«Es braucht mehr Leute in der Ausführung»

Seit einem Jahrzehnt läuft der Bau auf Hochtouren. Krisenresistent sei er nicht, warnt Christian Kraft, Leiter von Swiss Real Estate Research der Credit-Suisse. Denn es bauen sich Risiken auf. (intelligent bauen Nr. 10/2013)

«intelligent bauen»: Was für ein Unternehmen in der Baubranche hätten Sie derzeit am liebsten?
Christian Kraft: Die besten Chancen hinsichtlich zukünftiger Risiken haben Unternehmen, die sehr innovativ sind, die sich im Volumengeschäft zu spezialisieren vermögen und die es schaffen, hohe Qualität anzubieten.

Können Sie konkreter werden?
Potenzial zur Spezialisierung sehe ich bei der Nachhaltigkeit, sowohl beim Produkt als auch beim Bauprozess. Sollte die Nachfrage nachlassen, wird die Nachhaltigkeit grösseres Gewicht bekommen. Heute ist in der Bauausführung nach wie vor der Preis das zentrale Kriterium.

Wäre Ihr Unternehmen auf die Entwicklung spezialisiert oder würde es auch die Ausführung umfassen?
Ich würde ein Unternehmen wollen, das den ganzen Prozess abdeckt. Aufgrund der Marktsituation verlagern sich derzeit zahlreiche Unternehmen in die Entwicklung. Ich finde es aber wichtig, dass es nebst guten Planern auch genügend innovative Ausführende gibt.

Seit mehr oder weniger einer Dekade läuft die Baubranche auf Hochtouren. Der Bau als krisensicheres Geschäft?
Nein, jeder Boom endet irgendwann. Allerdings hat die Branche aufgrund des hohen Auftragsvolumens kurzfristig noch eine gewisse Krisenresistenz. Im ersten Quartal 2013 befanden sich 77’000 Wohnungen im Bau. 55’000 Baubewilligungen für Wohnungen und Häuser wurden in der Jahressumme erteilt. Wir sprechen hier insgesamt von einer doppelten Jahresproduktion von Wohnungen im Bau oder in einer weit fortgeschrittenen Planungsphase. Würde die Nachfrage über Nacht einbrechen – wovon wir nicht ausgehen –, hätten viele Anbieter im Bausektor noch einen ansehnlichen Auftragsvorrat.

Das ist heute. Was kommt auf die Branche zu?
Die Unternehmen im Bausektor haben vermutlich noch ein, zwei Jahre Zeit, um sich zu überlegen, wie man sich im Falle nachlassender Nachfrage verhalten wollen und können wird. Denn mittelfristig bauen sich drei Hauptrisiken auf.

Welche?
Erstens das Risiko eines Zinsschocks: Das sehen wir kurzfristig zwar nicht, denn die Zinsen steigen graduell an. Ein zweites Risiko besteht darin, dass die Nachfrage über politische Massnahmen geregelt wird, zum Beispiel über anstehende ZuwanderungsInitiativen. Das dritte Risiko besteht darin, dass sich derzeit ein Überangebot aufbaut, das zu einem Zeitpunkt geringerer Nachfrage zum Problem werden könnte. Angesichts dieser Risiken komme ich zum Fazit: Nein, der Bausektor ist nicht krisenresistent.

Der Bauindex zum 3. Quartal 2013 – den Sie verantworten – zeigt, dass sich der Bau insgesamt im leichten Aufwärtstrend befindet. Hauptsächlich verantwortlich für den Anstieg ist der Tiefbau. Weshalb?
Der Tiefbau verzeichnet bereits seit zwei, drei Jahren deutlich steigende Umsätze. Zwei Faktoren spielen zusammen: Erstens haben wir in der Schweiz noch die komfortable Situation von ausgeglichenen öffentlichen Haushalten. Zweitens ist die Nachfrage nach Infrastruktur durch anhaltendes Bevölkerungs- und Agglomerationswachstum gegeben. Das wird mittelfristig so bleiben.

Im Hochbau zeigt der Bauindex ungefähr ein Nullsummenspiel gegenüber dem 2. Quartal. Der Wohnungsbau legte zu, der Wirtschaftsbau verlor.
Die Situation im Hochbau ist etwas kurios, weil es immer wieder diese Verlagerung gibt zwischen Wohnungsbau und Wirtschaftsbau, je nachdem, welche Projekte sich gerade in der Pipeline befinden.

Weshalb ist das so?
Die Kapazitäten der Bauunternehmer sind irgendwo beschränkt.

Die Ausführung als Flaschenhals?
Ja. Im Hochbau wird viel zu viel geplant, verglichen mit dem, was effektiv fertiggestellt wird. Oder umgekehrt. Das Resultat nennen wir Stau im Bau. Seit drei, vier Jahren baut sich die Zahl im Bau befindlicher Wohnungen deutlich auf.

Wie kann der Stau entschärft werden?
Aus einer Marktsicht heraus komme ich zum Schluss, dass es mehr Leute in der Ausführung braucht. Denn was sich im Moment entwickelt, ist der berühmte Schweine-Zyklus. Das Angebot vermag die Nachfrage nicht zeitnah zu decken und droht verzögert zu überschiessen. Das führt zu einem Überangebot, sollte die Nachfrage einmal nachlassen. Kommt ein Zinsanstieg hinzu, bekommen wir vermutlich ein Problem.

Die Unternehmer stehen dem Personalaufbau etwas anders gegenüber.
Das ist plausibel. Der Wettbewerb ist hart, die Erträge in der Ausführung sind schlecht. Viele Unternehmer können deshalb gar kein Personal aufbauen.

