Er ist Zürcher CVP-Nationalrat, Verwaltungsratspräsident des Spezialtiefbau-Unternehmens Greuter AG, Vorstandsmitglied des Fachverbands Infra sowie Mitglied im Zentralvortstand des Baumeisterverbands. Urs Hany über Bundesbern, viel Verkehr und Stosszeiten. (die baustellen Nr. 04/2009)
«die baustellen»: Sie sind seit knapp zweieinhalb Jahren Nationalrat. Wie viel Zeit braucht es, um sich in Bern zurecht zu finden?
Urs Hany: Ich brauchte zirka ein Jahr, bis ich damit fertig war, mir die Augen zu reiben.
Weshalb rieben Sie sich die Augen?
Hauptsächlich wegen der organisatorischen Abläufe. Es dauert seine Zeit, bis man versteht, wie alles abläuft – und natürlich, bis man die entsprechenden Leute kennen gelernt hat. Nicht zuletzt geht es auch darum, die Medien kennen zu lernen.
Wie geht man als «Ratsneuling» vor, wenn man sich möglichst schnell Gehör verschaffen will?
Das ist ein Stück weit eine Frage des Charakters. Bei den einen dauert das ein bisschen länger als bei den anderen. Von mir sagt man, ich habe kommunikativ keine Probleme. Ich gehe auf die Leute zu. Und ich fragte sehr viel. Ich wollte möglichst schnell möglichst viel wissen und kennen lernen.
Ihre Fraktion, die CVP/EVP/glp ist im Nationalrat derzeit das entscheidende Puzzleteil zur Mehrheitsbildung. Beeinflusst das ihre Arbeit im Rat?
Das beeinflusst die Arbeit nicht direkt, aber es gibt ein gutes Gefühl. Grundvoraussetzung dafür, dass wir als mehrheitsbildende Fraktion auftreten können, ist allerdings unsere interne Einigkeit. Und das ist in einer so grossen Fraktion nicht immer ganz einfach.
Ist die grosse Mittefraktion gespalten?
Nein, das ist sie nicht. Aber von unserem Gedankengut her decken wir in verschiedenen Fragen ein relativ breites Spektrum ab. Unsere fraktionsinternen Debatten sind beinahe ein Abbild der fraktionsübergreifenden Debatten in den Kommissionen.
Ihre Ratskollegen aus der Baubranche sind grossmehrheitlich Mitglieder der SVP oder der FDP. Überwiegt da eher der berufliche Zusammenhalt oder die politische Differenz?
Ich pflege ausgezeichnete Kontakte zu meinen Branchenkollegen. Dazu muss ich sagen, dass die fraktionsübergreifende Zusammenarbeit der Bürgerlichen, zu welchen wir auch gehören, sehr gut ist. Das hat mich angenehm überrascht.
Funktioniert die Zusammenarbeit auch mit der linken Seite?
Sie funktioniert auch, allerdings weniger gut als unter den bürgerlichen Fraktionen. Aber es gibt eine ganze Reihe von linken Exponenten, mit welchen man in bestimmten Fragen eine Einigung erreichen kann. Die brauchen einfach ein bisschen mehr Zeit.
Im vergangenen Dezember haben Sie eine Motion eingereicht, welche eine Ankurbelung der Konjunktur mittels Projekten für den öffentlichen Verkehr verlangt. Antizyklische Investitionen entsprechen doch eigentlich einer linken Philosophie.
Die Linken haben nicht immer Unrecht. Es ist aber nicht wichtig, ob es sich um eine linke oder rechte Position handelt. Für mich steht etwas ganz anderes im Vordergrund: Die einzige Massnahme, die ein Staat beschliessen kann, wenn er sich konjunkturell einbringen will, ist die vorgezogene Realisierung von bereits beschlossenen Projekten. Im Unterschied zur klassisch linken Einstellung, der Staat müsse antizyklisch so und so viele Milliarden einpumpen, stehe ich für gezielte Investitionen. Es muss sich dabei um Projekte handeln, die zügig umgesetzt werden können. Es nützt gar nichts, wenn man am Anfang einer Krise nach dem Bau einer zweiten Gotthard-Strassenröhre schreit. Das dauert viel zu lange. Wenn aber beispielsweise eine SBB in den nächsten zehn Jahren schweizweit 300 Bahnhofsgebäude sanieren muss, könnten diese Projekte vorgezogen und innert zwei, drei Jahren geplant oder gar ausgeführt werden können.
