Die Greutol AG ist ein Unternehmen für Aussendämmsysteme, Mörtel, Putz und Baufarben. Ihr Inhaber und Geschäftsführer, Thomas Kindt, sagt, was man denke, werde Realität. Wir müssen vor dem Gespräch mit ihm gedacht haben, es solle philosophisch zu und her gehen. Denn es wurde. (die baustellen Nr.06/2009)
«die baustellen»: Wer die Unternehmensphilosophie der Greutol AG liest, stösst auf Begriffe wie «universelle Gesetzmässigkeiten», «Harmonie», «Freude», «Glück». Herr Kindt, an Ihnen ist ein Literat verloren gegangen.
Thomas Kindt: An mir ist sicher kein Literat verloren gegangen. Ich stehe mitten im Unternehmen. Aber in der Unternehmensphilosophie bildet sich eine Vision von mir ab. Ich widerspiegle mich darin. Meine Aufgabe ist es allerdings nicht, diese Sachen nuraufzuschreiben, sondern auch, für die Umsetzung zu sorgen. Da steht beispielsweise «das Undenkbare denken». Das ist nicht bloss eine Floskel. Ich meine das tatsächlich so und lebe es meinen Leuten vor. Das Unternehmen hat, seit ich da bin, eine unwahrscheinliche Entwicklung durchlaufen. Im Aussenwärmedämmgeschäft waren wir die Nummer 13. Heute sind wir im Schweizer Markt die Nummer drei und gehören mit zu den innovativsten Unternehmen in diesem Bereich. Das ist das exakte Abbild meiner Philosophie.
Wie meinen Sie das?
Das Problem ist, dass sich der Mensch Grenzen setzt. Ich spreche hier nicht nur vom Geschäftsleben. Ich spreche vielmehr vom Leben als Ganzes. Ich wünsche mir, dass die Menschen, die hier in meinem Unternehmen arbeiten, über ihre Grenzen hinausgehen. Wenn sie das schaffen, entwickelt sich das Unternehmen, ohne dass ich irgendeine bestimmte Strategie vorgebe. Es wächst aus sich heraus.
Was muss man sich unter der Grenze vorstellen, die ihre Angestellten überschreiten sollen. Ihre Leistungsgrenzen?
Der Mensch trägt ein unendliches, unerschöpfliches Potenzial in sich. Es gibt eine Quelle, die man nur anzuzapfen braucht. Tun sie es, dann spüren sie eine unwahrscheinliche Kraft. Dann gibt es keine Angst mehr, keine Furcht, beispielsweise auch keine Rezession oder Krise mehr. Es bleibt der Mensch, wie er tatsächlich ist. In seiner totalen Fülle.
Wie haben ihre Angestellten auf Ihre Ansichten reagiert?
Es gab Mitarbeiter, die mich am Anfang nicht verstanden haben. Sie hatten das Gefühl, ich komme von einem anderen Stern. Aber das war mir egal. Wenn sie an besagte Grenzen heran und darüber hinausgehen wollen, dann brauchen sie dafür schlicht ein anderes Vokabular, als sich die Leute gewöhnt sind.
Wie haben Sie es geschafft, dass Sie dennoch verstanden wurden?
Ich habe viel geredet, suchte und suche immer die Begegnung. Und immer versuchte ich, offen und ehrlich auf mein Gegenüber zuzugehen. Führung beginnt, wenn man den Menschen dort abholt, wo er steht.
Wie läuft in Ihrer Firma die Lösung eines Konflikts ab?
Früher drückte ich mich wie verrückt vor Konflikten. Heute setze ich all jene Leute, von denen ich glaube, sie seien in den Konflikt involviert, an einen Tisch. Dann muss offen gesprochen werden. Ich meine wirklich offen. Nicht nur über das Geschäft und das Problem in der aktuellen Situation. Wir sprechen dann auch über die Menschen, die hinter den Problemen stecken. Jeder Mensch bringt Geschichten in die Firma, die sich möglicherweise in irgendwelchen Konflikten oder Problemen äussern. Sie sollen ihre Geschichten nicht daheim lassen. Ich will die Menschen in meinem Betrieb ganz haben und sie total ernst nehmen.
Haben sie mit Ihrer Art der Führung auch negative Erfahrungen gemacht?
