«Herr Canepa, hassen Sie dieses Stadion?»

Seit 2007 spielen die Zürcher Fussballklubs FCZ und GC im neuen Letzigrund-Stadion. Ebenso lange sind die Klubs mit dem Stadion unzufrieden. Warum eigentlich? Das erklärt FCZ-Präsident Ancillo Canepa. (die baustellen Nr. 02/2015)

«die baustellen»: Wir treffen uns im Letzigrund. Hassen Sie dieses Stadion?
Ancillo Canepa: Hass ist es nicht. Es ist ein sehr schönes Stadion. Aber wir sind alles andere als happy mit ihm. Deutlich merke ich das, wenn ich wieder einmal im Ausland Fussballspiele besuche. Mir kommen die Tränen, wenn ich sehe, was für Stadien in anderen Städten gebaut werden können.

Das Stadion war eine Hauruck-Aktion, um Spiele der Fussball-EM 2008 nach Zürich zu holen. War das ein Fehler?
Nein, das war nicht der Fehler. Es wäre ja peinlich gewesen, hätte es die Weltstadt Zürich verpasst, die drei EM-Spiele durchzuführen. Dass man dafür ein Leichtathletik- Stadion etwas fussballtauglicher machte, ist deshalb verständlich. Und allem Ärger zum Trotz müssen wir Klubs ja froh sein, haben wir heute in Zürich überhaupt eine Infrastruktur, um Spitzenspiele auszutragen.

Welches war dann der Fehler?
Ich bin seit neun Jahren beim FC Zürich. Und ebenso lange involviert in die Stadionfrage. Der grösste Fehler, den man meiner Meinung nach machte, war es, das alte Hardturmstadion ohne Not abzureissen. Im Rückblick wäre es wohl gescheiter gewesen, den Hardturm zu modernisieren. Wir hatten die Idee, eine neue Haupttribüne zu erstellen und den Rest zu sanieren. Das hätte 30 Millionen Franken gekostet. Wenige Wochen, nachdem die Klubs den Vorschlag vorgebracht hatten, wurde das Stadion jedoch abgerissen.

Was ist nun das Problem mit dem Letzigrund?
Das Stadion bereitet uns auf verschiedenen Ebenen Probleme. Zunächst einmal: Um gute Stimmung zu ermöglichen, muss ein Fussballstadion geschlossen und kompakt gebaut sein, mit Tribünen nahe am Spielfeldrand. Das Letzigrund ist das Gegenteil davon. Zwischen den Tribünen und dem Spielfeld liegt die Tartanbahn. Das Dach über den Zuschauerrängen ist abgehoben. Wind und Wetter ziehen durch das Stadion. Da kommt kaum Stimmung auf. Ein weiteres Problem besteht in der Restauration. Im Logenbereich stehen nur 300 Plätze zur Verfügung, die an das Restaurant angeschlossen sind. In anderen Schweizer Stadien sind es 2000 bis 4000 Plätze. Das bedeutet für uns einen grossen Verlust an Einnahmen. Weiter gibt es massive Probleme im Sicherheitsbereich: Das Stadion wird nur von einem durchlässigen Stahlzaun eingegrenzt. Im Eingangsbereich fehlt es an Vereinzelungsanlagen. Und auf der Tribüne ist es schliesslich nicht möglich, einzelne Sektoren unabhängig voneinander abzutrennen. Ich könnte noch lange weitere Probleme aufzählen. Die Folge der Situation ist: Unser Stadion hat bei den Fans einen schlechten Ruf, was sich in niedrigen Zuschauerzahlen auswirkt. Und wir haben jährlich hundertausende Franken zusätzliche Kosten, die wir mit einem Stadion nach unseren Bedürfnissen nicht hätten.

Soweit man hörte, war die Stimmung im Letzigrund sehr gut, als beispielsweise Real Madrid oder Bayern München im Letzigrund zu Gast waren.
Das stimmt. Wenn es voll ist, entsteht sogar in diesem Stadion Stimmung. In der normalen Meisterschaft ist das jedoch nie der Fall. Nicht einmal in Derbys gegen GC, Basel oder YB ist das Stadion voll. Das ist auch eine Folge des schlechten Images, das sich das Stadion eingehandelt hat. 2009, als wir Meister wurden, hatten wir einen Zuschauerschnitt von gerademal rund 12᾽000. Ich bin überzeugt, in einem echten Fussballstadion hätten wir gegen 50 Prozent mehr Zuschauer. Solche Steigerungen sieht man in anderen Städten, wo Fussballstadien gebaut wurden.