Welche Bedeutung messen Sie dem öffentlichen Verkehr gemessen am allgemeinen Mobilitätsbedürfnis zu?
Ich schätze, das Bedürfnis nach öffentlichem Verkehr liegt heute 30 Prozent über der Kapazität, die er bewältigen kann. Die S-Bahn in Zürich, eine riesige Erfolgsgeschichte, ist heute am Anschlag. Da geht nichts mehr. Und ich bin überzeugt, sie wäre immer noch voll, wenn man sie ausbauen würde.
Man müsste einfach die Frequenz erhöhen.
Die Frequenzerhöhung der Zürcher S-Bahn bedingt einen Ausbau des Netzes. Auf dem bestehenden Netz gibt es keine freien Kapazitäten mehr. Die kleinste Verspätung wirkt sich heute bereits auf das ganze Netz aus. Ein Ausbau ist ein absolutes Muss.
Rechnet sich ein solcher Ausbau?
Der öffentliche Verkehr ist eigentlich nie wirtschaftlich. Die SBB haben ein Globalbudget von rund 1,5 Milliarden Franken, welches sie jährlich vom Bund erhalten. Was sie über diese 1,5 Milliarden hinaus erwirtschaften, gilt als Erfolg der SBB. Vielfach werden die schwarzen Zahlen der SBB falsch verstanden. Die sind nur mit den staatlichen 1,5 Milliarden Franken möglich. Der reine Betrieb des öffentlichen Verkehrs ist sicherlich wirtschaftlich. Rechnet man jedoch die Infrastrukturkosten hinzu, kann das nicht gelingen. Dazu müsste ein Billet von Zürich nach Bern wohl 500 Franken kosten.
Sie wollen erreichen, dass 70 Prozent des Verkehrszuwachses durch den öffentlichen Verkehr übernommen wird. Ist das realistisch?
Mittelfristig ja.
Was heisst mittelfristig?
Mittelfristig heisst in den nächsten 25 Jahren. Innert dieser Frist sollte das ganze Mehraufkommen an Verkehr durch den ÖV aufgefangen werden können. Hier spielt auch die Ökologie eine zentrale Rolle. Ich glaube zwar nicht, dass die Welt wegen der Klimaerwärmung in den nächsten 50 Jahren zerstört wird. Aber es gibt diese Klimaerwärmung. Und es gibt die entsprechenden Nebenwirkungen. Auch als bürgerlicher Wirtschafts- und Verkehrspolitiker verschliesse ich meine Augen nicht davor. Ich bin allerdings auch überzeugt davon, dass es nicht nur der ökologische Gedanke sein wird, der zunehmend Menschen zum ÖV führt. Es ist einfach viel bequemer, mit dem öffentlichen Verkehr in ein Ballungsgebiet zu fahren. Es geht um Lebensqualität.
Das Chaos auf den Strassen in Ballungszentren hat natürlich auch mit teilweise Jahrzehnte-alten Fehlleistungen in der Verkehrspolitik zu tun.
Nun, Zürich ist natürlich rot-grün regiert. Und die Grünen wie auch die Roten müssen einfach realisieren, dass man das Auto nicht zum Verschwinden bringen kann. Und ich finde das muss man auch nicht. Die sollen nicht meinen, und genau das war Jahrzehnte lang die Fehlüberlegung, eine bestehende oder allenfalls gar provozierte Verkehrsbehinderung trage dazu bei, den Individualverkehr zu reduzieren. Wer Autofahren will, fährt Auto. Das gilt es zu akzeptieren. Diesbezüglich ist mein Gedankengut sehr liberal. Der Staat hat für beide Verkehrsträger die entsprechenden Infrastrukturen zur Verfügung zu stellen. Er kann wohl Einfluss nehmen, via Abgasvorschriften beispielsweise. Aber das Auto einfach verbieten zu wollen – nur über meine Leiche. Das widerspricht meiner Grundeinstellung. Ich bin beispielsweise absolut dafür, möglichst viel des Güterverkehrs auf die Schiene zu bringen. Aber es käme mir nicht in den Sinn, den Lastwagen zu verbieten.