Den Preis, den ich dafür zahle, ist meine vollkommene Transparenz als Mensch. Ich bin greif- und fassbar, mit allem, was mich ausmacht. Wohlgemerkt, ich möchte das so haben. Heute ist die totale Authentizität gefragt. Wir sprechen hier von einem neuen Zeitalter, von einem Umbruch. Die Finanz- oder Wirtschaftskrise ist eigentlich eine Sinn- und Wertekrise. Die Krise ist da, weil man mit dem Menschen nicht mehr umgehen kann, wie man es bisher tat. Gewinnmaximierung, möglichst hohe Rendite, Aktienkurse. Das ist dummes Zeug. Das sage ich, obwohl ich als Unternehmer selbst in diesem Wirtschaftssystem eingebunden bin.
Aber das wirtschaftliche Denken werden sie doch nicht aufgegeben haben.
Man braucht kein wirtschaftliches Denken, um erfolgreich zu sein. Das kommt von alleine. Selbstverständlich braucht es fachliche und strategische Grundlagen. Aber all die grossen Konzepte, wie sie heute an Hochschulen gelehrt werden, braucht es absolut nicht. Man muss die Menschen wieder an sich selbst heranführen. So treten wir in ein neues Wertesystem ein. Wenn man erkennt, dass eigentlich alles da ist, dass totale Fülle und Vollkommenheit in einem selbst liegt, braucht man nicht 10 Prozent Rendite anzustreben. Diese Rendite haben sie im Sack, ohne dass sie auch nur ein Wort dazu sagen. Wir alle sind unendlich reich. Das ist die Botschaft, die ich meinen Angestellten mitgeben und vorleben will.
Nehmen sie die Botschaft an?
Ich glaube, die Leute, die hier arbeiten, die mir anvertraut sind, arbeiten gerne hier. Ich möchte ihnen aber mehr geben, als eine Stelle. Ich möchte ihnen ein Zuhause geben. Sie sollen sich wohl, vielleicht sogar ein bisschen geborgen fühlen. Sie sollen sein dürfen, wie sie wirklich sind.
Vor dem Gespräch erzählten sie, dass Ihr Vater Ihnen vor einigen Jahren im Familienunternehmen gekündigt hat. Danach seien Sie auf eine innere Reise gegangen. Sind Ihre Ansichten und Überzeugungen das Produkt dieser Reise?
Ja. Es war ein Schock, als mir mein Vater kündigte. Auch für meinen Vater. Er sass mit mir am Tisch sagte: «Erkenne dich selbst. Das brauchst du noch.» Ich war stocksauer auf ihn. Zwei, drei Jahre später ging ich zu meinem Vater und sagte, er habe mir damit das grösste Geschenk überhaupt gemacht. Ich wurde innerlich frei durch diesen Vorfall und die anschliessende innere Reise.
Sie stellen ebenfalls in ihrer Philosophie fest, dass Offenheit und Ehrlichkeit unabdingbare Voraussetzungen für ein gesundes Wachstum sind. Was ist ein gesundes Wachstum?
Ein gesundes Wachstum muss man sich nicht durch den Erwerb einer anderen Firma oder einer Abteilung erkaufen. All die Fusionen, von denen man immer wieder liest, sind eine bare Katastrophe. Oft funktionierten sie nicht. Die so genannten Synergiepotenziale kamen nicht zum Tragen, weil man die unterschiedlichen Kulturen nicht vereinen konnte. Es herrscht das Gefühl vor, man könne einfach an einem Schalter drehen und alles funktioniere dann von neuem. So ist das Leben nicht. Der Mensch hat keine Schalter, an denen man einfach drehen könnte. Da ist nur ein Herz.
Gibt es Rituale in Ihrem Unternehmen?
Morgens um 9 Uhr trifft sich die ganze Belegschaft zum Znüni. Das ist unser Ritual, wenn Sie so wollen. Aber als ich hier anfing, zündete ich unten beim Eingang immer eine Kerze an. Ich war dann der glücklichste Mensch, als die Kerze bereits brannte, als ich ins Geschäft kam. Da wusste ich, der Funke ist übergesprungen. Es spielt mir übrigens längst keine Rolle mehr, ob jemand das Gefühl hat, ich drifte ins Esoterische ab, sei völlig abgehoben. Ich stehe fest am Boden und bin mit ganzem Herzen auf dieser Welt. Aber wenn andere demgegenüber lieber über Cashflow oder Management-Lehre diskutieren, sollen sie es tun. Das Leben läuft jedoch anders.
Wie wäre es, wenn Sie selbst Management-Kurse geben würden?
