens verzichtet, um weniger Stellen abbauen zu müssen. Zudem hat die Besitzerfamilie während eines Jahres auf die Dividende verzichtet. Dieses Zusammenstehen in schweren Zeiten macht eben auch die Hilti-Kultur aus.
Sie waren vor 18 Jahren der erste Nicht-Hilti, der Hilti-CEO wurden. Vor vier Jahren waren Sie der erste Nicht-Hilti, der Verwaltungsratspräsident wurde. Wie ist es dazu gekommen?
Vor 32 Jahren habe ich als Assistent des Vorstandes für Produktion angefangen. Später ging ich für Hilti in die USA, war anschliessend Chef der Hilti Schweiz und später Leiter von Hilti Deutschland. Als Finanzchef kam ich in die Konzernleitung und während 13 Jahren war ich deren Vorsitzender. Es gibt bei Hilti die Regelung, dass man im Alter von 56 Jahren aus der Konzernleitung ausscheidet. Dies, weil die Führungskräfte verhältnismässig jung in die Konzernleitung eintreten und die Aufgabe zwar faszinierend, aber auch über viele Jahre mit intensiver Reisetätigkeit auf der ganzen Welt sehr anstrengend und anspruchsvoll ist. Als bei mir mit 56 Jahren der Ausstieg als CEO anstand, entschied sich Michael Hilti im Alter von 60 Jahren, den Posten des Verwaltungsratspräsidenten nach 13 Jahren abzugeben und fragte mich, ob ich bereit wäre, seine Nachfolge anzutreten. Das war schon ein neuer Schritt für die Familie und auch für das Unternehmen. Eine Veränderung, die aber auch das Vertrauen zeigt, das die Familie in die leitenden Mitarbeitenden und in meine Person hat.
Vor rund drei Jahren wurde ein kurzes Portrait von Ihnen im Schweizer Fernsehen ausgestrahlt. Man fragte Ihren CEO-Nachfolger, Bo Risberg, ob Sie sich nach all den Jahren tatsächlich aus dem operativen Geschäft zurück gezogen haben. Er antwortete: Er hat sich genügend zurück gezogen. Haben Sie weitere Fortschritte gemacht?
Aus dem operativen Geschäft habe ich mich tatsächlich zurückgezogen. Nichts desto trotz ist es wichtig, dass ich Kontakt habe mit den Mitarbeitenden und den Kunden. Nach wie vor bin ich während fünf bis sechs Wochen im Jahr für Hilti auf Reisen. Wenn ich dabei Mängel feststelle, bespreche ich die Verbesserungsmöglichkeiten mit dem CEO. Wie er dann allfällige Probleme löst, muss er selbst entscheiden. Man muss die Funktionen und Zuständigkeiten klar trennen.
Schon seit einiger Zeit produziert Hilti auch in China für den Weltmarkt. Wie stellen Sie sicher, dass in derselben Qualität gefertigt wird, wie in Europa?
Für die Entscheidung, in China zu produzieren, war die Qualitätsfrage absolut zentral. Wie hätten uns niemals für China entschieden, wenn wir nicht höchste Qualität garantieren könnten. Den Kunden interessiert es nicht, wo ein Produkt hergestellt wird. Wenn Hilti drauf steht, erwartet er Topqualität. Diese Qualität erreichen wir einerseits über verschiedene Qualitätssicherungsinstrumente und andererseits durch Angestellte, die top ausgebildet sind.
Lassen sich chinesische Angestellte auch von dem Feuer, der Begeisterung und dem Stolz der Hilti-Kultur anstecken?
Die Frage ist interessant. Ich muss ein klein wenig ausholen. Seit 25 Jahren führen wir mit allen 20 000 Mitarbeitenden alle zwei Jahre ein dreitägiges Unternehmenskulturtraining durch. 10 bis 15 Millionen Franken investieren wir jährlich in die Trainings – übrigens auch im Krisenjahr 2009. In diesen Team-Camps sprechen wir mit den Mitarbeitenden darüber, was unsere Kultur ist, welches unsere Werte sind und welche Bedeutung sie in ihrer täglichen Arbeit haben. Solche Trainings sind teambildend, aber nicht immer nur angenehm, denn dabei kommen auch kritische Aspekte auf den Tisch. Aber das muss so sein. Denn in der Diskussion, auch über unbequeme Dinge, wird persönliches Wachstum, Wachstum des Teams und letztlich Wachstum des Unternehmens ermöglicht. Zu Ihrer Frage: In China wird dasselbe Training durchgeführt wie an den weiteren Hilti-Standorten auf der ganzen Welt und dieselbe Unternehmenskultur vermittelt. Und ich kann Ihnen versichern, unsere chinesischen Mitarbeitenden sind ebenfalls begeistert.
Es scheint also möglich zu sein, die Hilti-Kultur universell einzuführen. Entscheidend wird es sein, die Leute zu finden, die darauf ansprechen. Gibt es ein ebenso universelles Verfahren bei der Rekrutierung von Mitarbeitenden?