Wir haben vorhin über die Kapazität und die Nachfrage der Bahn gesprochen. Wie sieht es denn mit der Kapazität und der Nachfrage beim Gütertransport aus?
Der Güterverkehr hat eine grosse Erfolgsgeschichte hinter sich. Heute genügt die Infrastruktur der Bahn allerdings nicht mehr, um weiteres Wachstum ermöglichen zu können. Dazu tragen allerdings auch die umliegenden Länder bei, in denen die notwendigen Infrastrukturen teilweise nicht vorhanden sind. Bis der Gotthard-Basistunnel eröffnet wird, muss es mit temporären Massnahmen hauptsächlich darum gehen, bestehende Güterbahn-Kunden nicht wieder an die Strasse zu verlieren. Dort ist die Tendenz wieder steigend. Das hat jedoch nicht primär damit zu tun, dass die Bahn Kunden verliert, sondern damit, dass der Mehrverkehr im Güterbereich momentan auf die Strasse geht.
Handelt es sich beim Mehrverkehr hauptsächlich um Transitverkehr?
Das kann ich nicht konkret sagen. Auf der Nord-Südachse ist es jedoch sicherlich so. Aber der Regionalverkehr findet natürlich auch statt. Und der muss genauso gewährleistet sein, weshalb es eine völlige Fantasterei ist zu glauben, der Güterverkehr sei komplett auf die Schiene zu bringen. Man muss möglichst viel davon auf die Schiene bringen, um die Strassen zu entlasten. Aber die Lastwagen und die Strasse braucht es trotzdem.
Unter anderem auch die Nationalstrassen. Ebenfalls im vergangenen Dezember reichten Sie eine Motion ein, welche die Vorfinanzierung baureifer Nationalstrassenabschnitte durch den Bund verlangt. Weshalb muss das sein?
Weil die Fertigstellung des Nationalstrassennetzes möglichst schnell passieren soll. Es gibt baureife Projekte, die gebaut werden könnten. Im letztjährigen Netzbeschluss des Bundes wurden 19 Strassenabschnitte definiert, die in das Nationalstrassennetz aufgenommen werden sollen. Der Bund sagte allerdings auch, er könne die Sache nicht finanzieren, weshalb jährlich 350 Millionen von den Kantonen bezahlt werden sollen. Und das ist die grosse Streitfrage. Die Kantone sagen nein. Zurecht, wie ich meine. Ich bin allerdings auch der Meinung, dass nichts passiert, wenn man einfach streitet. Deshalb soll der Bund die Projekte vorfinanzieren. dann kann er parallel dazu noch immer mit den Kantonen weiter streiten. Ein angenehmer Nebeneffekt dieser Vorgehensweise wäre, dass man sich in der Regel schneller einigt, wenn bereits Geld ausgegeben wurde.
Soll durch die Vorfinanzierung wiederum eine konjunkturelle Wirkung erzielt werden?
Das sind längerfristigere Projekte als jene, die ich von der SBB geschildert habe. Es ist deshalb nicht primär eine Konjunktur-Massnahme. Es ist vielmehr eine verkehrspolitische Massnahme zu Gunsten der Strasse.
Im Zusammenhang mit den Nationalstrassen schien es Ende des vergangenen Jahres, das Astra sei ihnen ein bisschen suspekt.
Überhaupt nicht. Ich habe keine Vorbehalte gegen das Astra.
Sie fragten nach bezüglich der Ausschreibungen von Losen, welche durch ihre Grösse allenfalls selektiv wirken auf die Anzahl Unternehmungen, die an der Ausschreibung teilnehmen können.
Aha. Das Astra sagte, die Wichtigkeit des Preises müsse etwas relativiert werden. Der entsprechende Input kam allerdings von unserem Verband. Innovative Ideen, wie eine Baustelle betrieben oder ein Objekt ausgeführt werden kann, sollen auch einen gewissen Stellenwert haben. Nun entstand das Problem, dass gewisse Vergaben Emotionen auslösen. Die Idee unseres Verbandes und schliesslich des Astras ist noch nicht überall in den Köpfen angekommen. Nach wie vor heisst es, der Preis sei das gewichtigste Argument. Mit meiner Frage wollte ich das Astra nun ein wenig «kitzeln». Ich wollte wissen, ob sie die Idee wirklich konsequent umsetzen und ich wollte sie hauptsächlich auch wissen lassen, dass unser Verband sich zu diesem Thema seine Gedanken macht und dem Astra auf die Finger schaut.