Es wird irgendwann so sein. Ja, ich werde das machen, das spüre ich heute. Und mit ihrer Frage haben Sie das auch gespürt. So kann es gehen, wenn man sich offen und ehrlich begegnet. Hellsichtig oder eben Hellspürig zu sein ist keine Kunst. Das kann jeder von uns.
Sie haben Ihre Angestellten als Leute bezeichnet, die Ihnen anvertraut sind. Wem sind Sie anvertraut?
Das ist eine sehr philosophische Frage.
Das scheint mir in diesem Rahmen passend zu sein.
Ich glaube, dass es eine grosse Kraft gibt, die in dieser Welt wirkt. Viele nennen diese Kraft Gott oder Mohammed oder wie auch immer. Da ist eine Kraft, die im Stillen wirkt. Ich denke, diese Kraft ist die Liebe. Ihr fühle ich mich anvertraut.
Hier nun der Versuch, möglichst elegant einen radikalen thematischen Bruch herbei zu führen: Sie haben mehrmals von Veränderungen, von Neuem gesprochen. Die Installation von neuen Strukturen wird in unserer Gesellschaft gerne delegiert, häufig an die Politik. Sind sie auch als Politiker tätig?
Nein, das bin ich nicht. Es ist nicht meine Bestimmung.
Sie haben im vergangenen Jahr der Zürcher SVP Parteispenden entrichtet. Aus Steuergründen oder aus Sympathie?
Ich spende aus einer Sympathie heraus, weil ich glaube, die SVP macht das gar nicht so schlecht. Sie sollte sich zwar ein bisschen zurücknehmen, sollten ein bisschen weniger aggressiv sein, vielleicht auch einfach ein bisschen mehr hinhören, was die tatsächlichen Bedürfnisse des Volkes sind. Aber da sind gute Ideen und Gedanken. Und letztlich ist mir die Parteizugehörigkeit nicht wichtig. Wichtig ist nur, dass die Leute das Herz am richtigen Fleck haben und sich voll und ganz für dieses Land einsetzen.
Voll und ganz für dieses Land. Das gilt ja auch für Ihre Produkte.
Richtig. Wir sind konzentrieren uns mit unserer Produktion auf den Schweizer Markt.
Welches sind die Bedürfnisse der Schweizer Kunden?
Die Schweizer Bedürfnisse in der Baubranche oder Bau-Zuliefererbranche sind gemessen am europäischen Standard eindeutig höher. Wir haben schon erlebt, dass eine internationale Firma in unserem Bereich in der Schweiz Fuss fassen wollte – sie schafften es aber nicht, weil sie eine europäische Rezeptur verwendeten. Sie hatten das Gefühl, eine Rezeptur, die in Europa funktioniert, müsse auch in der Schweiz funktionieren. Es ging nicht.
War die Qualität zu schlecht?
Ja. Der Schweizer hat einen gehobeneren Baustandard, auch was die Materialien betrifft. Diesbezüglich sind wir eine Insel.
Beziehen Sie den Kunden in die Entwicklung mit ein?
Ja, oft. Man muss die Rückmeldungen der Kunden absolut ernst nehmen. Wenn man das tut, kann man gar nichts falsch machen. Wir laden unsere Kunden beispielsweise noch vor der Markteinführung hier nach Otelfingen ein, wenn wir ein Produkt entwickelt haben. Wir brauchen dann jene Kunden, von denen wir wissen, dass sie uns offen und ehrlich ihre Meinung sagen. Das ist uns als KMU möglich. Und es ist sicher ein Vorteil gegenüber grossen, multinationalen Unternehmen.
Verkaufen sie nichts im Ausland?
Es gibt in Deutschland noch einige Kunden. Aber das ist so zu sagen ein Mitnahmegeschäft. Von der strategischen Ausrichtung her sind wir nicht darauf aus, einen ausländischen Markt aufzubauen. Wir waren aber bis vor kurzem noch nicht einmal in der Westschweiz tätig. Und die Fühler gehen bereits ins Tessin, und über die Grenzen hinaus.
Also nicht auszuschliessen, dass sie den Schritt ins Ausland doch irgendwann machen?
Nein, überhaupt nicht. Etwas auszuschliessen, hiesse ja nur, sich wieder eine neue Grenze zu setzen. Aber man muss ja nicht unbedingt mit dem Unternehmen über die Grenze, sondern kann das auch mittels innovativen Produkten tun.