Im Dezember wurde bekannt, dass der FCZ und GZ ihre Mietverträge fürs Letzigrund kündeten. Wie ist der Stand der Dinge?
Es laufen Gespräche. Ich bin zuversichtlich, dass wir eine gute Lösung finden.

Aktuell zahlt ihr Klub 870’000 Franken Stadionmiete pro Saison. Was wäre für Sie ein angemessener Betrag?
Halt, das ist nur der fixe Betrag. Da kommt aufgrund von Einschränkungen durch das Stadion noch einiges hinzu. Mein Ziel ist eine erfolgsabhängige Miete. Wir wollen mit der Stadt einen Fixbetrag vereinbaren, zu dem, je nach erfüllten Erfolgskriterien, weitere Beträge hinzu kämen. Würden wir es – so Gott will – beispielsweise in die Champions-League schaffen, dann würden wir in so einem Modell natürlich bedeutend mehr Miete zahlen als heute.

Weshalb die Kündigung?
Ganz einfach: Wir sind jetzt seit 2007 in diesem Stadion. Als wir den Mietvertrag unterschrieben, gingen wir und ging die Stadt von Annahmen aus, die sich längst als illusorisch herausstellten. Uns fehlte schlicht die Praxiserfahrung mit dem Stadion. Heute muss man sagen, dass im Sinne von Leistung und Preis ein Missverhältnis besteht. Wir zahlen Miete für ein Fussballstadion. Die Stadt stellt uns aber kein funktionsfähiges Fussballstadion zur Verfügung. Deshalb braucht es Anpassungen.

Als Sie den Mietvertrag unterschrieben haben, stand das Stadion da. Sie konnten es sich anschauen.
Ja. Aber nochmals: Es fehlte uns zu diesem Zeitpunkt die Erfahrung im Umgang der Infrastruktur. Heute liegen die Probleme auf der Hand.

Wie konnte ein Stadion geplant und gebaut werden, das die Bedürfnisse der Nutzer offenbar kaum berücksichtigt?
Das Stadion ist ein Kompromiss. Es ist ein leicht modifiziertes Leichtathletikstadion. Trotzdem: Es hätten tatsächlich viele Fehler vermieden werden können, wenn man in der Planungsphase die Nutzer stärker involviert hätte. Das ist nicht geschehen, mit teils peinlichen Folgen. Als wir zum ersten Mal in die Umziehkabine gingen, bemerkten wir etwa, dass dort nur 15 Kleiderhaken vorhanden waren. Für ein Meisterschaftsspiel werden allerdings 18 Spieler aufgeboten.

Ihre grundsätzliche Position ist klar: Sie wollen ein reines Fussballstadion.
Wir wollen nicht nur, wir brauchen ein reines Fussballstadion.

Wären Sie mit einem Stadion wie in Luzern oder St. Gallen zufrieden?
Absolut. Ich wäre auch mit 16᾽000 Plätzen zufrieden. Ein kleineres, volles Stadion ist mir allemal lieber als ein grösseres, halbleeres Stadion.

In den letzten Jahren gab es in der Sache mehrere Vorstösse. Zuletzt hatte die Stadt Zürich ein Projekt aufgegleist, das aber im Herbst 2013 hauchdünn von der Stimmbevölkerung abgelehnt wurde. Weshalb tut sich Zürich so schwer mit einem Fussballstadion?
Schwer zu sagen. Beim zuletzt abgelehnten Projekt haben meiner Meinung nach verschiedene Akteure schlecht kommuniziert. Sie nannten irritierende Geldbeträge, die später nicht mehr richtigzustellen waren. So war von Anfang an die Sprache von einem 230-Millionen-Projekt. Dabei ging etwa unter, dass das entsprechende Grundstück im Hardturm bereits der Stadt gehörte und längst bezahlt war. Die entsprechenden 50 Millionen Franken hätten nicht real bezahlt, sondern nur intern umgebucht werden müssen. Zudem waren 30 Millionen Franken als Reserve einkalkuliert. Bei einer etwas differenzierteren Betrachtungsweise hätte man also auch von einem 150-Millionen- Projekt reden können. Wobei das eigentliche Stadion übrigens nur 80 bis 90 Millionen Franken gekostet hätte. Erfreulich war ja trotz Niederlage, dass beinahe 50 Prozent der Stimmbevölkerung Ja sagte zu dem Projekt.