Und wie ist es denn nun mit der Grösse der ausgeschriebenen Lose. Das Thema wird die Branche wohl noch immer bewegen.
Es soll nicht so sein, dass nur noch die Grossen mitmachen können, sondern es soll für Kleinere auch die Möglichkeit geben, sich zu einer Arbeitsgemeinschaft zusammenzuschliessen. Weil es einfacher ist, besteht die Tendenz, mit nur einer Unternehmung zu arbeiten. Das darf aber nicht sein.
Gehen Sie davon aus, dass sich der Preiskampf in der Baubranche angesichts der unsicheren wirtschaftlichen Lage verschärfen wird?
Ja, der wird sich verschärfen. Man muss allerdings die Eigenheit der Branche bedenken, dass es auch in konjunkturell guten Zeiten immer wieder Anbieter gibt, die mit unnötig tiefen Preisen daher kommen. Und der Preis wird jetzt sicherlich noch stärker gedrückt.
Betrifft das den Hoch- und den Tiefbau gleichermassen?
Es betrifft beides. Den Hochbau aber wohl noch etwas stärker als den Tiefbau.
Wie sehen die Auftragsbücher Ihrer Unternehmung aus?
Momentan ist unsere Auftragslage sehr gut. Natürlich hoffen wir nun, dass die Projekte nicht gestoppt und hinausgezögert werden. Aber Arbeit ist da.
Kommt Ihnen Ihr Status als nationaler Parlamentarier entgegen bei der Akquirierung von Aufträgen?
Nein. Früher auf kantonaler Ebene sogar eher im Gegenteil. Als Mitglied der Baukommission wurde mir bei gewissen Projekten klar gesagt, ich dürfe bei kantonalen Ausschreibungen nicht offerieren. Begründet wurde dies mit einem Vorwissen, welches die Konkurrenz nicht hat. Beim Bund war das noch nie der Fall. Aber es würde sich wohl niemand getrauen, uns einen Auftrag zuzuhalten, wenn wir nicht in allen Beurteilungskriterien vorne liegen würden. Stellen Sie sich einmal das Theater vor, wenn wir einen Bundesauftrag erhielten, obwohl wir preislich vielleicht nur an dritter Stelle gestanden sind.
Sie verlangen massive Investitionen in den öffentlichen Verkehr sowie eine Vorfinanzierung für Nationalstrassen. Das ist alles in allem reine Interessensvertretung für den Fachverband Infra. Heisst es hie und da, sie seien ein Lobbyist?
Nein. Bis jetzt noch nie. Ich gehe davon aus, dass ich relativ glaubwürdig bin, weil ich nicht erst auf Bundesebene, sondern schon vorher Verkehrspolitiker war. Ich war auch schon Verkehrspolitiker, bevor ich dem Infra-Vorstand beitrat und den Verband nun neu im Zentralvorstand des Baumeisterverbandes vertrete. Abgesehen davon ist ein gesunder Lobbyismus nicht verkehrt.
Sie sind Privatpilot und besitzen den Schiffsführerausweis. Sie scheinen hie und da das Bedürfnis zu haben, dem «irdischen» Verkehr zu entfliehen.
Nein. Seit einem Jahr bin ich nicht mehr aktiver Pilot. Ich hatte lange das Berufspilotenbrevet, bin 26 Jahre lang geflogen. Jetzt habe ich es aus Zeitgründen allerdings auf Eis gelegt. Im Moment macht es für mich keinen Sinn, neben Verbandstätigkeit, politischer Tätigkeit und Tätigkeit im Unternehmen. Ich bin mir aber fast sicher, dass ich es wieder aktivieren werde.
Welche Strategie haben Sie gegen das Abheben?
Dafür brauche ich keine Strategie. Die Realität zeigt, dass man immer wieder schnell am Boden landet.