Damit sprechen Sie Ihre Initiative Aqua PuraVision an. Worum geht es dabei?
Herkömmliche Aussenwärmedämmsysteme sind dünnschichtige Systeme und hoch hydrophob, wasserabweisend. Weil sie wasserabweisend sind, müssen sie mit Biozid gegen Algen und Pilze ausgerüstet sein. Wir haben diesbezüglich einen ganz anderen Weg eingeschlagen. Wir weisen Wasser nicht ab, sondern arbeiten mit ihm, ein hydrophiles System also. Es ist ein mittelschichtiges System mit einem speziellen Anstrich. Das System nimmt Wasser auf und gibt es wieder ab. 2005 sind wir mit dieser Initiative komplett gegen den Strom geschwommen. Heute bewegt unsere Initiative die gesamte Branche, weil mittlerweile einige sagen, es gebe wohl tatsächlich noch einen anderen Weg, um mit dem Problem umzugehen. Und genau darum geht es letztlich auch unserem Kunden: Er will wählen können, also wir bieten ihm eine Auswahl. Was diese Entwicklung angeht, sind wir das innovativste Unternehmen in Europa. Es gibt noch heute, bald vier Jahre nach der Lancierung dieser Initiative, keine tatsächlich adäquate Technologie.
Auf Ihrer Website findet sich sehr prominent der Link zur Stiftung Klimarappen, von deren Tätigkeit Sie als Unternehmen in der Dämmbranche natürlich auch profitieren. Was ist objektiv von solchen Subventionen zu halten?
Ich als Unternehmer bin froh, dass es das gibt.
Weil sie die richtige Branche erwischt haben.
Einerseits. Andererseits ist es prinzipiell gut, wenn Entwicklungen angestossen werden. Man kann die Welt nicht mit Subventionen retten, aber man kann mit einem solchen Programm etwas initialisieren. Und davon halte ich viel. Letztlich muss es dann natürlich ohne Subventionen funktionieren.
Ihr Geschäft ist grundsätzlich vom energetischen Sanierungswillen der Schweizer Hausbesitzer abhängig. Wie steht es um diesen Willen in einer Zeit, in der überall von Krise gesprochen wird?
Es ist ein sehr grosses Volumen da, welches allerdings nicht in einem Schritt saniert wird. Bei unsicherer Wirtschaftslage herrscht logischerweise da und dort Zurückhaltung bei Investitionen. Aber wir stehen in einem guten Markt. Teilweise verrückt ist das Preisniveau. Obwohl genug Arbeit vorhanden ist, sind die Preise sehr tief. Doch das ist wieder ein philosophisches Thema: Tiefe Preise macht man nur, weil man das Gefühl hat, man habe zu wenig oder man bekomme zu wenig. Man sollte sich die Einstellung aneignen, dass es genug für jeden gibt. Nicht für Jedermanns Gier. Aber genug. Ich habe ein gutes Gefühl, auch wenn rundherum alles Krise schreit. Dies, weil ich davon ausgehe, dass das, was ich denke, letztlich Wirklichkeit wird. Deshalb will ich gar nicht an eine Krise denken.
Verdrängen Sie nicht einfach eine Tatsache?
Nein, überhaupt nicht. Was ich denke, wird Realität. Und weil ich das weiss, muss ich aufpassen, was ich denke. Wenn ich heute an Krise denke, dann haben wir die Krise morgen im Haus. Da bin ich mir sicher.
Brauche Sie eigentlich auch Erholung von der Arbeit?
Immer weniger. Früher brauchte ich sehr viel davon, weil ich nicht in meiner Mitte war, weil ich das Gefühl hatte, ich müsse anderen genügen.
Würden Sie sagen, Sie seien ein komplett anderer Mensch als früher?
Ich habe mich stark entwickelt. Ich habe unwahrscheinliche Erfahrungen gemacht. Ich muss aber auch sagen, dass ich vielleicht solche Erfahrungen gebraucht habe. Es sind meist einschneidende Ereignisse im Leben eines Menschen, die ihn auf eine Reise schicken. Ich bin sicher nicht mehr derselbe wie vor zehn Jahren.
Würde Sie heute ein Ereignis, wie die Kündigung durch Ihren Vater, noch aus der Bahn werfen?
Nein. Überhaupt nicht. Alles was ist, heute oder morgen, ist ein reicher Segen. Auch wenn es vielleicht im Moment hart ist. Ich habe das Grundvertrauen gewonnen, dass es das Leben gut mit mir meint.