Die Zürcher Fussballklubs mobilisieren Fans weit über die Stadtgrenzen hinaus. Müsste man die Debatte allenfalls ausdehnen?
Das ist ein wichtiger Aspekt. Tatsächlich kommen nur ungefähr 30 bis 35 Prozent unserer Zuschauer aus der Stadt Zürich. Über 50 Prozent kommen hingegen aus dem Kanton Zürich. Sie alle konnten sich nicht zu den Stadionfrage äussern.

Dass der Stadtclub FC Zürich nicht mehr Stadtpublikum anzieht, ist eigentlich erstaunlich. Woran liegt das?
Ich halte das Gerede vom Stadtklub für Unsinn. Wir sind nicht ein Klub nur für die Stadt. Wir sind ein Klub für den Kanton und die Region. Das ist auch in Bern oder Basel oder Luzern so. Weshalb anteilsmässig weniger Stadtzürcher zu unseren Matches kommen, kann ich nicht eindeutig sagen. Auffällig ist: Wenn renommierte europäische Klubs im Letzigrund zu Gast sind, stehen die Leute Schlange. Wir hatten schon 200᾽000 Billettanfragen für das Spiel gegen Real Madrid, oder 100᾽000 Bestellungen beim Spiel gegen Bayern München. In der normalen Meisterschaft kommen nur gerade gegen Basel oder GC rund 15᾽000 Zuschauer. Gegen die anderen Gegner schwankt die Zahl zwischen 7000 und 10᾽000. In Basel hingegen kommen auch gegen Thun 28᾽000 Zuschauer. Vielleicht ist das einfach die Zürcher Mentalität. Oder vielleicht liegt es am sehr breiten Freizeitangebot in der Stadt. Aber nochmals: Ich bin überzeugt, mit einem reinen Fussballstadion kämen 50 Prozent mehr Leute.

Kurz nach der verlorenen Abstimmung im Herbst 2013 kam ein interessanter Vorstoss auf den Tisch. Die Halter AG präsentierte gemeinsam mit dem FCZ und GC eine rein private Projektvariante für ein Stadion mitsamt Mantelnutzung. War die schon vor der Abstimmung vorgespurt?
Nein, vor der Abstimmung ist in der Sache nichts gelaufen. Zumindest nichts, von dem ich wüsste.

Wie ist es zu dieser Idee gekommen?
Die Initiative ging von Halter aus. GC kontaktierte mich und sagte, der Bauunternehmer Balz Halter, der bei Grasshopper engagiert ist, hätte da eine Idee. Es gab ein Treffen, bei dem Halter die Idee erklärte. Er schlug vor, beim alten Hardturmstadion Wohnbauten als Mantelnutzung für ein Stadion zu erstellen, das ebenfalls im Hardturm oder auch anderswo gebaut werden könnte. Das fand ich interessant.

Wie ging es weiter?
Wir – und hauptsächlich die Firma Halter – haben uns über Monate mit dem Vorhaben und möglichen Standorten für das Stadion beschäftigt. Rund 20 Standorte standen zur Debatte. Zuletzt lagen zwei Varianten auf dem Tisch, eine mit Stadion im Hardturm und eine mit Stadion auf dem Juchhofareal in Altstetten. Auf dem Juchhofareal hätten sich Synergien mit einem allfälligen künftigen Eishockey-Stadion ergeben. Das Projekt wäre rein privat finanziert worden. Die Stadt hätte nur das Grundstück abtreten müssen. Das wäre eine gute Lösung gewesen.

Nur mit dem Makel, dass Sie die Spiele in der Agglo ausgetragen hätten.
Unsinn. Schauen Sie doch auf die Landkarte. Altstetten gehört noch zur Stadt Zürich. Und wie gesagt: Der FCZ ist für mich nicht in erster Linie ein Stadtklub, sondern ein Klub des Kantons. Ich hätte übrigens auch kein Problem damit gehabt, wenn das gemeinsame Stadion von FCZ und GC ausserhalb der Stadt Zürich gebaut worden wäre.