Aufgrund der Nachfrage sollten die Preise für Bauleistungen steigen. Sie tun es aber nicht. Ist das für Sie als Ökonom nachvollziehbar?
Die Baupreise liegen heute nur geringfügig über den Preisen von 2008. Schuld daran ist die Branchenstruktur. Die Eintrittshürde in der Ausführung ist sehr tief. Es ist leicht, als Kleinstunternehmen in dem Markt tätig zu werden und bei Projekten mit sehr tiefen Angeboten mitzubieten.

Mittlerweile gibt es Anzeichen dafür, dass der Preiskampf zulasten der Qualität geführt wird. Könnte es der Wendepunkt sein, wenn die Kundschaft die minderwertige Qualität nicht mehr goutiert?
Ja. Allerdings ist seitens der Bauherren das Qualitätsbewusstsein immer noch nicht stark genug ausgeprägt. Man möchte günstig bauen. Das hängt auch damit zusammen, dass die Preise für Bauland so stark angestiegen sind.

In den vergangenen Jahren drückte immer stärker eine «Jetzt ist genug»-Stimmung in der Bevölkerung durch. Plötzlich werden einschneidende Initiativen angenommen. Wie gefährlich ist diese Stimmung?
Es kommen im Moment doch recht viele regulatorische Massnahmen zusammen, die den Bau- und Immobilienmarkt tangieren. Sicherlich herrscht eine gewisse Grundstimmung, die das Risiko zu Überreaktionen birgt. Allerdings muss eine Regulierung nicht zwingend schlecht sein. Wenn sie marktgerecht und verhältnismässig ist, kann sie riskante Entwicklungen entschärfen, wie wir es derzeit im Immobilienmarkt beobachten.

Wie präsentiert sich dort aktuell die Situation?
Der Markt ist lokal überhitzt. Vor allem im Bereich des selbstgenutzten Wohneigentums sehen wir eine zinsbedingte Überhitzung. Nun kommen aber viele kleine RegulierungsPuzzlestücke zusammen, die dafür sorgen sollen, dass sich die Situation etwas abkühlt: Zum Beispiel müssen künftige Eigentümer seit Juli des letzten Jahres 10 Prozent Eigenkapital aus dem Vermögen anzahlen. Das führt dazu, dass wieder etwas rationaler gekauft wird. Ein Beispiel für eine sinnvolle Regulierung.

Wenn man die verschiedenen Publikationen betrachtet, bekommt man den Eindruck, es herrsche noch nicht einmal Einigkeit darüber, welches geografisch die grossen Risikogebiete sind.
Doch. Es sind die üblichen Verdächtigen: In der Stadt Zürich, entlang der Goldküste sowie in weiteren Seegemeinden gab und gibt es grosse Preissteigerungen, die sich zum Teil von der Einkommensentwicklung abgekoppelt haben. Klare Übertreibungen beobachten wir in Genf. Innerhalb von 12 Jahren sind dort die Preise für Stockwerkeigentum um den Faktor 3,5 gestiegen.

Es gibt Charts, welche die gefährlichen Gebiete um diese Hotspots herum sehen.
Das ist eine Folge der Entwicklung in den Zentren. Die hohen Zentrums-Preise führen dazu, dass Haushalte, aber immer häufiger auch institutionelle Investoren, immer weiter hinaus ausweichen. Es gibt so etwas wie eine Ansteckungsgefahr der Überhitzung. Noch ist die Situation ausserhalb der Zentren aber nur in sehr wenigen Regionen besorgniserregend.

Welches Gewicht hat die Spekulation?
Eine spekulative Preisblase, die dadurch entsteht, dass Immobilien gekauft, nur kurz gehalten und dann mit grosser Rendite wieder verkauft werden, sehen wir nicht. Es herrscht sehr grosse Nachfrage nach selbstgenutztem Wohneigentum, aber über die Zuwanderung auch nach Mietwohnungen. Die Miet-Nachfrage wird durch institutionelle Anleger gestillt, welche aufgrund eines Anlagenotstands vermehrt in teilweise sehr grosse Wohnbau-Projekte investieren. All diese Faktoren sorgten für diese lange, stabile Marktsituation.

Die Preisentwicklungen sind also weitgehend begründbar?
Ja.

Begründbare Preisentwicklung wird häufig als Beleg dafür verwendet, dass es keine Blase gibt.
Das kann man schon so sagen. Allerdings: Nur weil eine Entwicklung begründbar ist, heisst das nicht, dass sie kein Risiko darstellt. Es gibt die angesprochenen Marktrisiken, die man im Auge behalten muss.

Sie forschen, analysieren und prognostizieren im Real Estate-Bereich. Ist die Tätigkeit näher beim Wetterfrosch oder beim Glückspieler?
(lacht) Näher beim Wetterfrosch. Gerade die Prognostik ist ein sehr schwieriges Feld mit teilweise kaum vorhersehbaren Einflussgrössen. Zum Beispiel durch politisches Einwirken kann sich die Situation in einer Art verändern, wie es rein aufgrund von ökonomischen Zusammenhängen nicht zu erwarten war. Solche Faktoren verstärkt zu berücksichtigen, ist Teil unseres immerwährenden Lernprozesses.

Beat Matter

Beat Matter

Ich schreibe. Und ich fotografiere. Beides fliessend. Für Medien, Unternehmen, Stiftungen, Verbände, Vereine und Private.

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