Wenn man über eine klar definierte Kultur verfügt, wie das bei Hilti der Fall ist, ist es entscheidend, dass neue Mitarbeitende die Voraussetzungen mitbringen, die eine Integration in diese Kultur ermöglichen. Beispielsweise wird eine Hilti-Führungskraft also nicht nur aufgrund seiner Leistung oder einer persönlichen Empfehlung beurteilt, sondern wir überprüfen ganz gezielt, welche Werte konkret gelebt wurden, die für Hilti zentral sind: In welcher spezifischen Situation wurde Mut bewiesen? In welcher Situation wurde der Teamgedanke gelebt? Wie wurden konkret Mitarbeitende entwickelt? Es findet also ein Vergleich statt zwischen der bisherigen Arbeit der potenziellen neuen Hilti-Führungsperson und den Kernwerten des Unternehmens.
Sie sagten einmal, es sei die erste und wichtigste Aufgabe einer jeden Führungskraft, sich nach einem potenziellen Nachfolger umzuschauen.
Richtig. Denn es ist entscheidend, frühzeitig potenzielle Nachfolger von Führungskräften zu entwickeln und an einen Punkt zu führen, an dem die notwendige Kontinuität gewährleistet wird. Zweimal jährlich investieren wir im Verwaltungsrat einen halben Tag in die Beurteilung der Top 30-Führungskräfte von Hilti. Wir beurteilen sie nach ihrer Leistung und nach unseren Kernwerten und diskutieren über mögliche Nachfolger. Für jede einzelne dieser Führungskräfte haben wir mindestens einen Nachfolger im Auge. Als ich 2007 mit zwei Kollegen aus der Konzernleitung aufgrund der internen Altersregelung ausschied, standen sechs intern entwickelte, potenzielle Nachfolger bereit, aus denen wir drei auswählten.
Sie haben die ambitionierten Wachstumsziele angesprochen. In welche neuen Bereiche wird Hilti vordringen?
Es gibt vor allem zwei Geschäftsfelder, in die wir sehr viel Energie investieren. Das eine sind Befestigungslösungen für Solarpanels. Wir haben im vergangenen Jahr in den USA Unirac gekauft, ein führendes Unternehmen in diesem Bereich. Es ist ein überaus interessantes Geschäftsfeld, von dem wir uns schöne Wachstumszahlen und gute Erträge versprechen. Das zweite Geschäftsfeld sind Ankerschienen. Ich bin mir von unseren Entwicklern ja einiges gewohnt, aber was sie bei diesen Systemen an Innovation in eine Eisenschiene legten, ist schlicht fantastisch.
Droht Hilti zum Gemischtwarenladen zu werden?
Das ist nicht unsere Strategie. Wir sind ein klar fokussiertes Unternehmen. Wir betätigen uns ausschliesslich in der Bauindustrie als Spezialist für Befestigungs- und Abbautechnik und produzieren nur für Profis. So ist das Feld abgesteckt und wir haben nicht vor, es zu verlassen.
Sie haben nebst dem VR-Präsidium eine Professur an der ETH Zürich in «Unternehmensführung». Weshalb dieses Engagement?
Ich habe diesen Lehrstuhl angenommen, weil ich mich gefragt habe, wie ich der Gesellschaft etwas zurückgeben kann. Dazu hätte es verschiedene Möglichkeiten gegeben. Aber meine Fähigkeiten und Erfahrungen liegen klar in der Unternehmensführung. Es geht in meinen Vorlesungen um wertebasierte Führung und darum, was es braucht, um ein Unternehmen langfristig erfolgreich zu führen. Ich glaube, dazu kann ich mit meiner Erfahrung etwas beitragen.
Sie sind 60 Jahre alt, haben nebst dem VR-Präsidium bei Hilti noch eine ganze Anzahl weiterer Verwaltungsratsmandate inne. Dazu unterrichten Sie an der ETH. Hat ein Typ wie Sie eine konkrete Vorstellung von Ruhestand?
Natürlich, wobei es bei mir so schnell kein Ruhen und Stehenbleiben geben wird. Für mich war es eine tolle Chance, mich mit 56 Jahren aus dem operativen Geschäft zurückziehen zu können. Ich muss heute nicht mehr sieben Tage die Woche zur Verfügung stehen, wie das als CEO noch der Fall war. Pro Arbeitswoche habe ich heute meist einen Tag zur freien Verfügung. Zudem verreise ich vermehrt privat und länger mit meiner Frau. Daneben geniesse ich das Zusammentreffen an der ETH mit jungen, kritischen Geistern. Ich hatte also das Glück, in einer verhältnismässig frühen Phase in einen neuen Lebensabschnitt eintreten zu können, der etwas weniger hektisch ist.
Sie sind seit über dreissig Jahren bei Hilti. Während Jahrzehnten wirkten Sie überaus erfolgreich als CEO, jetzt als VRP. Kann das Unternehmen eigentlich ohne Sie?
Es gibt auch im Verwaltungsrat klare Regeln, was das anbelangt. Spätestens nach zwölf Jahren oder beim Erreichen des 70. Altersjahres ist Schluss. Auch im Verwaltungsrat beschäftigen wir uns mit Nachfolgeszenarien und so wird Hilti mit Sicherheit auch ohne mich existieren können.
Aber können Sie ohne Hilti?
Ja, das werde ich. Obwohl das Unternehmen einen Platz in meinem Herzen behalten wird.