Für eingefleischte FCZ-Fans ist der Letzigrund doch heiliges Land.
Aber auch sie müssen die Realitäten erkennen. Als der alte Letzigrund in den 1920er- Jahren gebaut wurde, sah die Nachbarschaft ganz anders aus. Heute ist das Stadion von der sich ausdehnenden Stadt umzingelt. Dass Stadien, wenn Sie Neubauten weichen, weiter an die Peripherie rutschen, sieht man auch in anderen Städten. Es gibt nur wenige Beispiele für Städte, in denen das Stadion wirklich zentral liegt. Madrid ist so eine.

Man ging bei der Halter-Variante wirklich weit. Es liegen stapelweise Machbarkeitsstudien von verschiedenen Standorten für ein Stadion vor. Wie eng waren Sie in diesen Prozess involviert?
Es gab regelmässige Sitzungen, in denen Halter rapportierte. Es war ein sehr dynamischer Prozess, in den mehrere Beteiligte viel Zeit investierten. Auch wir.

Die Stadt Zürich war davon nicht beeindruckt. Sie wollte von der Idee nichts wissen. Wie beurteilen Sie das Verhalten der Stadt?
Das kam natürlich nicht gut an. Vor allem die Firma Halter, die sehr viel Zeit und Energie in das Projekt steckte, war sehr enttäuscht, dass die Stadt nicht einmal konkret auf das Vorhaben einging.

Sie sind ein zupackender Typ. Wie kommen Sie klar mit politischem Geplänkel, das sich über Jahre hinzieht?
(seufzt) Es ist schwierig. Das ist für mich eine grosse psychologische Herausforderung.

Nach der verlorenen Abstimmung 2013 erklärte der Stadtrat den Hardturm als Stadionort für gestorben. Mittlerweile will der neu zusammengesetzte Stadtrat doch wieder ein Stadion auf dem Hardturm und sucht Investoren. Erkennen Sie da eine Strategie?
Das einzige, was ich erkenne ist, dass immer wieder bekundet wird, Zürich brauche ein Fussballstadion. Und dass es damit trotzdem nicht vorwärts geht.

Mit welchem Zeithorizont rechnen Sie, bis Zürich ein neues Fussballstadion bekommt?
Klar ist nur, dass es kurzfristig kein Fussballstadion geben wird. Es braucht jetzt wieder viel Zeit, bis ein Projekt ausführungsreif und politisch mehrheitsfähig ist.

Was bedeutet das für den Klub?
Das hat massive Auswirkungen. Wir Klubs brauchen eine Infrastruktur, mit der wir ordentliche Einnahmen generieren können. Wenn wir das nicht können, gibt es zwei Möglichkeiten: Entweder wir kompensieren die fehlenden Einnahmen irgendwie. Oder wir hören auf.

Sie sind von Haus aus Wirtschaftsprüfer. Wie lange kann die Firma FCZ unter den heutigen Bedingungen existieren?
Das kann ich nicht sagen. Als ich diesen Job übernahm, war es mein Ziel, dass sich der operative Betrieb selbst finanziert. Kumulativ hat das bis ins Jahr 2011 geklappt. In einem Jahr ein bisschen besser, im anderen Jahr ein bisschen schlechter. Aufgrund schlechter sportlicher Leistungen sind wir 2012 und 2013 in ein Loch gefallen. Dieses konnten wir dank Transfers, Sanierungsleistungen und Kapitalerhöhungen stopfen. Aber solange wir uns im Letzigrund von einer Saison zur nächsten hangeln müssen, ist der Betrieb nicht nachhaltig finanziert.

Solange es in Zürich noch keines gibt: Welches ist Ihr Lieblingsstadion?
Ich habe viele Stadien gesehen, die wegen ihrer Grösse oder wegen der Stimmung grossartig sind. Im Stadion von Real Madrid hat man das Gefühl, man sei in einem Opernhaus. Es ist überwältigend. Auf unsere Bedürfnisse sehr gut passen würde aber beispielsweise das Eden-Stadion in Prag. Es hat rund 20᾽000 Plätze auf zwei Rängen und ist sehr kompakt gebaut. So eines wäre genial.

In anderen Schweizer Städten stehen Fussballstadien zur Verfügung. Sind Sie neidisch auf St. Gallen oder Luzern?
Neidisch nicht. Aber ich bin überzeugt, dass es heute in St. Gallen und Luzern einfacher ist, Profifussball zu betreiben als in Zürich.

Beat Matter

Beat Matter

Ich schreibe. Und ich fotografiere. Beides fliessend. Für Medien, Unternehmen, Stiftungen, Verbände, Vereine und Private.

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